«Tatort: Krieg im Kopf»

Die dunkle Seite der Bundeswehr

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, l-r), Benno (Matthias Lier) und Anais (Florence Kasumba) in einer Szene aus
Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, l-r), Benno (Matthias Lier) und Anais (Florence Kasumba) in einer Szene aus "Tatort: Krieg im Kopf". Der Niedersachsen-"Tatort" wird am 29.03.2020 im Ersten ausgestrahlt. Foto: Marion von der Mehden/Ndr/dpa

BERLIN/HAMBURG: Die Zusammenarbeit zwischen «Tatort»-Kommissarin Lindholm und ihrer neuen Kollegin Schmitz in Göttingen geht weiter.

Menschlich konfliktfrei bleibt es auch in ihrem zweiten, politisch brisanten Fall «Krieg im Kopf» nicht. Dabei rettet die Neue Lindholm das Leben.

– Mit einem außerordentlichen Schreckensmoment beginnt die neue «Tatort»-Episode aus Göttingen. Denn das Leben der beliebten langjährigen Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, «Gift») steht buchstäblich auf Messers Schneide. Hautnah zeigt die Kamera, wie ein offensichtlich verwirrter Mann, der immer wieder Sätze wie «Ich bin nicht schuld» und «Die müsst ihr kriegen» stammelt, der Kommissarin eine Klinge in den Hals zu stoßen droht. Da wird auch ihre Begleiterin Anais Schmitz (Florence Kasumba, «Deutschland 86») von Panik gepackt. Die neue Kollegin hält ihre Waffe hoch, drückt ab – und tötet den Attentäter. «Gut gezielt», sagt Lindholm wenig später zu ihr.

Man könnte meinen, das Verhältnis der beiden Kommissarinnen sei damit im zweiten gemeinsamen Fall «Krieg im Kopf» - am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten - auf einer menschlich positiven Ebene angelangt. Schließlich hat Schmitz, mit der sie sich im Februar 2019 in der Geschichte «Das verschwundene Kind» (knapp zehn Millionen Zuschauer) noch massiv zusammenraufen musste, Lindholm das Leben gerettet. Doch die Probleme der Frauen miteinander hören nicht auf.

Mit dem tödlichen Schuss, der leicht daneben hätte gehen können, werden beide nur schwer fertig. Überhaupt sollten die Kommissarinnen besser eine Erholungspause einlegen. Doch beide wollen den Vorfall aufklären – schließlich ist zielgerichtete Aktivität eine Art, ein schreckliches Erlebnis zu verarbeiten.

Und so geht es hochdramatisch und sogar politisch äußerst brisant weiter. Denn in dem Fall, den der erfahrene «Tatort»-Regisseur Jobst Christian Oetzmann nach dem Drehbuch des Grimme-Preisträgers Christian Jeltsch («Die verlorene Tochter») glaubhaft in Szene setzt, stoßen die angeschlagenen Kommissarinnen nicht nur alsbald auf eine weitere Leiche. Die Frau des Attentäters, Mutter seines kleinen Sohns, liegt erdrosselt in ihrer Badewanne. Vor allem bekommen sie es mit einem schief gelaufenen Einsatz der Bundeswehr im Krisengebiet im afrikanischen Mali zu tun. Von der Patrouille waren nur vier der zehn Soldaten zurückgekehrt. Zwei von ihnen haben sich inzwischen das Leben genommen, eine Soldatin sitzt querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Vierter war der Lindholm-Angreifer Hauptfeldwebel Benno Vegener (Matthias Lier, «Bonusfamilie»), der das Kommando geführt hatte.

High-Tech-Ausrüstungen, in denen Chips die Motivation und Reaktion von Menschen beeinflussen, Ergebnisse der Hirnforschung und eine zweifelhafte Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundesrepublik Deutschland bilden das undurchsichtige Feld, bei dessen Durchdringung die Ermittlerinnen um Leib und Seele zu bangen haben. So meint Schmitz, Stimmen in ihrem Kopf zu hören – und die oft so coole Kommissarin fürchtet, wie einst ihre Mutter schizophren zu werden. Gesellschaftspolitisch wagt sich die Produktion der Filmpool Fiction im Auftrag des NDR für Das Erste weit aus dem Fenster. Suggeriert sie doch Machenschaften und Vertuschungen eines Netzwerks aus Bundeswehr, Industrie sowie einer Forschung, die auf Anfänge in der Nazizeit zurückblicken kann.

«Mindcontrol» lautet das Schlagwort, mit dem sonst gern Science-Fiction-Filme spielen. Doch das ARD-Projekt bekommt sachliche Schützenhilfe von der Wissenschaft. So erklärt Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Presseheft: «Der "Tatort" ist ziemlich nah an der Realität. Was dort erzählt wird, ist alles zumindest in Ansätzen bereits möglich. In der Neuro-Forschung gibt es dramatische Entwicklungen, aber ich bin immer wieder überrascht, wie wenig die meisten Menschen wirklich darüber wissen.»

So äußert sich denn auch die Darstellerin Kasumba im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. «Ich bin überhaupt kein technischer Mensch oder jemand, der Ahnung davon hat», sagt der 43-jährige TV-Star. Fügt jedoch hinzu: «Als ich das Drehbuch las, war ich nicht erschreckt. Denn ich bin mir bewusst, dass die Technik sehr weit ist. Dass es viele Dinge gibt, von denen wir Normalsterblichen keine Ahnung haben. Es tat gut, sich als Schauspielerin damit zu beschäftigen.» Überhaupt zeigt sich die international viel beschäftigte Künstlerin hochzufrieden mit ihrer Arbeit am «Tatort», mit der nach ihren Worten ihr alter Traum in Erfüllung gegangen ist: als erste schwarze Ermittlerin dabei zu sein.

«Es macht auf jeden Fall total Spaß. Ich hab' im Moment das Gefühl, ich wäre in einer Serie», erzählt die ausgebildete Musicaldarstellerin. «Wir hatten ja erst einen Film gedreht, der Anfang 2019 rauskam. Und dann haben wir innerhalb des Jahres noch mal zwei gedreht, von August bis November. Es ist genau das, was ich mir gewünscht habe - dass ich gefordert werde.» Ihr dritter Fall wird bereits im April in der ARD laufen. Der zuständige NDR-Abteilungsleiter Christian Granderath erklärt der dpa den Grund: «Wir zeigen dieses Jahr zwei "Tatorte" mit Maria Furtwängler und Florence Kasumba, weil wir vor zwei Jahren keinen einzigen gesendet haben – ursprünglich hatte "Das verschwundene Kind" nämlich schon 2018 laufen sollen. Da stand also einer noch offen.»

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