25 Jahre Seilbahn-Unglück von Cavalese

Kampfjet zerschnitt Seil

Polizeibeamte inspizieren die Unglücksstelle in den italienischen Dolomiten, wo am 03.02.1998 eine Seilbahngondel abgestürzt war. Foto: Farinacci/Ansa/epa/dpa
Polizeibeamte inspizieren die Unglücksstelle in den italienischen Dolomiten, wo am 03.02.1998 eine Seilbahngondel abgestürzt war. Foto: Farinacci/Ansa/epa/dpa

CAVALESE: Vor 25 Jahren rast ein Kampfjet durch ein Tal in den Dolomiten und zerschneidet im Tiefflug das Tragseil einer Gondel. 20 Menschen sterben, darunter acht Deutsche. Die Aufarbeitung der Katastrophe und die Suche nach den Verantwortlichen sorgen danach für Entsetzung.

Überall liegen gelbe Trümmerteile, verbogenes Metall und Fetzen von Skiklamotten. Das ganze Blut hat den Schnee rot gefärbt. Für 20 Insassen der Gondel, darunter sieben Urlauber aus Sachsen und eine gebürtige Münchnerin, kommt jede Hilfe zu spät. Sie sterben im norditalienischen Ort Cavalese, weil ein US-Militärjet viel zu tief und zu schnell durch die Dolomiten jagt und bei einem Übungsflug so das Tragseil der Gondel durchschneidet. Am Freitag (3. Februar) jährt sich die Seilbahn-Katastrophe zum 25. Mal.

In der Chiesa della Madonna Addolorata in Cavalese wird dann ein Gedenkgottesdienst abgehalten. Es soll nach Angaben der Gemeinde die letzte offizielle Trauermesse sein. Von den Angehörigen der Opfer habe man lange nichts mehr gehört, seit Jahren kämen diese nicht mehr in den Dolomitenort. Im sächsischen Burgstädt, wo sieben Opfer im Skiclub waren, baten die Hinterbliebenen, «dass keine Erinnerungen und alten Wunden geweckt werden», ließ der Bürgermeister mitteilen. Eine Gedenktafel im Ortsteil Mohsdorf erinnert noch an das Unglück.

Es war eigentlich ein freundlicher und sonniger Dienstag, den vor 25 Jahren viele Skifahrer auf der Alpe Cermis oberhalb von Cavalese verbrachten. 19 von ihnen stiegen am Nachmittag dann in die Gondel, um zusammen mit einem Angestellten der Bahn zurück ins Tal zu fahren. In dem Moment jagte ein amerikanisches Militärflugzeug durch das Fleimstal und kollidierte um 15.13 Uhr mit dem Tragseil der Bahn. Dieses zerbarst, der Knall war kilometerweit zu hören. Die Gondel stürzte mehr als 100 Meter in die Tiefe und zerschellte am Boden.

Der Kampfjet vom Typ EA-6B Prowler machte sich indes schwer beschädigt auf den Rückweg zum Luftwaffenstützpunkt Aviano, der etwas mehr als 100 Kilometer entfernt südöstlich von Cavalese liegt. Der Pilot, sein Navigator und zwei weitere Besatzungsmitglieder konnten die Maschine trotz Schäden an der rechten Tragfläche, die das Gondelseil durchschnitten hatte, sicher zur Landung bringen.

In den Schock über den Unfall - bei dem acht Deutsche, fünf Belgier, drei Italiener, zwei Polen, ein Österreicher und ein Niederländer starben - mischte sich schnell Empörung über den Hergang. Wie kann es sein, dass ein ausländischer Kampfflieger eine derartige Katastrophe provoziert? US-Präsident Bill Clinton rief den erzürnten italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi an. Bei dem Gespräch soll den Amerikanern sogar gedroht worden sein, dass sie ihre Armeestützpunkte in dem Mittelmeerland verlieren könnten.

Clinton versprach eine umfassende Aufklärung. Pilot Richard Ashby kam - zum Missfallen vieler Italiener - vor ein Militärgericht in den USA. Es war erwiesen, dass der Kampfjet zu schnell und zu tief geflogen war. Allerdings verteidigte sich die Crew damit, dass das Höhenmessgerät defekt gewesen war. Ein letztlich entscheidender Beweis zur Entlastung waren Landkarten im Flugzeug, auf denen die Seilbahn nicht eingezeichnet war. Nach nur sieben Stunden Beratung sprach die aus Soldaten bestehende Jury Ashby vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei.

Auf der anderen Seite des Atlantiks herrschte Fassungslosigkeit. «Dies ist ein niederträchtiges Urteil und eine Beleidigung für die ganze Welt und vor allem für die betroffenen Familien», sagte der damalige Bürgermeister von Cavalese, Mauro Gilmozzi, und meinte: «Es ist so, als würden die Opfer ein zweites Mal getötet.»

Ashby wurde letztlich nur wegen des Vernichtens von Beweismitteln verurteilt und musste für fünf Monate ins Gefängnis. Er und sein Co-Pilot Joseph Schweitzer hatten die Kassette einer Videokamera, mit der sie sich während des Übungsflugs gefilmt hatten, zerstört. Waren darauf das Unglück oder vielleicht sogar wichtige Beweise zu sehen?

Nein, sagte Schweitzer später in einer TV-Dokumentation von National Geographic. «Aber ich stellte mir vor, wie auf CNN mein grinsendes Gesicht zwischen alle den Bildern von Blut im Schnee erscheint.» Deswegen habe er das Band nach dem Unfall verschwinden lassen. Einige Medien hätten weniger von einem tragischen Unfall berichtet, sondern eher von einem «Top-Gun-Gemetzel im Schnee», haderte Schweitzer.

In Europa waren viele entsetzt - sowohl über den ersten Freispruch gegen den Piloten als auch über die Nachricht, dass ein womöglich so entscheidendes Beweisstück vernichtet wurde. Der Verdacht war, dass die Amerikaner etwas vertuschen wollten. Die Hinterbliebenen bekamen später je 3,8 Millionen D-Mark als Entschädigung zugesprochen - 75 Prozent davon sollten wegen eines Nato-Abkommens die USA übernehmen.

Bis heute hat aber niemand die Verantwortung übernommen für die Katastrophe vom 3. Februar 1998 in den norditalienischen Dolomiten.

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