Zwischen Technik und Utopie: Hackerszene trifft sich in Hamburg

Foto: epa/Axel Heimken
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HAMBURG (dpa) - Cyber-Angriffe auf Telekom-Router, Datenklau bei Firmen und die Sorge vor der digitalen Manipulation von Wählern bei der Bundestagswahl 2017: Wenn die Hackerszene Ende Dezember zu ihrem jährlichen Kongress zusammenkommt, mangelt es nicht an hochaktuellen Themen. Die viertägige Veranstaltung (27. bis 30. Dezember) ist seit Wochen ausverkauft. Mehr als 12.000 Teilnehmer haben sich zum 33. Chaos Communication Congress (33c3) angekündigt, der aus Platzgründen zum letzten Mal im Hamburger Kongresszentrum CCH stattfindet.

«Der große Zulauf zeigt, dass viele Menschen von Technik begeistert sind und dies mit einem Bedürfnis nach positiven menschlichen Utopien verbinden», sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club (CCC). «Sie sind mit vielen Entwicklungen in Politik und Geheimdiensten nicht glücklich und finden mit dem Kongress den passenden Ort, um sich darüber auszutauschen. Wir werden ein großes Fest des Wissens und der Community feiern.»

Die Szene ist spezialisiert darauf, Dingen auf den Grund zu gehen, sie nicht nur nutzen, sondern sie auseinanderzunehmen, um sie in ihrem Innersten zu verstehen. So hat etwa Felix Domke die Software-Steuerung eines Dieselmotors unter die Lupe genommen. Nach Bekanntwerden des Abgasskandals bei Volkswagen dekompilierte er in seinem eigenen Auto die Software der Motorsteuerungseinheit, das heißt, er machte die Zeilen des Programm-Codes sichtbar und damit die Manipulationen bei Abgasmessungen. Domke, der inzwischen das Kraftfahrtbundesamt berät, will auf dem Kongress zeigen, was er bei weiteren Software-Analysen entdeckt hat.

Solche Hacker-Techniken werden längst auch von staatlichen Geheimdiensten eingesetzt. Das erfuhr in diesem Jahr etwa der Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansoor in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dessen iPhone mit der Schadsoftware «Pegasus» infiziert wurde. Das Gerät schickte daraufhin sensible Daten wie E-Mails und Aufenthaltsorte an den unbekannten Angreifer. Das kanadische Forschungsinstituts Citizenlab und die IT-Sicherheitsfirma Lookout analysierten daraufhin, wie «Pegasus» die inzwischen geschlossene Sicherheitslücke im iPhone-Betriebssystem iOS ausgenutzt hat.

Einer der beteiligten Experten stellt in Hamburg die «Pegasus»-Interna vor. «Das ist staatliches Hacking gegen Dissidenten», sagt CCC-Sprecher Neumann. An dieser Schnittstelle von Technik und gesellschaftlicher Relevanz werde deutlich, was den Chaos Communication Congress auszeichne.

Mit dem diesjährigen Motto «Works for Me» (funktioniert für mich) stellt der CCC eine typische Haltung von Software-Entwicklern in Frage, die auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen verbreitet ist: Wenn für sie selbst etwas funktioniert, kümmern sie sich nicht weiter um ein Problem. Das Jahr 2016 habe gezeigt, dass diese selbstbezogene Sichtweise eben nicht mehr funktioniere, erklären die Veranstalter.

Ethik, Gesellschaft und Politik ist neben Software und Kommunikationstechnik ein zentrales Thema des Kongresses. Vor allem der zweite Tag werde ganz im Zeichen der Kritik am Rechtspopulismus stehen, kündigt Neumann an. So soll in einem Vortrag gezeigt werden, mit welchen sprach-rhetorischen Tricks Rechtspopulisten agieren «und wie Populisten demaskiert werden können».

Die Hacker-Ethik ist dem CCC auch in den eigenen Reihen wichtig. Nach Vorwürfen sexueller Übergriffe ist der einstige Szene-Star Jacob Appelbaum auf dem Kongress für «nicht erwünscht» erklärt worden; der Mitentwickler des Tor-Projekts für anonyme Web-Nutzung hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Im Programm des Kongresses tauchen weder Wikileaks noch das Anonymous-Kollektiv auf.

Der kritische Blick auf die Politik richtet sich auch auf den beginnenden Bundestagswahlkampf und die Möglichkeit von Wählermanipulationen. «Diese Strategien gehen zunehmend in die Richtung, jeden einzelnen Wähler dort abzuholen, wo er ist», vermutet Neumann. Die dabei verwendeten Techniken und Taktiken seien auf jeden Fall kritisch zu beobachten.

Die Hacker heben in diesem Jahr auch in den Weltraum ab: Peter Buschkamp vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik etwa will darlegen, warum das Überleben der Menschheit langfristig davon abhängt, dass wir «eine interplanetare Spezies» werden. Und Markus Landgraf von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) spricht über einen «Fahrstuhl zum Mond (und zurück)».

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