Zu früh gefreut?

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Wer sich schon sicher war, eine Jamaika-Koalition bestehend aus Union, FDP und den Grünen wäre ausgemachte Sache, hat sich geirrt. Die Liberalen haben die Sondierungsgespräche abgebrochen, nachdem sie keine Chance sahen, ihre Kernziele durchzusetzen. Aus FDP-Sicht nachvollziehbar, aber ob diese Entscheidung gut für Deutschland sein wird, muss sich erst noch zeigen, denn plötzlich scheint auch eine Fortsetzung der „GROKO“ aus Union und SPD wieder möglich, die Martin Schulz, Vorsitzender der SPD am Wahlabend kategorisch und lautstark ausgeschlossen hatte. Für den Durchschnittswähler und Steuerzahler wäre dies wohl die teuerste Variante.

Warum? Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit eine ganze Menge Entscheidungen getroffen, die langfristig für Deutschland und seine Bürger teuer werden dürften. Es begann mit dem Management der Finanzkrise, wenn man es so nennen darf, im Jahre 2008, setzte sich 2010 mit dem Bruch des Maastrichter Vertrages fort um vor allem französische Banken zu retten, die sich in Griechenland übernommen hatten, und gipfelte 2012 mit der Entscheidung es zuzulassen, wertlose Staatspapiere der maroden Südstaaten Europas als Sicherheit bei der EZB zu akzeptieren. Die beginnende öffentliche Diskussion über diese Themen wurde bedauerlicherweise 2015 durch die Flüchtlingskrise in den Schatten gestellt, die Angela Merkel im Alleingang und ohne Einbeziehung der europäischen Nachbarn wahrscheinlich langfristig auch zum Nachteil Deutschlands entschieden hat. Wir werden sehen.

In Brüssel jedenfalls wird man nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche erst einmal aufgeatmet haben. Jetzt ist hinter den Kulissen möglich, Fäden zu ziehen. So ist wohl der Vorstoß des Bundespräsidenten Steinmeier zu interpretieren, die Vorsitzenden von Union und SPD zu einem Treffen einzuladen. Plötzlich rückt auch der SPD Vorsitzende Martin Schulz von seinem kategorischen Ausschluss der Fortsetzung der GROKO ab. Nachtigall ich hör Dir trapsen…

Minderheitsregierung als Chance?

Eine weitere Option nach der Wahl im September ist die Bildung einer Minderheitsregierung. Von einer Minderheitsregierung spricht man, wenn die Fraktionen, die eine Minderheitsregierung tragen, keine eigene Mehrheit im Parlament haben. Diese Variante würde die Macht der Kanzlerin am meisten beschneiden und es sehr viel schwerer machen, einsame Entscheidungen hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss von Öffentlichkeit und Parlament zu treffen. Das Magazin „Stern“ beispielsweise sieht durch eine Minderheitsregierung wieder Chancen Schwung in die vermerkelte Berliner Republik zu bringen. Schöne Formulierung. Und tatsächlich, eine Minderheitsregierung wäre vermutlich nicht die schlechteste Alternative. Die Kanzlerin könnte sich beweisen, wichtige Themen mit wechselnden Mehrheiten anschieben, und so ihre Skeptiker widerlegen. Die Ränder des politischen Spektrums würden ihr Totschlagsargument verlieren, machtlos im Parlament zu sitzen und sowieso nichts gegen „die“ Regierung ausrichten zu können. Ein schönes Gedankenspiel ist auch eine Minderheitsregierung, die ausschließlich durch die CDU gestellt wird. Wir erinnern uns: Seit der Flüchtlingskrise ist das Verhältnis zwischen CDU und CSU gestört. Das verhältnismäßig schwache Abschneiden der Bajuwaren bei der Bundestagswahl dürfte diese weiter nervös machen. Wäre die CSU nicht Teil einer Minderheitsregierung, könnte sie sich mit Blick auf die Landtagswahlen 2018 in Bayern ganz nach Gusto präsentieren und müsste keinerlei Rücksichten nehmen.

Den Lobbyisten in Berlin hingegen dürfte die Aussicht auf eine Minderheitsregierung überhaupt nicht gefallen. Es würde viel schwieriger für sie, Gesetzesvorhaben nach dem Motto durchzubringen „Eine Hand wäscht die andere und keine wird dabei sauber“. Für die Demokratie wäre es gut. Vielleicht würde es sogar so manchen Abgeordneten dazu bewegen, sich mehr mit der Materie zu beschäftigen über die sie entscheiden als dies oft in der Vergangenheit der Fall war.

Über einen Punkt sollten sich Bürger und Volksvertreter gleichermaßen klar sein. Die großen Herausforderungen der nahen Zukunft nur beispielsweise im Zusammenhang mit Digitalisierung und damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen verlangen nach klaren Konzepten und konsequenter Umsetzung. Die langfristige Erhaltung unseres Wohlstandes ist nicht selbstverständlich, sondern muss in einem globalen Umfeld gesichert werden.


Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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