Warum Chinesen nach deutschen Konzernen greifen

Übernahmeversuche aus Fernost werden in Deutschland nach wie vor skeptisch gesehen. Groß sind die Ängste vor Technologietransfer und Arbeitsplatzverlusten. Aber Experten beschwichtigen: Die Chancen einer Zusammenarbeit seien immens.Foto: epa/Julian Strate
Übernahmeversuche aus Fernost werden in Deutschland nach wie vor skeptisch gesehen. Groß sind die Ängste vor Technologietransfer und Arbeitsplatzverlusten. Aber Experten beschwichtigen: Die Chancen einer Zusammenarbeit seien immens.Foto: epa/Julian Strate

Wiesbaden/Berlin (dpa) - Es geht Schlag auf Schlag: Ein chinesisches Unternehmen hat den Halbleiter-Ausrüster Aixtron im Blick, ein anderes will den Roboterbauer Kuka übernehmen, und nun gibt es aus dem Reich der Mitte angeblich Interesse am Kohlenstoffspezialisten SGL.

Die Führung in Peking nehme vor allem die Digitalisierung und Automatisierung der Industrie ins Visier, erklärt Mikko Huotari vom Berliner China-Institut Merics und verweist auf die chinesische Strategie «Made in China 2025» (China Manufacturing 2025).

Da passen Unternehmen wie Kuka oder Aixtron hervorragend ins Konzept. «Es ist wichtig für chinesische Unternehmen, internationale Akquisen zu tätigen und Technologie zu erwerben, um im Wettbewerb zu bestehen», sagt Huotari. Produkte «Made in Germany» rücken verstärkt in den Fokus.

«China hat Deutschland seit jeher als Schwerpunktland gesehen für zukunftsweisende Technologien, gerade im Maschinenbau und in der Autozulieferindustrie», meint Boris Schilmar, Experte für deutsch-chinesische Unternehmenstransaktionen bei der Kanzlei Simmons & Simmons. Dass gerade jetzt auffallend häufig chinesische Konzerne nach deutschen Unternehmen greifen, hat seiner Ansicht nach auch mit den jüngsten Turbulenzen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen sowie dem langsameren Wirtschaftswachstum zu tun. «Geld ist vorhanden in China, das muss investiert werden.» Schließlich drohe, so sagt auch Huotari, eine Abwertung des Yuan - Investitionen im Ausland würden dann für chinesische Unternehmen deutlich teurer.

Zwischen 2000 und 2014 verzeichnete Merics in Europa mehr als 1.000 chinesische Neugründungen, Fusionen und Übernahmen im Wert von mehr als 46 Milliarden Euro. Investierten chinesische Unternehmen im Jahr 2000 kaum Geld in der EU, waren es 2014 bereits 14 Milliarden Euro. Tendenz steigend: Allein die Übernahme des schweizerischen Saatgutproduzenten Syngenta lässt sich der größte chinesische Chemiekonzern ChemChina, dem nun Interesse an SGL nachgesagt wird, 43 Milliarden US-Dollar kosten - das sind nach aktuellem Kurs 38,5 Milliarden Euro. «Mit solch einer geballten Finanzpower können deutsche oder auch europäische Unternehmen nicht mithalten», heißt es in deutschen Wirtschaftskreisen.

Doch gerade darin liegt auch eine Chance, betont Huotari. «Für Unternehmen wie SGL oder Aixtron, die eher schwierig dastehen finanziell, können solche Übernahmeangebote fantastisch sein, gerade wenn sie zudem neue Marktchancen in China bieten.» Insgesamt spielt der Zugang zum nach wie vor immens wichtigen chinesischen Markt eine zentrale Rolle. «Für den Vertrieb in China eröffnen sich ganz neue Kanäle, wenn ein großer chinesischer Konzern seine deutsche Tochter bei der Vermarktung in China unterstützt», erklärt Friedolin Strack, im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zuständig für internationale Märkte.

Nach wie vor sind vielen Anlegern in Deutschland aber Angebote aus Fernost nicht geheuer. «Ich habe Angst vor der Übernahme durch die Chinesen», sagt ein Wirtschaftsberater auf der Kuka-Hauptversammlung in Augsburg. Dort warnt auch der Nürnberger Wirtschaftsprofessor Roland Klose für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vor einer Übernahme durch den chinesischen Midea-Konzern: Es sei doch völlig ungewiss, ob in fünf Jahren noch die Zusagen gälten, den Unternehmenssitz und die Mitarbeiterzahlen nicht anzurühren.

Die Experten aber beruhigen. «Die Ängste vor Arbeitsplatz- und Technologieverlusten sind oft unbegründet», hat BDI-Mann Strack beobachtet. Transaktionsexperte Schilmar betont zudem: Das Bedürfnis chinesischer Firmen nach Rechtsschutz nehme zu, auch weil die Wettbewerbssituation in China stärker in den Vordergrund rücke. Die Käufer hätten kein Interesse daran, deutsche Firmen zu zerschlagen - im Gegenteil. «Die Schlagkraft soll nicht nur erhalten, sondern gestärkt werden.»

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Jürgen Franke 29.05.16 09:55
Das Greifen der Chinesen
nach deutschen Unternehmen wird sicherlich nicht immer einfach sein, da in fast allen Betrieben die Interessen der Belegschaft gewerkschaftlich vertreten werden. Diese Hürde muss in jedem Fall übersprungen werden, bevor der Griff Erfolg haben wird. Bedauerlicherweise hat sich in Deutschland die wirtschaftliche Situation so entwickelt, dass chinesisches Geld in einigen Branchen benötigt wird. Ob und in welcher Form deutsche Unternehmen zerschlagen werden, kann mit Sicherheit heute noch nicht beurteilt werden.