Vom IRA-Anführer zum Versöhner

Foto: epa/Paul Mcerlane
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BELFAST (dpa) - Der Friedensprozess in Nordirland hat einen seiner energischsten Befürworter verloren. Martin McGuinness, der ehemalige Vizeregierungschef des britischen Landesteils ist in der Nacht zum Dienstag gestorben. Er wurde 66 Jahre alt. Sein Tod fällt in eine schwierige Zeit: Kurz vor dem Beginn der Brexit-Verhandlungen über einen EU-Austritt Großbritanniens scheint der Frieden in Nordirland zerbrechlich wie lange nicht.

McGuinness war eine treibende Kraft hinter dem Friedensprozess, der dem Bürgerkrieg in Nordirland ein Ende bereitete und in das Kafreitagsabkommen von 1998 mündete. Er nahm als Chefunterhändler für die katholisch-republikanische Sinn-Fein-Partei an den Verhandlungen teil. Zwischen 1968 und 1994 hatte der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten mehr als 3.600 Menschenleben gefordert.

Der britische Ex-Premierminister Tony Blair würdigte den Beitrag von McGuinness zum Friedensprozess. «Das Nordirland-Friedensabkommen wäre niemals zustande gekommen ohne McGuinness' Führung, Mut und ruhiges Beharren darauf, dass die Vergangenheit nicht die Zukunft bestimmen sollte», schrieb Blair am Dienstag.

Doch McGuinness war nicht unumstritten. In den 70er Jahren gehörte er der Führungsriege der paramilitärischen Gruppe IRA (Provisorische irisch-republikanische Armee) an. Er wurde in der Republik Irland zweimal verurteilt. Sechs Monate verbrachte er im Gefängnis, nachdem er in der Nähe eines mit Sprengstoff beladenen Autos festgenommen worden war. Später sagte er sich los von der Gewalt und trat für die republikanisch-katholischen Partei Sinn Fein an.

Bis in die 80er Jahre wurden ihm enge Kontakte zu den Kämpfern der IRA nachgesagt. Er bestritt das, leugnete aber nicht seine IRA-Mitgliedschaft in den 70er-Jahren. Neben Parteichef Gerry Adams wurde er zu einem der führenden Köpfe der Partei.

Im Jahr 2012 schüttelte er Queen Elizabeth II. in Belfast lächelnd die Hand. Ein Bild, das wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre. Ebenfalls unerwartet war das freundschaftliche Verhältnis, das er in späten Jahren mit Ian Paisley pflegte, dem Gründer der protestantisch-unionistischen Partei DUP (Democratic Unionist Party). Die beiden schafften es 2007 ein Bündnis zwischen ihren bis dahin unversöhnlichen Parteien zu schmieden, wie es das Karfreitagsabkommen und weitere Übereinkünfte vorsehen.

Weniger gut kam er mit Arlene Foster aus, die seit 2016 als Regierungschefin für die DUP im Amt war. Die Koalition zerbrach im Januar 2017 am Streit um ein aus dem Ruder gelaufenes Förderprogramm für erneuerbare Energien. Dabei waren umgerechnet fast 500 Millionen Euro Steuergeld verschwendet worden. Die Schuld daran sieht Sinn Fein bei Foster.

Neuwahlen bescherten Sinn Fein im März einen erheblichen Zuwachs an Sitzen in der Nordirischen Nationalversammlung. McGuinness trat nicht mehr an. Er mag schon geahnt haben, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Medien spekulierten über eine schwere Herzkrankheit.

Der Friedensprozess steht vor einer ungewissen Zukunft. Der geplante EU-Austritt Großbritanniens rüttelt an den Grundfesten des Karfreitagsabkommens. Es wurde in dem Glauben geschlossen, dass zwischen den EU-Mitgliedern Großbritannien und der Republik Irland nie wieder Grenzposten errichtet würden. Doch das steht nach dem Brexit-Votum vom vergangenen Jahr im Zweifel. London will aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion austreten. Kontrollen an der inneririschen Grenze werden damit fast unvermeidbar.

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