Vom Essen und nicht vom Sterben reden

Eine Einführung in die thailändische Esskultur

Thailand hat keine so genannte „Trinkkultur“ - zu jeder Mahlzeit gehört normales, klares Trinkwasser (oft mit Eis). Wein, Bier, Soda, Kaffee, Limonade, Sekt, Milch, Saft etc. kamen erst später aus den westlichen Ländern hinzu. Dagegen hat Thailand eine große Esskultur. Wegen ihres Aromas und des guten Geschmackes erfordert die Zubereitung der Gerichte mehrere Arbeitsgänge. Thais sind der Meinung, dass nicht nur der Mund allein die Speise geniesst, sondern alle anderen Sinnesorgane auch. Man hört z.B. beim Kauen frischer Gemüse oder knusprig ausgebratener Beilagen ein knisterndes Geräusch im eigenen Mund, was den Appetit noch mehr anregt. Daher ist das Zubereiten in der Thaiküche ein ziemlich grosser Aufwand. Neben dem guten Geschmack müssen die Speisen auch schön und appetitlich aussehen - und vor allem einen aromatischen Geruch verströmen.

5 oder 7 Gerichte

Gerichte, die man zusammen mit Reis isst, nennt man „Gabkhao“ - meist gekürzt nur „Gab“ genannt. Alle Gerichte bzw. Gab und Reis werden zur gleichen Zeit serviert und sind für alle Personen gedacht. Die verschiedenen Gabs sind zum Auswählen da und stehen immer in der Mitte, so dass jeder sich bedienen kann, (ähnlich wie beim Abendbrot in Deutschland - Wurst, Käse, Schinken, Butter stellt man sie in die Mitte). Bei den wohlhabenden Leuten gibt es meist 5 oder 7 verschiedene Gerichte, und oft ist auch eine europäische Speise dabei. Bei den weniger Wohlhabenden sind es meistens nur drei verschiedene Gerichte. Es gibt scharfe, pikante und milde Gerichte, denn nicht jeder Thai kann scharf essen. Jeder kann aussuchen, was ihm schmeckt. Es werden nicht alle Speisen gemischt durcheinander gegessen, denn sie sind keine Beilagen, die miteinander gegessen werden sollen.

Die meisten Thais leben in einer Grossfamilie, und man muss das Essen so anrichten, dass für jeden etwas dabei ist. Zu jeder Mahlzeit gehört immer eine klare, milde Suppe (Gerng Choed). Die Suppe wird nicht als Vorspeise wie in den westlichen Ländern gegessen, sondern zwischendurch, um mit den scharfen Gerichten abzuwechseln und damit der Reis nicht zu trocken ist. Dass jemand schon satt ist, erkennt man an dem Besteck - Löffel und Gabel werden ordentlich zusammengelegt. Ein Messer wird nicht vorgelegt, denn in Thaispeisen kommt weniger Fleisch vor, und wenn, dann ist es schon in kleine, schmale Stücke geschnitten.

Die Zubereitung einer schmackhaften Speise fängt schon beim Schneiden an. Jede Gemüsesorte hat ihre eigenen Merkmale wie Aroma oder aber Knackigkeit. Für bestimmte Speisen, wie scharfe Salate oder Beilagen, wird Gemüse meist in dünne Scheiben oder lange Streifen geschnitten und bei geschmortem Gemüse in schmale Stücke, oft schräg der Länge nach der Schönheit wegen. Dadurch entsteht dann auch mehr Fläche, aus welcher der Gemüsesaft leicht herausläuft und somit den guten Geschmack ergibt. Schneidet man das Gemüse zu klein, verliert es zuviel Gemüsesaft und damit den eigentlichen aromatischen Geschmack. Ausserdem sieht Gemüse in grösseren Stücken appetitlicher aus, ist knackig zu kauen und vor allem - die Gemüsemischung zusammen mit Sojasosse gibt einen besonders feinen Geschmack. Verschiedene Gemüsesorten werden beim Schmoren nicht alle gleichzeitig in die Pfanne hineingegeben, denn jede Gemüseart hat eine unterschiedliche Garzeit. Gemüsesorten mit längerer Garzeit kommen zuerst dran, dann folgen die Sorten, die kürzere Zeiten brauchen, jeweils im Abstand von etwa 1-2 Minuten. Sie sollen nicht zu lange geschmort werden, sondern sofort aus der Pfanne genommen werden sobald sie gar sind. Durch langes Schmoren werden die Gemüse zu weich und matschig wie Brei - für die Augen unappetitlich und im Geschmack ungeniessbar. (deswegen schneidet man sie auch nicht zu klein).

Viele Thaispeisen stammen von den Adeligen, die einst im königlichen Palast lebten. Die Hofdamen waren erfinderisch in der Zubereitung; aus bestimmten Gemüsesorten wie Kürbis machten sie Süssspeisen, und aus Früchten machten sie warme Gerichte wie Curry (z.B. Jackfruit, Kokosfrucht, Stengel von bestimmtne Seerosen, Ananas), klare Suppen (Ananas), Eintöpfe mit scharfen Kräutern (innere Schale von der Wassermelone, Bananenblüten, junge Maiskolben), Beilagen zu Nudelgerichten (unreife Bananen, Sternäpfel, Ananas, Bananenblüte) oder scharfe Kräutersalate (Pomelo, unreife Mangos, unreife Papaya, Sandoricafrucht, Bananenblüten), Gemüsepfannen (junge Maiskolben, Kokosfrucht, Seerosenstengel, Lotuskerne, Ananas).

Es werden möglichst alle Teile von Pflanzen und Früchten verwertet : Schalen, Wurzeln, Kerne, Stiele, Blätter, Stengel, Kerngehäuse usw. Sie werden salzig oder säuerlich eingelegt, in Sirup eingekocht, überzuckert und getrocknet, auf Kohlenfeuer gegrillt, zu Salaten und Konfitüren verarbeitet, in dünne Scheiben geschnitten und im Fett ausgebacken, im Mehlteig mit Zucker und Kokosflocken getaucht und knusprig frittiert, im Dampftopf gedünstet und vieles andere mehr.

Die neue Generation, insbesondere wenn sie aus chinesischen Familien stammt oder Dorfbewohner vom Lande sind, kennt heute manche thailändischen Speisen nicht mehr.

Ursprünglich gab es in diesem Lande keinen Nachmittagskaffee, stattdessen aber leichte Speisen (Aharn Warng) als Zwischenmahlzeit (15.00 - 17.00 Uhr), die meist nicht warm gegessen wurden.

Familie mit Dienstboten

Adelige Familien lebten meist mit Eltern, Grosseltern und allen Geschwistern in verschiedenen Häusern gemeinsam auf einem grossen Grundstück. Die Dienstboten blieben meist über mehrere Generationen bei einer adligen Familie und konnten so gut zusammen arbeiten. Sie hatten ihren eigenen Wohnbereich, der etwas abgelegen von dem ihres Hausherrn war. (Keiner muss Miete zahlen, sie bekommen alle Lebensmittel kostenslos von ihrem Hausherrn, dazu noch extra Lohn).

Die Zubereitung der Thai-speisen nahm soviel Zeit in Anspruch, dass alle Hände gebraucht wurden. So entstand beim Kochen in einem Grossfamilien-haushalt ein „teamwork“ in der geräumigen Küche mit einer breiten Sitzbank, die etwa so gross wie ein Doppelbett war. Vier bis fünf Damen sassen auf diesem „Bett“ und bereiteten verschiedene Zutaten vor. Eine Dame hockte am Steinmörser und stampfte die verschiedenen Gewürze und Kräuter, um eine feine Currypaste herzustellen. Je nach der Sorte des Currys waren dies z.B. Zitronengras, Zitrusfruchtschale, siamesischer Ingwer (eine Art Galgant), Krabbenpaste, Schalotten, Knoblauch, getrocknete Paprika, Koriandersamen, Pfefferkörner. Bestimmte Kräuter wurden zuerst in kleine Streifen oder in dünnne Scheiben geschnitten - und diese wurden nicht alle auf einmal in den Mörser zum Stampfen gegeben, sondern jede Sorte jeweils nach und nach, bis eine feine Currypaste entstand. Das konnte bis zu einer Stunde dauern, da wegen der vielen Mitbewohner immer in grossen Mengen gekocht wurde. Eine andere Mitarbeiterin raspelte die Kokosnuss, um dann aus den Kokosflocken durch eine Mischung mit warmem Wasser die Kokosmilch auszupressen - und das ganze dauerte wiederum bis zu einer Stunde. Der Kokosraspeler bestand aus Holz, der in Hasenform geschnitzt wurde und gross genug war um darauf zu sitzen. Der Hase hatte „Zähne“ aus Eisen mit scharfen Zacken an der Spitze, die aus seinem Mund herausragte. Die Kokosnuss mit ihrer ganz dicken, harten Schale wurde zuerst durch eine Art Beil senkrecht halbiert. Dann hielt man, auf dem Hasen sitzend, die äussere Kokosschale mit beiden Händen und schabte an den Zacken des Hasen das Innere der Kokosnuss. Man begann dazu am Rand und schabte nach innen drehend jeweils im Rhythmus von 3-4 Wiederholungen auf der selben Stelle bis die ganze Kokosnuss rundherum „ausgeschabt“ war. Heute kann man Kokosflocken auf dem Markt kaufen; allerdings werden sie mit der Maschine zerkleinert, was nur ein paar Minuten dauert. Bei dieser Methode erhält man durch die zusätzliche Verwendung der inneren braunen Kokosschale keine appetitlich aussehenden schneeweissen Flocken wie mit der Hand geschabt. Auch für die Currypaste gibt es heutzutage elektrische Geräte, welche die ganzen Kräuter und Gewürze in ein paar Sekunden zerkleinern - aber Geschmack und Geruch sind bei weitem nicht so köstlich, wie mit der Hand zubereitet. Deswegen mischen viele thailändische Hausfrauen das Traditionelle mit dem Modernen; einen Teil der Currypaste kaufen sie auf dem Markt, und einen Teil stampfen sie wegen des Aromas selber dazu. Darum darf in keiner Thaiküche ein Mörser fehlen, es wäre keine vollständige Küche. Was in der Thaiküche noch auffallend ist: das Brett zum Schneiden ist rund und aussergewöhnlich dick - mindestens 3 cm. Auf diesem dicken Schneidebrett wurde auch das Fleisch mit einem grossen Hackmesser zerkleinert, indem man es rhythmisch zerhackte - (Rythmus wie bei einem Specht, wenn er auf dem Holz klopft). So entstand beim Kochen in den Grossfamilien der Thailänder immer ein „Küchenkonzert“ von Hacken, Stampfen und Raspeln.

Weil die Thais immer mit dem Essen beschäftigt waren, entstand eine spassige Redensart : „rüang ghin rüang yai- rüang tai rüang lek“ (Thema Essen grosse Rolle, Thema Sterben kleine Rolle) Sie meinen damit: „Hauptsache, das Essen schmeckt - dass jemand sterben wird, ist nicht so schlimm !“

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