Vertuscht, verschwiegen, versetzt

Der Erzbischof von Melbourne, Denis Hart, gibt am 15.12.2017 in Melbourne (Australien) eine Pressekonferenz. Foto: dpa/David Crosling/AAP
Der Erzbischof von Melbourne, Denis Hart, gibt am 15.12.2017 in Melbourne (Australien) eine Pressekonferenz. Foto: dpa/David Crosling/AAP

SYDNEY (dpa) - Paul Gray war zehn, als er von einem Geistlichen vergewaltigt wurde. Anschließend schnitt ihm der Gottesmann auch noch mit einem kleinen Messer ins Fleisch und tröpfelte das Blut über seinen Rücken - angeblich, um das Leid Christi zu symbolisieren. Das Ganze geschah schon Mitte der 1960er Jahre, in einem Heim namens St. Alban's in Cessnock, einer australischen Kleinstadt im Norden von Sydney. Aber erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, als längst erwachsener Mann, sprach Gray zum ersten Mal darüber.

Seine Aussage gehört zu den erschütterndsten Dokumenten des Abschlussberichts, den Australiens «Königliche Kommission» zum sexuellen Missbrauch von Kindern am Freitag nach fünf Jahren Arbeit veröffentlichte. Demnach wurden auf dem fünften Kontinent zwischen 1950 und 2015 Zehntausende Kinder Opfer sexueller Gewalt - oft in Einrichtungen der Kirche (vor allem der katholischen), aber auch in staatlichen Schulen, in Sportvereinen oder bei den Pfadfindern.

Wie viele Opfer es genau waren, kann niemand sagen. Im Bericht der Kommission heißt es: «Die genaue Zahl werden wir nie wissen.» Das Ganze sei aber keineswegs ein «Fall von ein paar faulen Äpfeln». «Die wichtigsten Institutionen der Gesellschaft haben schwer versagt.» Premierminister Malcolm Turnbull sprach von einer «nationalen Tragödie». Die katholische Kirche bat förmlich um Entschuldigung.

Tatsächlich ist das Ausmaß enorm. Die Kommission schätzt, dass heute noch etwa 60.000 Opfer Anspruch auf Entschädigung geltend machen könnten - wenn es denn so etwas gibt. Nach ihren Recherchen wurden über sechseinhalb Jahrzehnte hinweg Kinder in mindestens 4.000 Einrichtungen missbraucht, in Schulen, Kirchen, Heimen, Internaten. Die Mehrheit der Opfer waren Jungen. Durchschnittlich waren sie nicht einmal zwölf Jahre alt. In vier von fünf Fällen blieb es nicht bei einem Mal.

Die große Mehrheit der Täter waren Männer - oft Priester und Lehrer, aber nicht nur. Eines der besonders schlimmen Zahlen: Im Durchschnitt der Jahrzehnte sollen sich sieben Prozent von Australiens katholischen Priestern an Kindern vergangen haben. In einigen Kreisen war es besonders schlimm: Im Johannes-Orden «St. John of God Brothers» machte fast jeder zweite Priester beim Missbrauch mit.

Wer erwischt wurde, musste nach Feststellungen der Kommission keine großen Konsequenzen fürchten. «Obwohl die Kirchenführung wusste, dass sie eine Gefahr bedeuten, hatten mutmaßliche Täter oft weiterhin Zugang zu Kindern», heißt es in dem Bericht. «Wir haben gehört, dass sie oft versetzt, aber selten angezeigt wurden.» Damit war die katholische Kirche keine Ausnahme. Auch die «Zeugen Jehovas» sollen 1.000 mutmaßliche Täter toleriert haben.

Mit der «Königlichen Kommission» ist Australien weiter als die meisten anderen Länder der Welt. Vielerorts steckt die Aufklärung über die systematische Misshandlung von Kindern noch in den Anfängen. Zudem gab die Kommission Politik und Kirchen auch eine ganze Reihe von Ratschlägen, was verbessert werden könne. Der Abschlussbericht enthält nicht weniger als 400 Vorschläge.

Dazu gehört, dass Kinder an Kindergärten und Grundschulen künftig besser vorbereitet werden sollen. Australien soll eine nationale Behörde zum Kinderschutz und einen «Kinder-Minister» bekommen. Wer sexuellen Missbrauch beobachtet und nicht meldet, soll selbst bestraft werden können. Turnbull setzte sogleich eine Arbeitsgruppe ein, die die Vorschläge prüft, auch das Thema Entschädigung.

Schwieriger mit den Empfehlungen tut sich Australiens katholische Kirche. Ihr legte die Kommission nahe, eine Lockerung der Zölibats zu prüfen und auch eine teilweise Aufhebung der Beichtgeheimnisses: Wer als Priester im Beichtstuhl von sexuellem Missbrauch hört, soll künftig zur Polizei gehen können.

Der Vorsitzende der australischen Bischofskonferenz, Melbournes Erzbischof Denis Hart, lehnte dies unverzüglich ab. «Die Strafe für jeden Priester, der das Beichtgeheimnis bricht, ist die Exkommunikation.» Bei früherer Gelegenheit hatte Hart schon kundgetan, dass er eher ins Gefängnis gehen würde. Darauf verzichtete er am Freitag. Gleichwohl bat der Erzbischof nochmals ausdrücklich um Entschuldigung für die «beschämende Vergangenheit».

Dass das Thema nicht ausgestanden ist, ist aber auch der Kirche klar. Spätestens im März wird es wieder Schlagzeilen geben: Dann hat Australiens höchstrangiger Katholik, Kurienkardinal George Pell (76), seinen nächsten Termin vor Gericht. Der Papst-Vertraute muss dann zu Vorwürfen Stellung nehmen, selbst mehrere Jungen missbraucht zu haben. Pell streitet dies vehement ab. Von seinem Amt als Finanzchef des Vatikans ließ er sich aber beurlauben.

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Leserkommentare

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Hans-Dieter Volkmann 18.12.17 21:56
Mike Dong/ Gott u. die Biebel 18.12.17 7:24
Herr Dong ,vielen Dank für ihren Hinweis. Matthäus Kap. 5 Vers 29 war meine Bezugsquelle. Würde die kath Kirche sich danach ausrichten wäre sie glaubwürdiger.
TheO Swisshai 18.12.17 21:55
@Hans-Dieter Volkmann / kranker Körperteil
Herr Volkmann, vermutlich hat Herr Franke gedacht, Sie hätten geschrieben es stehe in der Bibel,, man solle solchen Tätern den "kranken Körperteil" ausreißen, wobei er wohl davon ausgegangen ist, es seien damit die Geschlechtsteile der Täter gemeint gewesen. Wenn ich mir das so überlegen, wäre das doch eigentlich genau die richtige Strafe! Nur diese Maßnahme garantiert, dass die Täter sich nicht an weiteren Opfern vergehen. Außerdem hätte das Vorgehen unbestreitbar eine sehr hohe präventive Wirkung. Ein Ausschluss aus der Kirche sollte so der so die logische Folge sein und keinesfall eine Bestrafung darstellen, denn damit kämen die Täter viel zu milde weg.
Norbert Kurt Leupi 18.12.17 13:04
Gott und die Bibel / Herr Mike Dong
So setzt jeder seine Prioritäten ! Sie halten sich an das langweilige " Buch der Bücher " , ich bevorzuge das Kapital von K.Marx und die Braunen lieben mein Kampf ( oder Krampf ), vom Autobahnbauer ADOLF Schicklgruber ! Jedem sein Bestseller !
Mike Dong 18.12.17 09:08
Gott u die Bibel
Matthew 13:24-30, ist auf was Herr Volkmann hinweist. Man muß auch nicht unbedingt an Gott glauben, um die heute immer noch aktuellen Weisheiten der Bibel zu studieren. Das die kath Kirche u viele Priester sich schuldig gemacht haben, steht ja wohl ausser Frage, hat aber nichts mit dem "Buch der Bücher" zu tun.
Hans-Dieter Volkmann 17.12.17 22:56
Jürgen Franke 17.12.17. 20:58
Herr Franke, ehrlich gesagt jetzt verstehe ich Sie garnicht. Was meinen Sie mit Veranlagung/Krankheit? Ich habe davon nichts geschrieben. Ich nehme mal an das Sie den Satz: "Einen kranken Körperteil ausreißen damit der übrige Teil keinen Schaden nimmt", nicht verstanden haben. Ich sag es Ihnen. Es handelt sich um ein Gleichnis. Der kranke Teil ist der kath. Geistliche welcher sich an Kinder vergreift. Die kath. Kirche, mit dem Papst als Oberhaupt ist der Körper. Dieser Körper hat erheblichen Schaden genommen. Dieser Schaden wäre zumindest geringer gewesen hätte der Papst den infizierten Körperteil ( die Kinderschänder) unverzüglich zur Rechenschaft gezogen und aus der Kirche ausgeschlossen, also aus dem gesunden Körper ausgerissen. Ich persönlich halte ein solches Gleichnis keinesfalls für Unsinn.
Jürgen Franke 17.12.17 21:00
Herr Volkmann, ich habe garnicht
gewußt, dass auch so ein Unsinn in der Bibel steht. Ich gehe aber davon aus, dass Sie zu mindestens sehr wohl wissen, dass diese Veranlagung keine Krankheit ist. Aber der ganze andere Quatsch, der in diesem Buch steht, scheint ja wohl zu stimmen. Wichtig ist vor allem, dass daran geglaubt wird.
Hans-Dieter Volkmann 17.12.17 18:55
Verstuscht, verschwiegen.....
Hoffentlich werden nicht alle christlichen Religionsgemeinschaften in einen Topf geworfen. Hier ist es wieder einmal die "Katholische Kirche". Sieben Prozent der kath. Priester haben in der Vergangenheit sich an Kinder vergriffen und was macht der Pabst als Oberhaupt? Er hält sich nicht an das was die Bibel empfiehlt.
(Einen kranken Körperteil ausreißen damit der übrige Teil keinen Schaden nimmt) Der Papst müßte alle schuldig gewordenen Kirchenmitglieder unverzüglich aus der Kirchengemeinschaft ausschließen. Aber er hat viel Verständnis für seine Mitarbeiter. Die würden dann wohl ihren wohlgefüllten Tropf verlieren.