Vernunftehe im Zuggeschäft

Foto: epa/Etienne Laurent
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MÜNCHEN/PARIS (dpa) - Siemens koppelt seinen ICE mit dem TGV von Alstom zusammen. Die Fusion stößt in Frankreich nicht nur auf Gegenliebe. Doch der harte Wettbewerb zwingt die Hersteller zum Handeln.

Im zweiten Anlauf haben Siemens und Alstom doch noch zueinander gefunden. Mit ihrer deutsch-französischen Zugfusion treiben die Unternehmen die lange erwartete Konsolidierung in der Branche voran.

Im Himmel wird die Hochzeit nicht geschlossen - dafür ist das Wettbewerbsumfeld mit dem neuen Riesen-Konkurrenten CRRC aus China zu hart. Und vor allem in Frankreich gibt es auch Zweifel, ob Alstom mit seinem Aushängeschild - dem Hochgeschwindigkeitszug TGV - nicht unter die Räder kommt. Trotzdem wird der Zusammenschluss als vernünftig gelobt und hat den Segen beider Regierungen.

Siemens-Chef Joe Kaeser aber weiß, dass gerade in Frankreich bei so einem Projekt auch politisches Fingerspitzengefühl gefragt ist. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge beschwört er die Vorteile für beide Partner und hebt Verbindendes hervor. Das ganze Konstrukt - von der ganz knappen Mehrheit für Siemens über den Firmensitz und die Börsennotierung in Frankreich bis hin zur operativen Führung für die Franzosen - ist fein austariert.

Schließlich soll es eine «Fusion unter Gleichen» sein. Abseits der Macht- und Mehrheitsverhältnisse aber geht es dann doch vor allem ums Geschäft, lässt Kaeser wissen. Denn ausschlaggebend sei allein der Erfolg bei den Kunden.

Seit Jahren schon hatte der Siemens-Chef auf die Notwendigkeit von Zusammenschlüssen in der Branche hingewiesen. Bereits 2014, beim Übernahmepoker um Alstom gegen den US-Rivalen General Electric, war eine Zug-Fusion mit den Franzosen im Gespräch.

Damals sahen Arbeitnehmervertreter den Plan noch kritisch. Doch heute zeichnet sich deutlich ab, dass die europäischen Hersteller Siemens und Alstom sowie der kanadische Anbieter Bombardier mit seinen Europa-Standorten auf Dauer allein aufgeschmissen wären gegen die Wettbewerber aus Fernost. Selbst der Kunde Deutsche Bahn streckt schon die Fühler nach günstigen Komponenten der Chinesen aus.

In den Verhandlungen haben sich Unternehmens- und Arbeitnehmervertreter auf einen Kompromiss geeinigt, der nicht nur die Mitbestimmung in der fusionierten Firma absichern soll, sondern auch vierjährige Standort- und Beschäftigungsgarantien enthält. Dass man danach um gewisse Einschnitte wohl kaum herumkommen wird, ist auch den Arbeitnehmern klar. Alstom und Siemens mit zusammen weltweit rund 60.300 Beschäftigten in dem Geschäft sind in ähnlichen Märkten unterwegs - und haben bei ihren Produkten sowohl Überschneidungen als auch Ergänzungen.

Einsparpotenziale könnten sowohl im Einkauf als auch im Vertrieb und Projektmanagement zu heben sein. Das könnte nach dem Ende der Beschäftigungsgarantien auch einen Stellenabbau nach sich ziehen - schon kursieren erste Schätzungen von rund 3.000 Jobs, die dann ins Wanken kommen könnten. Siemens beschäftigt in Deutschland rund 13.500 Menschen im Zuggeschäft, vor allem an den Standorten Krefeld und Braunschweig sowie unter anderem in München-Allach, Erlangen und Berlin. Bei Alstom sind es in Deutschland rund 3.000 Beschäftigte, davon arbeitet ein Großteil in Salzgitter.

Bei der IG Metall hebt man dennoch die Chancen hervor. Angesichts des schärferen Wettbewerbs und des Umbruchs in der Branche müsse sich die europäische und deutsche Bahnindustrie neu aufstellen, erklärte IG-Metall-Vorstandsmitglied und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner nach der Bekanntgabe der Fusionsentscheidung: «Der Zusammenschluss von Siemens und Alstom kann ein Schritt in diese Richtung werden.»

In der französischen Presse wurde der Deal teilweise als «delikat» bezeichnet, der «Figaro» sprach von einer «bitteren Pille». Schließlich ist der von Alstom produzierte Hochgeschwindigkeitszug TGV ein industrielles Aushängeschild des Landes, das damit in deutsche Hände kommt. Zumal die frühere Gasturbinen-Sparte von Alstom erst vor wenigen Jahren an den amerikanischen Großkonzern General Electric verkauft wurde.

Bei der wichtigsten Alstom-Gewerkschaft CFE-CGC hält man einen Zusammenschluss mit Siemens oder Bombardier zwar für notwendig, um der chinesischen Konkurrenz entgegenzutreten. «Wenn man eine ausreichende Schlagkraft will, ist eine Neuordnung unumgänglich», sagte Gewerkschafts-Koordinator Claude Mandart der dpa.

Doch die beiden Bahn-Unternehmen seien «komplett symmetrisch, das ist exakt das Gleiche auf der Seite von Siemens und auf der Seite von Alstom». Ziel bei solchen Zusammenschlüssen sei es, Synergieeffekte zu finden - und das werde auf längere Sicht zwangsläufig zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.

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