„Und tschüs“!

„Und tschüs“!

Dieser letzte Gruß machte mich sprachlos. Er stand auf der Rückseite eines Rezeptes einer jungen Thai, die von ihrem Lover verlassen worden war, und sich vom Balkon unseres Condos gestürzt hatte.

Der Suizid gehört in Thailand zum Alltag. Das Land liegt bei der Selbsttötungsrate im internationalen Vergleich ziemlich weit vorn. Wobei viele davon überzeugt sind, dass „Selbstmörder“, die man gefesselt und mit Plastiktüten überm Kopf erhängt aufgefunden hat, wohl eher Mordopfer sind. Das sieht die Polizei zumeist anders, da sie sich dadurch die Suche nach den Tätern oder deren Gehilfen erspart.

In Deutschland hat die Diskussion über die Sterbehilfe gerade Konjunktur. Der ehemalige Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks, Dr. Udo Reiter, der viele Jahre lang halb gelähmt im Rollstuhl verbringen musste, schoss sich in den Kopf, nachdem er kurz zuvor in einer Talkshow engagiert für das Recht auf Selbsttötung plädiert hatte. Und in der gleichen Sendung erklärte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Nikolaus Schneider, er wolle seine krebskranke Frau, nicht aus Überzeugung sondern aus Liebe in die Schweiz begleiten, wo sie den Becher mit der erlösenden Medizin gereicht bekäme.

Eine Ethik-Kommission wird jetzt in Deutschland darüber entscheiden, wer wann und wie aus dem Leben scheiden darf: Ärzte, Psychologen, Juris­ten und Kirchenvertreter, nur die Betroffenen nicht. Die Leidenden werden entmündigt, Dementen die Selbstbestimmung verweigert, letztere, da sie zu einer eigenen Entscheidung gar nicht mehr fähig sind.

Wer wundert sich da noch über den Sterbe-Tourismus in die Schweiz oder nach Holland oder Belgien?

Das Argument gläubiger Christen lautet: „Gott hat das Leben gegeben, und nur er darf es wieder nehmen“. Natürlich akzeptiere ich diese Ansicht. Aber für mich lasse ich sie nicht gelten. Meiner festen Überzeugung nach hat jeder Mensch das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob und wann er aus dem Leben scheiden will. Bis heute müssen Ärzte, die dabei behilflich sind, in Deutschland um ihre Approbation fürchten. Ihnen bleibt eigentlich nur der Verweis auf die Hospize, wo eine palliative Medizin in der Lage ist, Schmerzen und Leiden zu mindern. Allerdings gibt es viel zu wenige solcher Einrichtungen.

Die meisten Menschen haben keine Angst vor dem Tod sondern vor dem Leiden, das diesem Sterben oft vorausgeht. Manchmal helfen Gespräche mit Ärzten und Psychiatern, und oft stellte sich auch schon heraus, das Lebensüberdrüssigkeit ihren Grund in einer schweren Depression hatte. Und nach einer entsprechenden Behandlung kehrte oft die Lebensfreude zurück.

Ich maße mir nicht an, über die Beweggründe und Entscheidungen anderer zu urteilen. Aber als direkt Betroffener, der seine Mutter auf diese Weise verloren hat, weiß ich um das Leid der Hinterbliebenen. Und der Lokführer, der den Nationaltorwart überfahren hat, sagte kürzlich, dass er von diesem Vorfall immer noch traumatisiert und nicht arbeitsfähig sei.

Im Laufe der vergangenen Jahre haben etliche Mitbewohner meines Condos sich das Leben genommen. Krankheiten, Liebeskummer oder Geldsorgen waren angeblich die Gründe dafür, manchmal auch nur ein spontaner Streit, verbunden mit reichlich Alkoholkonsum. Es waren häufiger Männer als Frauen, häufiger Farangs als Thais.

Auf dem Lande, beispielsweise im Isaan ist es wohl anders, wenn auch nicht seltener, aber offensichtlich qualvoller, weil hier häufiger die Einnahme von Insektiziden und anderen Giften zur Anwendung kommen, die das schmerzvolle Sterben über Stunden hinausziehen können. Eine schreckliche Vorstellung!

Ein würdevolles Sterben gehört zur Freiheit des Menschen, aber keine Maschinen, die das ungewollte Leben und Leiden verlängern. Man kann sich dagegen wehren, indem man neben einer Vorsorgevollmacht auch eine Patienten-Verfügung bei einem Rechtsanwalt oder Notar aufsetzen lässt, hierzulande möglichst auch in thailändischer Sprache. Und bestimmt wäre es sinnvoll, wenn der Gesetzgeber gewisse Regeln aufstellen würde, um zu verhindern, dass interessierte Erben den Freitod befördern. Der Bundestag in Deutschland berät gerade über ein neues Gesetz.

„Alles Leben ist Leiden“ sagt Buddha. Wer sich aus eigenem Willen aus diesem Leiden erlösen will, ist weder ein Held noch ein Feigling. Er nimmt nur das selbstverständliche Recht des Menschen in Anspruch.

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Jack N.Kurt Leupi 22.12.16 18:13
Und Tschüss.....
Kurz und bündig :es gibt tausende von Krankheiten und nur eine Gesundheit, aber wenn diese einzige Gesundheit auch auf krank macht und nur noch Leid und Schmerz auftritt,gelindert durch Morphium, dann sollte man den Stecker ziehen ! Dem Leidenden zuliebe!
Joerg Agner 17.11.15 22:22
Vortrefflich formuliert
Hallo Herr Krüger, ich nicht immer konform mit dem was ich von ihnen lese - aber hier haben sie wohlformuliert wer eigentlich betroffen ist und wer dadurch auch bei einer Entscheidung gehört werde sollte.
Appropo - ich kann mir nicht verkneifen zu fragen in was für einen Condo sie leben - wenn die Selbstmordrate so hoch ist wird ja öfters eine Wohnung frei sein ?