Unbeliebt, aber alternativlos?

Foto: epa/Kimimasa Mayama
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TOKIO (dpa) - Wenn US-Präsident Donald Trump Anfang November zu Besuch nach Japan kommt, kann er voraussichtlich seinem Verbündeten Shinzo Abe wieder kräftig die Hand schütteln. Und ihm dabei gratulieren.

Denn Abe, der Trump so nahe steht wie wohl kaum ein anderer ausländischer Regierungschef, wird seinen Gast voraussichtlich als Wahlsieger begrüßen. Jüngsten Umfragen zufolge steuert die Koalition des 63-jährigen Rechtskonservativen bei der Wahl zum mächtigen Unterhaus des Parlaments an diesem Sonntag auf einen soliden Sieg zu und könnte womöglich sogar ihre Zwei-Drittel-Mehrheit behalten. In Zeiten einer «nationalen Krise», von der Abe unter Hinweis auf Nordkoreas Raketen- und Atomprogramm und Japans rapider Überalterung sprach, würde die Nummer Drei der Weltwirtschaft damit also auf Kontinuität setzen.

Mit einem Wahlsieg könnte Abe zugleich der Vollendung seines politischen Lebensziels einen weiteren Schritt näher kommen: einer Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung. Kritiker befürchten, dass es dabei nicht nur um eine Änderung des Pazifismusartikels 9 gehen wird, der Japan Krieg als legitimes Mittel des Staates verbietet. Sondern auch um eine weitreichende Einschränkung grundlegender Bürger- und Freiheitsrechte. Mancher befürchtet schon, dass die älteste Demokratie Asiens nicht mehr das demokratische Land sein wird, das es seit dem Zweiten Weltkrieg war.

Doch für eine Verfassungsänderung reicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament Abe nicht. Er müsste auch ein Referendum gewinnen. «Ich glaube nicht, dass er das kann», so der Politikwissenschaftler Michael Cucek von der Temple University in Tokio. «Je länger Abe über etwas spricht, desto weniger Leute mögen es», erläutert der Experte. «Abe ist unbeliebt», fasst die führende japanische Wirtschaftszeitung «Nikkei» das Ergebnis einer Umfrage kurz vor der Wahl zusammen. Der Rechtskonservative hat demnach weit mehr Kritiker als Unterstützer.

«Nikkei» zufolge lehnen 48 Prozent der Japaner Abes Regierung ab, nur 37 Prozent unterstützen sie. Dennoch dürfte Abes Liberaldemokratische Partei (LDP) mit ihrem kleinen Koalitionspartner Komeito rund 300 der 465 Sitze im Unterhaus gewinnen. Wie passt das zusammen? Professor Koichi Nakano von der Sophia University in Tokio macht dafür Japans Wahl- und Parteiensystem verantwortlich. «Das japanische Wahlsystem ist sehr undemokratisch», kritisiert der Politikwissenschaftler.

So müssen japanische Politiker, um überhaupt kandidieren zu können, sogenannte «Depositen» in Höhe von mehreren Millionen Yen aufbringen. «Neue Parteien haben es sehr schwer», erläutert Nakano. Amtsinhaber sowie Politiker, die ihre Mandate von ihren Vätern quasi «geerbt» haben, würden zudem vom System bevorteilt. 289 der 465 Abgeordneten werden am Sonntag nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt, der Rest nach dem Verhältniswahlrecht. Das Wahlrecht begünstigt dabei in dem ostasiatischen Land die relativ stärkste Partei. Und das ist die LDP.

Die profitiert zudem von der Zersplitterung der Opposition. Viele Japaner seien enttäuscht und sähen keine Alternative zu Abe, erklärt Nakano. Die Folge: Rund die Hälfte der Japaner gehe inzwischen überhaupt nicht mehr wählen. Auch das hilft der LDP, die seit 1955 mit zwei kurzen Unterbrechungen die Regierung in Japan stellt.

Dabei waren Abes Umfragewerte im Zuge von Skandalen vor noch gar nicht langer Zeit deutlich abgesackt. Doch dann stimmte der Regierungschef viele geschickt mit einem Umbau seines Kabinetts gnädig. Zudem konnte er sich dank Nordkoreas Raketen seinem Volk als starker Führer präsentieren. Prompt zogen die Umfragewerte wieder an.

Da überdies die bis dahin größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans (DPJ), ein Bild des Niedergangs abgab, nutzte Abe die Chance: Er löste das Unterhaus für Neuwahlen auf, gut ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode - und verhinderte so, dass ihn die Skandale im Parlament einholten. Das Recht zur vorzeitigen Auflösung des Unterhaus war schon immer die stärkste Waffe des Regierungschefs gegen Oppositionsparteien - wie auch gegen innerparteiliche Gegner.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als würde Abe Gefahr durch eine andere konservative Partei drohen: Tokios charismatische Gouverneurin Yuriko Koike gründete völlig unerwartet die «Partei der Hoffnung». Die Folge dieses politischen Erdbebens war, dass die DPJ in zwei Teile zerfiel: Viele ihrer Abgeordneten treten jetzt für Koikes konservative Partei an. Liberale Kräfte der DPJ wies Koike dagegen mit brüsken Worten ab. Wie Abe will sie das Militär stärken und die Verfassung, die Krieg als ein Mittel der Politik verbietet, ändern.

Liberale Ex-DPJler, die das ablehnen, schlossen sich zur neu gegründeten Partei für Konstitutionelle Demokratie (PKD) unter Yukio Edano zusammen. Jüngsten Umfragen zufolge liegt seine Partei zwar weit hinter Abes LDP, aber inzwischen vor Koikes Partei der Hoffnung. Einen Machtwechsel wird aber keine der beiden neuen Parteien am Sonntag bewirken. Zu Abe, so scheints, gibt es keine Alternative.

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Jürgen Franke 22.10.17 10:05
Der Redaktionsbericht gibt einen Einblick, in die
politische Realität Japans, der Nummer drei der Weltwirtschaft. Das Parlament besteht zwar lediglich aus 465 Abgeordneten, die, um kandidieren zu können und später gewählt zu werden erst einmal einen Haufen Geld vorweisen müssen. Aber auch das versteht man unter Demokratie, die älteste Asiens.