Über den Werte-Verfall im Urlaubsparadies

Über den Werte-Verfall im Urlaubsparadies

Es ist Februar, seit Silvester krachen Böller und Raketen durch die Nacht und rauben allen Bewohnern den Schlaf. Carlos zweifelt seit einiger Zeit daran, ob er noch zeitgemäß oder schon hoffnungslos veraltert ist. Alles, was er als Kind gelernt hat, ob es sich um Rücksichtnahme oder Höflichkeit, ob um Pünktlichkeit oder um Redlichkeit handelte, es scheint heute nichts mehr zu gelten. Respekt vorm Alter? Fehlanzeige. Anständigkeit? Was ist das? Der Trend zur Individualität hat im Westen dornige Blüten hervorgebracht, die jetzt in Thailand ihre giftigen Früchte entwi­ckeln: Nacktbaden verboten! "Scheiß drauf, ich bade nackt!" Kopulation am helllichten Tag vor neugierigen Gaffern am Strand: "Na und?"

Als Carlos mal in einer Kolumne korrekte Kleidung anmahnte, antwortete ihm ein Leser, er würde auch nackt durch die Stadt laufen, das sei allein seine Entscheidung. Zum Glück ist es noch nicht ganz so. Dieser feine Adam würde höchstwahrscheinlich in einer Zelle in der Soi acht landen und Zeit finden, um über seine Rücksichtslosigkeit nachzudenken.

Rücksichtslosigkeit wird zur Norm

Als Carlos kürzlich in Bangkok eine Nacht in einem Hotel verbrachte – nein, durchlitt, weil andere Gäste zu beiden Seiten seines Zimmers so lautstark bis in die Morgenstunden hinein lärmten und feierten – so dass er schließlich die Rezeption bat, diesem Lärm ein Ende zu machen, da sah er wieder einmal ganz alt aus. Der Anruf bewirkte gar nichts. Der Krach dauerte an bis zum Sonnenaufgang, bis alle ins Koma gefallen waren. Beim Auschecken sagte Carlos, dass er in Zukunft in ein anderes Hotel wechseln würde. Der Geschäftsführer zuckte nur hilflos mit den Schultern: "Leider können wir uns unsere Gäste nicht aussuchen."

Vor wenigen Tagen saß Carlos in einem völlig überfüllten 10-Baht-Taxi, als ein Mann einstieg, der sich inmitten der zusammengepressten Fahrgäste eine Zigarette anzündete. Als Carlos ihn auf das Rauchverbotsschild hinwies, fragte der Raucher ihn, ob er Bekanntschaft mit dessen Faust machen wolle. Keiner sagte etwas dazu, und keiner hätte sich im Zweifelsfall an seine Seite gestellt.

Selbst an hohen Feiertagen kann man Farangs in sogenannten 4-Sterne-Restaurants erleben, die wie Penner gekleidet sind. Die sind der Meinung, im Urlaub herumlaufen zu dürfen wie sie wollen, schließlich wären sie ja diejenigen, die das Geld nach Thailand brächten. Wer wird diesen Ignoranten jemals beibringen, dass sie hier Gäste sind und keine Herren?

Erich Kästner schrieb einst über sie: "Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit blöder Visage.

Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt, die Welt asphaltiert und aufgestockt bis zur 30. Etage………

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund den Fortschritt der Menschen geschaffen.

Doch davon mal abgesehen und bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund noch immer die alten Affen."

Diese Herrschaften, die sich hier alle Rechte herausnehmen, sollen gefälligst beachten, dass es auch hier Gesetze gibt, an die sie sich zu halten haben.

Was bedeutet denn Rücksichtnahme? Für Carlos, so hat er es gelernt, bedeutet es, andere nicht zu belästigen.

Er musste noch den Satz auswendig lernen: "Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt." Und er versucht, das zu beherzigen.

Und das gilt nicht nur am Strand oder im Restaurant, im Hotel oder im Taxi, das gilt überall, auch in den offenen Bars, wo die besoffenen Ladys bis in die Frühe herumkreischen. Rücksichtnahme ist ein Friedensstifter, ein Schlüssel, um Menschen unterschiedlicher Kultur einander näherzubringen.

Muss es denn sein, dass Touristen sich am Strand ihre nächtlichen Abenteuer so laut zuschreien, dass sämtliche Nachbarn ungewollt mit anhören müssen, was sie für tolle Hechte sind? "Fünfmal hintereinander." Darf man nicht erwarten, dass Besucher im Theater und Konzert ihre Handys ausstellen? Kleinigkeiten, gewiss, aber sie helfen, das Leben nebeneinander und untereinander erträglicher zu machen.

Thais sind auch nicht besser

Wer sich nicht an soziale Übereinkünfte hält – moralische oder gesetzliche, geschriebene oder ungeschriebene, stört den sozialen Frieden, verhält sich asozial. Das kann ein armer Hund sein oder ein reicher Depp. Leider gibt es sie überall. Und Carlos möchte ausdrücklich erwähnen, er meint nicht nur Farangs. Thais sind nicht besser. Sie scheren sich nicht um die Hinterlassenschaften ihrer Köter, spucken Kaugummis aus, wo sie gerade sind und werfen die Zigarettenkippe oder den Bauschutt gleich hinterher. Einen Urlaub in Singapur würde Carlos diesen Herrschaften nicht empfehlen, denn dort warten hohe Geldstrafen oder gar Knast auf sie.

Carlos war immer der Meinung, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber was Rücksichtnahme angeht, da glaubt er einfach nicht mehr, dass seine Appelle fruchten.

Einen wird dieser Appell von Carlos nun leider ganz bestimmt nicht mehr erreichen. Die Nationalität dieses Typen spielt dabei überhaupt keine Rolle, denn Leute wie ihn findet man überall. Er wohnte in unserem Condo, ein Chopper, ein Motorradnarr, er raste am liebsten tief in der Nacht mit seiner frisierten schweren Harley Davidson durch die Stadt, so dass die meisten Bewohner rundum aus den Betten fielen. Bei 2,6 Promille ist es dann geschehen.

Er hat jetzt seine ewige Ruhe gefunden. Wir unsere vorläufige.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Thomas Thoenes 21.01.16 20:48
Werteverfall?
Der Bericht klingt so'n bischen nach einem verzweifelten Versuch durch einen Fingerzeig die Dinge ändern zu wollen und wenn nicht möglich doch zumindest die Bösen Proleten anzuprangern. Früher war alles besser - da gabs sowas nicht. Hat was von der Oma, die jeden Tag am Fenster hängt und Parksünder aufschreibt. Ich denke gerade Pattaya und Bangkok waren, sind und werden nie sein ein Urlaubsparadies für den der Ruhe und dem Anstand zugetanen Urlauber. Auf Ibiza wird 24/7 German-Party gemacht, in der Türkei san- und randalieren All-Inclusive Russen, auf Malle braten grölende Tommys in der Sonne und in Pattaya vereinen sich diese alle zu einer Proletenmasse. Das ist nun mal so und wer damit nicht leben kann, sollte was tiefer in die Tasche greifen und 5-Sterne Florida oder 10 Tage "Zum Öhi" im Bayrischen Wald buchen. Oder wenn schon aus welchen Gründen auch immer es Thailand sein muss, da Urlaub machen wor die Thais Urlaub machen. Dort wird Zurückhaltung und Rücksichtnahme gepflegt.