Türkisches Wahlgesetz begrenzt Wahlkampf im Ausland

Foto: epa/Turkish President Press Office
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BERLIN/ISTANBUL (dpa) - Die zwischen Berlin und Ankara heftig umstrittenen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungspolitiker in Deutschland verstoßen gegen das türkische Wahlgesetz. Dort heißt es im Artikel 94/A: «Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.» Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan habe das Gesetz 2008 selbst eingeführt, sagte der Vertreter der Oppositionspartei CHP in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.

In einem Beschluss vor dem Referendum am 16. April spezifiziert die türkische Wahlkommission (YSK), dass Wahlkampf im Ausland in geschlossenen Räumen nicht gestattet ist. Weiter legt der YSK-Beschluss Nummer 109 vom 15. Februar zum Ausland unter anderem fest, Wahlkampfansprachen seien auch auf offenen Plätzen nicht zulässig. In dem Gesetz sei nicht geregelt, wer dessen Einhaltung kontrolliere und welche Strafen bei Verstößen angewendet würden, sagte Yakupoglu. «Deshalb besteht es nur als moralische Regel.» Die Vorgabe werde von «allen Parteien» missachtet.

Die aktuellen Auftritte türkischer Minister in Deutschland wurden von der AKP beworben. Auf einem Veranstaltungshinweis etwa für den Auftritt von Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg stand neben Namen und Logo der AKP: «Unsere Entscheidung lautet Ja». Damit wird bei den Türken in Deutschland um Zustimmung zu dem von Staatschef Erdogan angestrebten Präsidialsystem beim Referendum am 16. April geworben. Cavusoglu war am Dienstag in der Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg aufgetreten. Bei seiner Rede zeigten mehrere Teilnehmer und der Minister selbst den «Wolfsgruß», das Erkennungszeichen der türkischen Nationalisten.

Erdogan plant nach eigenen Angaben einen baldigen Auftritt in Europa - noch bevor Mitte April in seiner Heimat über das auf ihn zugeschnittene Präsidialsystem abgestimmt wird. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind unter anderem wegen der Absage von Auftritten türkischer Minister in Deutschland auf einem Tiefpunkt. Am Sonntag hatte Erdogan Deutschland deswegen «Nazi-Praktiken» vorgeworfen.

Diese Vorwürfe standen am Donnerstag auch im Mittelpunkt einer Debatte des Bundestages. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte die Nazi-Vergleiche, betonte aber trotz der «tiefen und ernsthaften Meinungsverschiedenheiten» auch ihr starkes Interesse an guten Beziehungen. Sie sagte in ihrer Regierungserklärung zum Brüsseler EU-Gipfel: «So unzumutbar manches ist - unser außen- und geopolitisches Interesse kann eine Entfernung der Türkei nicht sein.» Zuvor hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) Ankara vor der «Entwicklung zu einem zunehmend autokratischen Staat» gewarnt.

Der Streit betreffe Grundsätzliches, etwa Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit in der Türkei, so Merkel. Aber auch in solchen Kontroversen sei ein Zusammenhang mit den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus «auf gar keinen Fall» zulässig. Erdogans Reformpläne nannte Merkel «mehr als problematisch». Sie appellierte an die in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln, innertürkische Konflikte nicht in der Bundesrepublik auszutragen.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte im Bundestag: «Ein Land, dessen Repräsentanten sich so verhalten wie Erdogan, braucht sich nicht wundern, wenn der Tourismus zurückgeht. In einem solchen Land wollte ich auch nicht Urlaub machen.» Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir rief die in Deutschland lebenden Türken auf, beim Referendum mit Nein zu stimmen. «Unsere Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur zu errichten.»

Unterdessen hat die Türkei dem Linke-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken einen Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt Konya verweigert. «Das Auswärtige Amt hat mir am Mittwoch mitgeteilt, die türkische Seite habe soeben telefonisch meinen Besuch abgelehnt», sagte der Außenpolitiker der Zeitung «Die Welt». «Damit sucht die türkische Regierung eine weitere Eskalation mit Deutschland.»

Auf den Luftwaffenstützpunkten Konya und Incirlik in der Türkei sind etwa 270 Bundeswehrsoldaten am internationalen Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Im Vorjahr war deutschen Abgeordneten über mehrere Monate hinweg der Besuch der Soldaten in Incirlik verweigert worden, bis im Oktober schließlich sieben von ihnen anreisen durften. Grund für die Verstimmung in der Türkei war damals, dass der Bundestag in einer Entschließung die an den Armeniern begangenen Verbrechen als Völkermord anerkannt hatte.

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Ingo Kerp 10.03.17 15:40
Wahlgesetz
Es glaubt doch wohl kein Mensch, das sich der Erdowahn an das Wahlgesetz oder sonstige gesetzliche Regelungen hält. Warum auch, als alleiniger Herrscher ist er das Gesetz selbst. So sieht er das zumindest.