Türkei: Untersuchungshaft für Deniz Yücel

«Welt»-Korrespondent Deniz Yücel. Foto: dpa/Karlheinz Schindler
«Welt»-Korrespondent Deniz Yücel. Foto: dpa/Karlheinz Schindler

ISTANBUL (dpa) - Nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Istanbul muss der «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft in der Türkei. Der Istanbuler Haftrichter sei dem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft am Montagabend gefolgt, berichtete die «Welt». Dem 43-jährigen Korrespondenten würden «Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung» vorgeworfen. Verdächtige können in der Türkei bis zu fünf Jahre in Untersuchungshaft gesperrt werden.

Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Er ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt. Der Haftbefehl stieß auf scharfe Kritik.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erklärte: «Das ist eine viel zu harte und deshalb auch unangemessene Entscheidung.» Der SPD-Politiker sprach von «schwierigen Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen» und fügte hinzu: «Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben.»

Die «Welt» berichtete, der Haftrichter Mustafa Cakar habe in der Vergangenheit schon mehrere Journalisten der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» zu U-Haft verurteilt. Der Staatsanwalt habe Yücel allgemein zu seinen Artikeln befragt und dann Haftantrag gestellt. Reporter ohne Grenzen teilte mit: «Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.»

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kündigte eine Kundgebung für diesen Dienstag vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz an. Mutlu sagte: «Wenn die Türkei zeigen will, dass sie eine Demokratie ist, dann muss diese Farce endlich beendet und die Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden.»

Reporter ohne Grenzen forderte die sofortige Freilassung Yücels. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien einfach absurd, hieß es. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) nannte den Haftantrag des Staatsanwalts für Yücel einen «entsetzlichen Verstoß gegen die Pressefreiheit».

Unter dem derzeit geltenden Ausnahmezustand in der Türkei können Verdächtige bis zu 14 Tage in Gewahrsam gehalten werden. Spätestens an diesem Dienstag hätte Yücel einem Haftrichter vorgeführt oder freigelassen werden müssen. Bereits der lange Polizeigewahrsam für Yücel war in Deutschland auf Kritik gestoßen.

Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet wurde, und war festgenommen worden. Der «Welt»-Chefredakteur Ulf Poschardt hatte danach an die Behörden appelliert, keine Untersuchungshaft zu verhängen.

Yücel hatte seine Bedingungen im Polizeigewahrsam - vermittelt über seinen Anwalt - in der «Welt am Sonntag» als schwierig bezeichnet. Er hatte aber auch hinzugefügt: «Mir geht es ganz gut.» Yücel teilte sich demnach mit meist ein bis zwei Mitgefangenen eine Sieben-Quadratmeter-Zelle. Gewalt habe er nicht erfahren oder mitbekommen. Die Polizisten seien manchmal grob im Ton, aber nicht ausfallend und im Rahmen der Vorschriften meistens auch hilfsbereit.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Im Dezember war ein amerikanischer Korrespondent des «Wall Street Journals» vorübergehend festgenommen worden, er verließ anschließend das Land.

Yücel ist seit Mai 2015 Türkei-Korrespondent der «Welt». Die Regierung hatte ihm eine Akkreditierung verweigert. Da er auch türkischer Staatsbürger ist, konnte er dennoch legal im Land arbeiten. Zahlreiche türkische Journalisten sind nicht von der Regierung akkreditiert. Bei ausländischen Korrespondenten ist die Akkreditierung Voraussetzung für die Aufenthaltsgenehmigung.

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Jürgen Franke 04.03.17 11:33
Herr Zelini, dazu hatte ich bereits
am 01.03. Stellung genommen, da ich die Ausführungen des Korrespondenten zwar nicht so toll fand, aber zu akzeptieren sind, auch wenn sie einem nicht selbst gefallen. Grundsätzlich hat Sarrazin einige Menschen in Deutschland wach gerüttelt.
Jürgen Franke 01.03.17 23:34
Wetten, dass der Redakteur sofort frei
kommt, wenn der Erdogan in Deutschland auftreten darf. Und das wird die Merkel auch nicht "zähneknirschend" verhindern können.
Jack Norbert Kurt Leupi 01.03.17 16:41
Menschenrechte gelten... Herr Jürgen Franke
nicht mehr ! Das sehe ich genauso , geehrter Jürgen ! Heute werden mehr Menschen "verletzt" als die Menschenrechte selbst ! Was ist nur mit dem ehemals humanistischen Europa los ? Früher gab es Demokratie, Pluralismus , Freiheit und Menschenrechte ! Und heute ?
Jürgen Franke 01.03.17 10:44
Es ist zwar höchst bedauerlich, was die
"Schreiberlinge" heute so alles erleben müssen. In den USA werden sie lediglich rausgeschmissen aus den Konferenzräumen wenn es Herrn Trump nicht paßt, aber in der Türkei werden sie nun gleich eingesperrt. Gewöhnen wir uns daran, dass offensichtlich jeder Regierungschef machen kann, was er will. Menschenrechte gelten nicht mehr. Und Deutschland wird nach wie vor von Erdogan außerdem erpresst.
Johann Riedlberger 28.02.17 23:25
Karma
Wegen seiner Äusserungen über Thilo Sarazin hält sich mein Mitleid in Grenzen.