Türkischer Botschafter ins Auswärtige Amt zitiert

Foto: epa/Michael Kappeler
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BERLIN (dpa) - Die diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei spitzt sich weiter zu. Wegen der Inhaftierung eines Deutschen und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten ist der türkische Botschafter am Mittwoch ins Auswärtige Amt zitiert worden. Ihm sei «klipp und klar» mitgeteilt worden, dass die Verhaftungen in der Türkei «weder nachvollziehbar noch akzeptabel» seien, sagte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch in Berlin. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) bricht wegen der kritischen Lage seinen Urlaub ab und kehrt nach Berlin zurück.

Nach den Worten des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz erwägt die Bundesregierung eine Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei. «Der Außenminister wird sicher genau prüfen, welche diplomatischen Schritte notwendig sind», sagte der Kanzlerkandidat. Die Zeit des Abwartens sei vorbei. Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner und fünf Kollegen waren am vorvergangenen Mittwoch bei einem Workshop in Istanbul wegen Terrorverdachts festgenommen worden. Das Vorgehen der Türkei sorgte international für Empörung.

«Die Bundesregierung fordert die unverzügliche Freilassung von Peter Steudtner», betonte der Außenamtssprecher. «Vorwürfe über Verbindungen zu terroristischen Organisationen sind offensichtlich an den Haaren herbeigezogen.» Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte: «Das ist eine ernste und auch eine traurige Situation im deutsch-türkischen Verhältnis.» Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stehe in stetigem Kontakt mit Gabriel. Dieser wird nach Angaben seines Sprechers wegen der «dramatischen Verschärfung» der Lage bereits am Donnerstag in Berlin zurückerwartet.

Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den Inhaftierten vor, eine «bewaffnete Terrororganisation» zu unterstützen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte sie zuvor in die Nähe von Putschisten gerückt. Seibert bezeichnete die Vorwürfe hingegen als den «durchschaubaren Versuch», Andersdenkende zu diskreditieren und zu kriminalisieren.

Justizminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich ähnlich. «Wer sich für Menschenrechte einsetzt, ist kein Terrorist», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Herr Erdogan füllt die Gefängnisse mit seinen Gegnern und Kritikern. Das hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun.» Erdogan müsse klar sein, «dass er die Türkei politisch isoliert und ihr wirtschaftlich schadet».

SPD-Kanzlerkandidat Schulz sagte, angesichts der Willkür gegenüber Bundesbürgern sei es an der Zeit, das Verhältnis zur Türkei zu überdenken. Es mache keinen Sinn, die Verhandlungen zur Ausweitung der Zollunion weiter voranzutreiben oder bestimmte europäische Finanzhilfen an die Türkei zu zahlen. «Es ist jetzt auch die Zeit, wo das Schweigen der Bundeskanzlerin ein Ende haben muss.»

Der stellvertretende Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), machte sich dafür stark, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei umgehend zu beenden. «Nur so können Deutschland und die EU ein deutliches Zeichen gegen den rasanten Niedergang von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei setzen.»

Erst im Juni war gegen den Amnesty-Landesvorsitzenden in der Türkei, Taner Kilic, Untersuchungshaft verhängt worden. Auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu sowie der deutsch-türkische «Welt»-Korrespondent Deniz Yücel sitzen wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft. Die WeltN24 GmbH hat in der Türkei mittlerweile Verfassungsbeschwerde gegen Yücels Inhaftierung eingelegt.

Im Zusammenhang mit dem Putschversuch vor einem Jahr sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden. Aktuell seien neun von ihnen weiter in Haft.

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Jürgen Franke 20.07.17 22:22
Es ist sicherlich nicht erforderlich,
den mündigen Bürgern etwas vorzuschreiben. Jeder vernünftige Mensch, außer die begeisterten Erdogan-Wähler, wird die Türkei meiden.
Ingo Kerp 20.07.17 14:24
Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Wer in die Türkei reist, muß mit einer Verhaftung rechnen. Warum also reisen Menschen freiwillig dahin und verlassen sich dann darauf, das die deutsche Allgemeinheit ihnen wieder hilft, nach DE zurückzukehren?