Trümmer und Splitter

übersetzt von Dr. Christian Velder

Trümmer und Splitter

Ein Mann ging einmal in den Wald. Auf seinem Wege fand er ein Schwert aus Stahl. Dieses Schwert wollte er noch härter machen. Es sollte das beste Schwert der Welt werden. Zu Hause angekommen,

schürte er das Schmiedefeuer, legte das Schwert hinein, und es fing an zu glühen. Er hämmerte und glättete das Schwert, bis es ihm so richtig von Herzen gefiel. Dann warf er es ins Wasser, dass
es nur so zischte. Als der Dampf sich verzogen hatte, sah der Mann, dass sein Schwert in zwei Teile zerborsten war. Als Schwert waren die Teile nicht mehr verwendbar, aber der Mann liess den
Mut nicht sinken. Er nahm die beiden Teile und schmiedete daraus zwei Küchenmesser. Er glühte sie durch und hämmerte sie zurecht, dann liess er sie ins Wasser fallen. Wiederum brachen die
Messer entzwei. Er holte die Stücke aus dem Wasser und bearbeitete sie solange, bis daraus lauter schmale Klingen geworden waren. Aber weil er ungeschickt damit umging, zerfielen die Klingen
bei der Bearbeitung zu Trümmern.

Die Bruchstücke nahm er und legte sie mitten auf ein grosses weisses Tuch. Das Tuch faltete er dann über dem Häufchen von Splittern zusammen. Viele Schichten von Stoff lagen nun übereinander,
und es war ein grosses Paket daraus geworden. Er band es mit einer Schnur zusammen, schulterte es und ging seiner Wege. Die Bauern, die ihn sahen, fragten:

“Was schleppst du in dieser weissen Hülle fort”

Er erwiderte:

“Pa lin sin si, so man cher lei!”

Das machte die Leute neugierig. Sie wollten sich das Wunderding ansehen. Er sollte es auswickeln. Er aber lehnte ab. Niemand durfte sehen, was sein Paket enthielt.

Auf seinem Wege kam der Mann zu einem Hafen. Dort ankerte eine Dschunke. Die Kaufleute, die ihre mitgebrachten Waren feilboten, fragten:

“Was ist in deinem Paket drin Verkaufst du es uns”

Er schüttelte den Kopf:

“Was in dieser Hülle ist, gebe ich nicht her. Es ist Pa lin sin si. Niemand darf es sich ansehen, denn wenn es hinfällt, ist es verloren!”

Die Kaufleute ließen nicht locker:

“Lass uns wenigstens ein Zipfelchen davon sehen! Es wird beim Auspacken schon nicht hinfallen oder verloren gehen. Gewiss werden wir handelseinig. Den Preis deines Pa lin sin si werden wir
schon aufbringen, wir bieten dir unsere Dschunke als Sicherheit.”

Der Mann war einverstanden. Er nahm sein weißes Stoffpaket und händigte es dem Herrn der Dschunke aus. Zugleich ermahnte er ihn:

“Pass gut auf! Ein einziger Windstoß genügt, und das Pa lin sin si wird aufspringen und flüchten!”

Der Herr der Dschunke nickte, knotete die Schnur auf und wickelte das Tuch ab, Schicht für Schicht. Er hatte den Stoff schon fast völlig aufgefaltet, aber sein Inhalt blieb ihm ein Rätsel. Ein
böser Verdacht griff Platz in seinem Herzen.

Inzwischen war Wind aufgekommen. Eine Bö erfasste den ausgebreiteten Stoff. Die Eisensplitter darin wirbelten hoch und versanken alle im Wasser. Der Mann schrie auf:

“Da! Da! Was tust du Ich habe dir doch gesagt, du sollst aufpassen – hast du mir nicht geglaubt Nun musst du mir für den Verlust Ersatz leisten.”

Der Herr der Dschunke in seinem Zorn ließ seine Seeleute dem Pa lin sin si nachspringen. Tauchen sollten sie zur Sohle des Hafens und es wieder ans Tageslicht bringen. Aber sie mochten
hinunterschwimmen, so oft sie wollten, finden konnten sie es nicht. Nun war guter Rat teuer. Die Dschunke, die als Sicherheit gedient hatte, war dem Manne verfallen. Er segelte damit übers Meer
und steuerte viele Städte und Länder an, um dort Handel zu treiben.

Das Herumsitzen auf seiner Dschunke wurde ihm mit der Zeit langweilig. Eines Tages vernahm er vom Ufer her das Klappern einer Glocke, wie sie Elefanten am Halse tragen. Das lustige Geläut
heiterte ihn auf. Diesen Elefanten wollte er haben. Er warf Anker und bot dem Elefantentreiber ein Tauschgeschäft an. Seine Dschunke sollte der Preis für den Elefanten sein. Topp. Er stieg auf
und ritt auf seinem Tiere weiter. Da begegnete er einem Reiter. Der Elefant fürchtete sich vor dem Pferde. Vor Angst wendete er und brach aus. Der Mann fiel unsanft zu Boden. Von dem Elefanten
hatte er jetzt genug. Nun wollte er das Pferd haben. Er gab seinen Elefanten dafür hin. Der Pferdebesitzer war es zufrieden. Der Mann freute sich. Furchterregend groß war der Elefant gewesen,
nun saß er auf einem kleineren Tiere, das noch dazu viel schneller laufen konnte. Je länger er aber auf seinem Pferde saß, um so mehr schmerzte ihn sein Gesäss. Denn unter seiner Sitzfläche
spürte er des Pferdes Rückgrat. Sein Sitzfleisch war bereits wundgescheuert, und seine Haut brach auf. Diesen schneidenden Schmerz konnte er nicht mehr ertragen. Vorsichtig liess er sich von
seinem Reittier herab und führte es am Halfter fort.

Nun begegnete er einem Hütejungen, der es sich auf dem runden Rücken eines Wasserbüffels bequem gemacht hatte und im Schatten eines großen Baumes auf seiner Flöte blies. Die süße Melodie
ergriff das Herz, der Mann wollte diese Flöte sein eigen nennen. Also zog er sein Ross hinter sich her, um seine Überredungskunst an dem Knaben zu erproben. Er sagte:

“Ai Maus, gibst du mir deine Flöte Du kannst dafür mein Pferd haben!”

Der Junge hatte sich schon immer solch ein Pferd gewünscht, schnell sagte er “ja”, hielt dem Manne seine Flöte hin, saß auf und war verschwunden. Der Mann setzte sich auf die Erde, lehnte sich
an den Stamm eines Baumes, führte die Flöte an die Lippen und blies hinein. Aber weil er keine Erfahrung mit Flöten hatte, kam kein einziger Ton heraus, nur manchmal ein Pusten und Quietschen,
das die Ohren schmerzte. Er stand auf. Nun musste er zu Fuss gehen. Er wanderte von morgens bis abends und hatte Hunger. Auf seiner Flöte blasen mochte er schon lange nicht mehr, denn Melodien
kamen ja keine mehr daraus hervor. Er war enttäuscht. Zornig nahm er die Flöte und schmetterte sie zu Boden. Sie zerbrach in tausend Splitter. Da hatte er es wieder, sein Pa lin sin si, und war
so arm wie zuvor.

Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier
von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal
Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

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