Tote und Verletzte bei «Tag des Zorns»

Foto: epa/Mohammed Saber
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RAMALLAH/GAZA/TEL AVIV (dpa) - Nach den muslimischen Freitagsgebeten ist es am «Tag des Zorns» wegen der Jerusalem-Krise erneut zu blutigen Auseinandersetzungen im Heiligen Land gekommen. Mindestens vier Palästinenser starben, rund 400 weitere wurden bei Zusammenstößen mit israelischen Soldaten durch scharfe Munition, Gummimantelgeschosse und Tränengas verletzt. Dies teilten das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza und der palästinensische Rettungsdienst Roter Halbmond am Freitag mit.

Der größte Teil der Verletzten litt unter dem Kontakt mit Tränengas. Ein Ministeriumssprecher sagte, mehrere Menschen hätten über Atembeschwerden, Herzrasen und Husten geklagt. Er forderte eine Untersuchung, welches Gas verwendet wurde.

Die israelisch-arabische Stadt Nazareth sagte aus Protest gegen die US-Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt die Weihnachtsfeierlichkeiten ab. «Wir hielten es für angemessen, die Feierlichkeiten zu streichen, weil wir ein untrennbarer Teil des palästinensischen Volkes sind», zitierte das israelische Fernsehen Bürgermeister Ali Salam. In der Stadt leben vor allem Muslime und arabische Christen. Der Ort, an dem nach christlichem Glauben Jesus Christus geboren wurde, zählt zu den wichtigsten christlichen Städten im Heiligen Land.

Mindestens vier Palästinenser wurden bei den Unruhen am Rande des Gazastreifens und im Westjordanland erschossen, wie die palästinensischen Gesundheitsministerien in Gaza und Ramallah mitteilten. Die israelische Armee hatte zuvor erklärt, dass rund 3.500 Palästinenser am Rande des Küstengebietes Brandflaschen und Steine auf Soldaten geworfen sowie brennende Reifen gerollt hätten. Soldaten hätten gezielt auf Anführer geschossen. Im Westjordanland habe es Konfrontationen mit rund 2.500 Palästinensern gegeben.

Einer der getöteten Palästinenser hatte zuvor bei Ramallah einen israelischen Soldaten mit einem Messer leicht verletzt, wie die israelische Polizei mitteilte. Soldaten schossen daraufhin auf den Palästinenser, der seinen Verletzungen später erlag. Er trug einen Sprengstoffgürtel. Allerdings war zunächst unklar, ob es sich dabei um eine Attrappe handelte.

Im Gazastreifen gingen Tausende Palästinenser auf die Straßen, um gegen die Jerusalem-Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump zu protestieren, wie palästinensische Medien berichteten. Unter anderem in Jerusalem, in Bethlehem und am Grenzübergang Kalandia von Jerusalem zum Westjordanland kam es zu Zusammenstößen. Alle palästinensischen Gruppierungen hatten für Freitag erneut zu einem «Tag des Zorns» aufgerufen.

Bereits vergangene Woche waren bei Unruhen und einem israelischen Raketenangriff im Gazastreifen vier Palästinenser getötet worden.

Israel hatte 1967 während des Sechs-Tage-Kriegs unter anderem das Westjordanland und den arabischen Ostteil Jerusalems erobert. Israel beansprucht ganz Jerusalem als seine unteilbare Hauptstadt, was international nicht anerkannt wird. Die Palästinenser sehen dagegen in Ost-Jerusalem die künftige Hauptstadt eines unabhängigen Palästinenserstaates.

«Die Juden, die aus Europa rausgeschmissen wurden, werden aus Palästina rausgeschmissen», sagte ein führendes Mitglied der radikal-islamischen Hamas, Mahmud Sahar, in Gaza. «Das ist das Versprechen von Gott. Unser Hauptziel bleibt die Befreiung Palästinas.» Die Hamas wird von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft.

Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik bewertet das Eskalationspotenzial im Heiligen Land allerdings trotz der anhaltenden Unruhen für überschaubar. «Ich glaube auch, dass der von einigen befürchtete Volksaufstand ausbleiben wird», sagte Steinberg in einem Interview der «Landeszeitung Lüneburg». «Dafür gibt es keine physischen Möglichkeiten mehr.» Die Palästinenser könnten zwar protestieren. «Aber sie haben kaum Möglichkeiten so aufzutreten, dass es die Israelis schmerzt.»

In der israelisch-arabischen Stadt Sachnin protestierten laut einem Bericht ebenfalls 10.000 Menschen. Dies schrieb die «Jerusalem Post» unter Berufung auf die Gemeinsame Liste der arabischen Abgeordneten im israelischen Parlament.

US-Vizepräsident Mike Pence trifft auf seiner verschobenen Nahost-Reise wegen des Boykotts der palästinensischen Seite nur israelische Politiker. Pence werde kommende Woche von Mittwoch bis Freitag in Israel sein, wie sein Büro am Donnerstagabend mitteilte. Zuvor reist er nach Ägypten, danach nach Deutschland.

Das Programm des Besuchs weist unter anderem ein Treffen mit Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Präsident Reuven Rivlin aus - aber keines mit palästinensischen Vertretern. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte zuvor wegen der US-Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt ein Treffen mit Pence in Bethlehem abgelehnt.

Pence hatte seinen für Anfang der Woche angesetzten Besuch kurzfristig verschoben. Als Grund nannte seine Sprecherin die geplante Abstimmung im US-Kongress über die Steuerreform.

Netanjahu wurde indessen erneut wegen Korruptionsvorwürfen befragt. Die Ermittler seien in seine private Residenz in Jerusalem gekommen, schrieb die Zeitung «Haaretz». Dies sei bereits die siebte Befragung wegen der Vorwürfe gewesen. Die Polizei bestätigte die mehrere Stunden dauernde Befragung im Anschluss.

Das israelische Fernsehen hatte unter anderem berichtet, der befreundete israelische Hollywood-Produzent Arnon Milchan habe Netanjahu und seiner Frau Sara über Jahre Zigarren und Champagner im Wert von mehreren Hunderttausend Schekel (100.000 Schekel = 25.000 Euro) geliefert. Es handele sich um illegale Schenkungen. Netanjahu dementiert, sich unredlich verhalten zu haben. Außerdem soll Netanjahu versucht haben, unrechtmäßig Einfluss auf die Medienberichterstattung zu nehmen.

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