Tollhaus Berlin

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Kann man der Politik noch vertrauen? Wie steht es um die persönliche Integrität und Qualifikation der handelnden Akteure? Jedenfalls in Deutschland wird es dem Bürger und Wähler derzeit nicht ganz einfach gemacht, die politische Landschaft ernst zu nehmen.

Der Komödienstadl bei der SPD zeigt am deutlichsten, wie sehr es den Akteuren entgegen aller Beteuerungen um persönliche Vorteile anstatt um die Sache geht. Unvorstellbar, dass Martin Schulz und Andrea Nahles abgesprochen haben, er solle das Amt des Parteivorsitzenden niederlegen und sie würde es ganz unbürokratisch übernehmen. Entweder beide kennen die Regeln ihrer eigenen Partei nicht, oder sie wollten sich nicht daran halten. Beides ist gleich schlimm. Man musste beiden erst den Ablauf erklären, bevor Olaf Scholz, einer der Stellvertreter von Martin Schulz, als kommissarischer Parteichef bestimmt wurde. Der Denkzettel folgte sofort: In diversen Meinungsumfragen – auch bei INSA – überholte die AfD erstmals die SPD in bundesweiten Umfragen. Wundern darf sich niemand, denn zu desaströs ist das Erscheinungsbild der SPD.

Was war geschehen? Auslöser der heißen Tage war die Ankündigung von Schulz, Außenminister werden zu wollen. Dies verärgerte die Basis der Partei, da Schulz mehrfach fest versichert hatte, niemals in ein Kabinett Merkel eintreten zu wollen, aber es verärgerte auch den geschäftsführenden Außenminister Sigmar Gabriel, der diesen Posten sehr gerne behalten hätte. Es folgte ein Stellvertreterkrieg. Schulz Schwester bezeichnete Berlin als Schlangengrube, Gabriel ließ seine kleine Tochter sagen, es sei doch nicht schlecht, wenn er nun mehr Zeit mit ihr anstatt mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht verbringen würde. Das Niveau erinnert mehr an eine RTL II Soap als an Spitzenpolitik. Vorbei sind die Zeiten von Helmut Schmidt, als politisches Spitzenpersonal für Pflichtbewusstsein, Disziplin und Berechenbarkeit

stand. Man darf sich die Ereignisse auf der Zunge zergehen lassen: Die Kanzlerin macht bei Koalitionsverhandlungen größte Zugeständnisse an die SPD, um Neuwahlen zu vermeiden, die SPD-Führung veranstaltet ein Feuerwerk.

Peinlich und befremdlich

Auch in anderem Zusammenhang stellen sich immer mehr Fragen an der Qualifikation der politischen Akteure. Beispiel: Ende Januar ging nochmals der Diesel-Skandal durch die Presse. Auslöser war die Meldung, dass Abgase auch an Menschen- und Menschenaffen getestet wurden. Die Wortmeldungen der Parteien waren die üblichen: Während Grüne und Linke feststellten, die Autolobby wäre in den Ministerien angekommen, beschwichtigte die Union. Soweit alles wie üblich. Bei dieser Gelegenheit kam jedoch auch ans Licht, dass es sich bei den betreffenden Versuchen um relativ aktuelle Versuche handelte. Erschreckend und bezeichnend ist dabei, kein einziges Mitglied des betreffenden Ausschusses hat überhaupt die Frage gestellt, wann die Versuche durchgeführt worden seien. Auch einem wohlgesonnenen Beobachter fällt es schwer zu glauben, ein derart besetzter Ausschuss könne Dingen auf den Grund gehen und würde etwas wirklich Neues herausfinden. Das Ganze wirkt eher peinlich und befremdlich.

Aber zurück zur aktuellen Regierungsbildung. Das weitere Erstarken der AfD in den Umfragen verwundert auch aus einem weiteren Grund nicht. Der Wähler hat im letzten September zum Ausdruck gebracht, kein weiteres Abdriften der Regierungspolitik nach links zu wollen. Jamaika – ganz besonders eine wiedererstarkte FDP – hatten Möglichkeit und Wählerauftrag das Stopfen europäischer Haushaltslöcher mit deutschem Steuergeld zu vermeiden. Leider haben die Verantwortlichen vor der Aufgabe gekniffen. Als Folge gelang es der SPD mit ihrem doppelten Zustimmungsvorbehalt vor einer neuen GroKo (Parteitag und Mitglieder), ihr Verhandlungsergebnis zu optimieren und erneut einen linken Kurs zu setzen. Man darf gespannt sein, wie ein sozialdemokratischer Finanzminister in den nächsten Jahren agiert. Von einer Fortsetzung der Politik Schäubles, die zumindest den Ausverkauf deutscher Interessen verhindert hat, kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ob Frau Merkel die Richtige ist, in ihrer letzten Amtsphase auf ihren SPD-Finanzminister aufzupassen, ist mehr als fraglich.


Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Norbert Kurt Leupi 04.03.18 21:11
Tollhaus Berlin
Geehrter Gast-Autor , Herr Christian Rasp ! ....erneut auf einen linken Kurs ( der rechtslastigen Merkel ) zu setzen ? Kurz und bündig : auch beim Ueberqueren der Strasse schaue ich nach links und rechts , so gering ist mein Vertrauen in die Politiker ,die sich ja auch zur Menschheit zählen !
Hermann Auer 04.03.18 18:20
linker Kurs?
"... und erneut einen linken Kurs zu setzen...". Hab' ich was verpasst?
Ingo Kerp 04.03.18 12:50
Egal wie man das Tollhaus DE findet, jeder Expat kann sich glücklich schätzen, in diesem Irrenhaus nicht mehr leben zu müssen.