FRANKFURT: Die Einweihung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main war Anlass für Straßenkämpfe. Autos brannten, es gab zahlreiche Verletzte. Handelt es sich bei den Protestierenden lediglich um Krawallmacher, die man möglichst schnell wegsperren sollte oder handelt es sich vielleicht um die Vorhut einer breiten Unzufriedenheit, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt und die erst dabei ist, sich zu etablieren?
Eins steht fest: Gründe sich aufzuregen hat der Normalbürger inzwischen genug. Egal ob man sich in der Schweiz, in Österreich oder in Deutschland mit der Geschichte des jeweiligen Landes auseinandersetzt, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich die Welt jahrzehntelang in Ordnung war.
Seit der Finanzkrise 2008 jedoch wird das grundsätzliche Vertrauen der mitdenkenden Bürger jedoch in immer kürzeren Abständen in seinen Grundfesten erschüttert. Ein griffiges Beispiel aus der Wirtschaft sind Lebensversicherungen. Bereits 2010 hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es Versicherern erlaubt, nach Kassenlage auszuzahlen. Seither lassen die Versicherer nichts unversucht, sich möglichst um die Auszahlung von Überschussbeteiligungen zu drücken oder diese wesentlich zu senken. Das Märchen, dass dies im Interesse künftiger Versicherter notwendig sei, bringt Verbraucherschützer regelmäßig auf die Palme. Bei nüchterner Betrachtung gibt es derzeit überhaupt keinen Grund, Menschen, die jahrzehntelang brav und in gutem Glauben ihre Beiträge bezahlt haben, um ihren Gewinnanteil zu bringen. Ob das Produkt Lebensversicherung – sollte die Niedrigzinsphase – anhalten in Zukunft noch wettbewerbsfähig ist, steht auf einem anderen Blatt. Es ist jedenfalls nachvollziehbar, dass Betroffene die Wut packt.
Auf der politischen und finanzpolitischen Ebene bricht die EZB mittlerweile schon seit Jahren geltendes Recht (keine Staatsfinanzierung durch die Zentralbank wurde bindend vereinbart), so dass die Ankündigung der Bank vom Januar für weitere 1,1 Billionen Euro Anleihen zu kaufen, die Sparer der Eurozone auf die Palme bringen müsste. Der Wertverfall des Euro in den letzten Wochen beginnt bereits endlich mehr Menschen die Augen zu öffnen. Man kann sich ja nur wundern, wie ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium die Geschicke Europas steuern kann, ungeschoren auf Sicht die Lebensersparnisse vieler Bürger dezimiert und dennoch –zumindest bis jetzt – im Wesentlichen unangefochten bleibt.
Ähnlich schwer nachvollziehbar sind die geplanten Inhalte des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP). Ohne auf die Verbraucherschutzproblematik einzugehen (Chlorhühnchen etc.), die bereits hinlänglich in den Medien diskutiert wurde, lohnt es sich nur einmal die Systeme im Lebensmittelbereich zu vergleichen. Die USA kennen kein Vorsorgeprinzip, d.h. jeder Anbieter bringt auf den Markt, was er möchte. Sollten die Produkte nicht in Ordnung sein, wird der Anbieter später mit Klagen überzogen. In Europa werden Produkte jahrelang getestet, bevor sie auf den Markt kommen. Hat man sich überlegt welchen Wettbewerbsnachteil dies für europäische Anbieter bedeuten würde, wenn sie neue Produkte erst jahrelang nach den Amerikanern auf den Markt bringen könnten?
Am deutlichsten wird die inzwischen sichtbar werdende teilweise Aufgabe der bisherigen Rechtsordnung jedoch bei den geplanten Schiedsgerichten für TTIP. Ein deutscher Mittelständler beispielsweise könnte einen amerikanischen Konzern nur mehr vor einem Schiedsgericht verklagen. Das Schiedsgericht ist mit drei Anwälten besetzt, Rechtsmittel gibt es nicht, die Entscheidung ist damit final und kostet im Schnitt 3 Mio. Euro. Ein Betrag, den viele Mittelständler wohl nicht werden aufbringen können.
Im Ergebnis hätte der Konzern danach nach einigen Monaten eine endgültige bindende Entscheidung, wohingegen der Mittelständler erst einmal den jahrelangen Gang durch die Instanzen antreten darf, wenn er beispielsweise ein Problem mit seiner Regierung hat.
Es bleibt zu wünschen, dass unsere Parlamentarier die Sprengkraft dieser Themen endlich begreifen und entsprechend handeln. Ansonsten wird es bei Zusammenstößen mit wütenden Bürgern wohl nicht mehr lange nur bei Sachschäden und kleineren Blessuren bleiben.
Über den Autor Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden. Feedback erwünscht! Kontaktdaten von Rechtsanwalt Rasp:E-Mail: cr@cr-management-consulting.com Webseite: www.cr-management-consulting.com Telefon: +66 32 512 253 |