Straßenkämpfe in Frankfurt am Main – Warum packt die Leute die Wut?

Foto: epa/Fredrik Von Erichsen
Foto: epa/Fredrik Von Erichsen

FRANKFURT: Die Einweihung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main war Anlass für Straßenkämpfe. Autos brannten, es gab zahlreiche Verletzte. Handelt es sich bei den Protestierenden lediglich um Krawallmacher, die man möglichst schnell wegsperren sollte oder handelt es sich vielleicht um die Vorhut einer breiten Unzufriedenheit, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt und die erst dabei ist, sich zu etablieren?

Eins steht fest: Gründe sich aufzuregen hat der Normalbürger inzwischen genug. Egal ob man sich in der Schweiz, in Österreich oder in Deutschland mit der Geschichte des jeweiligen Landes auseinandersetzt, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich die Welt jahrzehntelang in Ordnung war.

Seit der Finanzkrise 2008 jedoch wird das grundsätzliche Vertrauen der mitdenkenden Bürger jedoch in immer kürzeren Abständen in seinen Grundfesten erschüttert. Ein griffiges Beispiel aus der Wirtschaft sind Lebensversicherungen. Bereits 2010 hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es Versicherern erlaubt, nach Kassenlage auszuzahlen. Seither lassen die Versicherer nichts unversucht, sich möglichst um die Auszahlung von Überschussbeteiligungen zu drücken oder diese wesentlich zu senken. Das Märchen, dass dies im Interesse künftiger Versicherter notwendig sei, bringt Verbraucherschützer regelmäßig auf die Palme. Bei nüchterner Betrachtung gibt es derzeit überhaupt keinen Grund, Menschen, die jahrzehntelang brav und in gutem Glauben ihre Beiträge bezahlt haben, um ihren Gewinnanteil zu bringen. Ob das Produkt Lebensversicherung – sollte die Niedrigzinsphase – anhalten in Zukunft noch wettbewerbsfähig ist, steht auf einem anderen Blatt. Es ist jedenfalls nachvollziehbar, dass Betroffene die Wut packt.

Auf der politischen und finanzpolitischen Ebene bricht die EZB mittlerweile schon seit Jahren geltendes Recht (keine Staatsfinanzierung durch die Zentralbank wurde bindend vereinbart), so dass die Ankündigung der Bank vom Januar für weitere 1,1 Billionen Euro Anleihen zu kaufen, die Sparer der Eurozone auf die Palme bringen müsste. Der Wertverfall des Euro in den letzten Wochen beginnt bereits endlich mehr Menschen die Augen zu öffnen. Man kann sich ja nur wundern, wie ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium die Geschicke Europas steuern kann, ungeschoren auf Sicht die Lebensersparnisse vieler Bürger dezimiert und dennoch –zumindest bis jetzt – im Wesentlichen unangefochten bleibt.

Ähnlich schwer nachvollziehbar sind die geplanten Inhalte des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP). Ohne auf die Verbraucherschutzproblematik einzugehen (Chlorhühnchen etc.), die bereits hinlänglich in den Medien diskutiert wurde, lohnt es sich nur einmal die Systeme im Lebensmittelbereich zu vergleichen. Die USA kennen kein Vorsorgeprinzip, d.h. jeder Anbieter bringt auf den Markt, was er möchte. Sollten die Produkte nicht in Ordnung sein, wird der Anbieter später mit Klagen überzogen. In Europa werden Produkte jahrelang getestet, bevor sie auf den Markt kommen. Hat man sich überlegt welchen Wettbewerbsnachteil dies für europäische Anbieter bedeuten würde, wenn sie neue Produkte erst jahrelang nach den Amerikanern auf den Markt bringen könnten?

Am deutlichsten wird die inzwischen sichtbar werdende teilweise Aufgabe der bisherigen Rechtsordnung jedoch bei den geplanten Schiedsgerichten für TTIP. Ein deutscher Mittelständler beispielsweise könnte einen amerikanischen Konzern nur mehr vor einem Schiedsgericht verklagen. Das Schiedsgericht ist mit drei Anwälten besetzt, Rechtsmittel gibt es nicht, die Entscheidung ist damit final und kostet im Schnitt 3 Mio. Euro. Ein Betrag, den viele Mittelständler wohl nicht werden aufbringen können.

Im Ergebnis hätte der Konzern danach nach einigen Monaten eine endgültige bindende Entscheidung, wohingegen der Mittelständler erst einmal den jahrelangen Gang durch die Instanzen antreten darf, wenn er beispielsweise ein Problem mit seiner Regierung hat.

Es bleibt zu wünschen, dass unsere Parlamentarier die Sprengkraft dieser Themen endlich begreifen und entsprechend handeln. Ansonsten wird es bei Zusammenstößen mit wütenden Bürgern wohl nicht mehr lange nur bei Sachschäden und kleineren Blessuren bleiben.

Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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Jürgen Franke 07.04.15 14:33
Mitdenkende Bürger
Die Zusammenfassung aus Deinen Stammtischgesprächen, macht deutlich, dass Du nicht zu diesen Bürgern zählst. Macht aber nichts Peter. Hauptsache, Du konntest mal alles rauslassen.
Peter Dee 07.04.15 07:47
Straßenkämpfe in Frankfurt am Main – Warum packt die Leute die Wut?
Lieber Christian Rasp,

In deinem Artikel, im Absatz 3 im ersten Satz benutzt Du ein Wort das ich fuer das wichtigste halte: Du redest von "mitdenkenden" Buergern. Die systematsiche Volksausblutung uind Finanzverschiebungen von Mittelstand und Arm zu Reich und noch Reicher, die seit so vielen Jahren speziell in Deutschland stattfinden werden nun ein wenig offensichtlicher und nehmen auch offensichtlich amerikanische Systemstrukturen an.
Die ist ja auch nicht verwunderlich. Auch wird ueber kurz oder lang das geplante transatlantische Freihandelsabkommen etabliert. Dies kann in Deutschland eh niemand verhindern. Parlamentarier sind bekanntlich alles andere als unabhaenig und selbst wenn diese ALLE ihr Veto einlegen wuerden, so kommt niemand an der Tatsache vorbei das Deutschland von unseren amerikanischen Freunden abhaengig und Geschichtsrechtlich gesehen nur ein amerikanische Kolonie ist. Auch gilt der Besatzungvertrag noch bis zum Jahr 2099. Am einfachsten ist dies nachzuvollziehen wenn man bemerkt, das es nicht einmal eine Gruendungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland gibt. Das dies so ist, laesst sich von jedem sehr einfach selbst nach pruefen. Die deutschen Parlamentarierer wissen das, Natuerlich auch die Amerikaner, Eigentlich wissen das alle, nur nicht das Deustche Volk. Also liegt es auf der Hand was kommen wird. Wirklich wuenschenswert waere es, wenn es viel mehr "mitdenkende" Buerger geben wuerde. Denn nur wer weiss, kann richtig handeln und nur wer weiss, sollte auch handeln. Des Staates alleinige Funktion und Sinn ist es dem Buerger zu dienen. Leider ist genau der Umgekehrte Fall die Realitaet. Denkt mal darueber nach.
Hardy Kromarek 06.04.15 23:34
Atem-Machtlos gegen die mutmaßlichen Betrüger EZB!
Das ganze System Europa incl. der deutschen Bundesregierung ist auf mutmaßlichen Betrug aufgebaut! Schneeballsystem! Lebensversicherung-Rente-Steuern-Gesetzgebung usw.usw.! Die Menschen werden doch nur noch belogen und betrogen, das sich die Balken biegen! Da wundert es doch einen nicht mehr, wenn hier solche Gewalt entsteht!!! Banken-Versicherungen sind doch die größten mutmaßlichen Betrüger! Denen passiert nichts, egal was Sie machen! Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Viele werden noch fürstlich finanziell entlohnt und auf andere hoch dotierte Posten gesetzt! Die Verdummung der Menschheit wird von den mafiösen Strukturen der europäischen Staaten fort gesetzt und keiner kann was dagegen tun! Aber eines Tages wird es aus sein mit Europa! Fragt sich nur noch wie lange?! Das ganze wird doch sowieso von den USA gesteuert!
Jürgen Franke 06.04.15 23:23
Super Artikel von RA Rasp
Er weist aber immer wieder auf den Gesetzgeber bin. Der Gesetzgeber sind aber in einer Demokratie die Abgeordneten, die wir gewählt haben. Also genau die Dummköpfe, die so abstimmen, wie es z.B. Herr Kauder wünscht, auf Befehl von AM. Und keiner von denen befasst sich wirklich mal mit den Fakten. Die Aufregung derzeit resultiert daraus, dass wir keine anständige Opposition haben. Außer Gysi. Damit AM machen kann was sie will, hat sie die SPD gleich mit ins Boot genommen. Müntefering hat immer schon gesagt: "Opposition ist Mist". Da wird z.B. die Rentenkasse geplündert, Griechenland und der Rest der Welt noch gerettet. Altersarmut ist so sicher, wie...und keiner regt sich auf.