SPD zu Gesprächen mit Union bereit

Foto: epa/Clemens Bilan
Foto: epa/Clemens Bilan

BERLIN (dpa) - Das Drama um die Regierungsbildung geht weiter. Die SPD ziert sich zwar, sagt dann aber doch Ja zu Gesprächen mit der Union. Ob dabei am Ende tatsächlich eine Bundesregierung herauskommt, ist aber fraglich.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen starten Union und SPD einen neuen Anlauf zu einer Regierungsbildung. Die SPD machte am Donnerstag auf einem Parteitag in Berlin nach stundenlanger kontroverser Debatte mit großer Mehrheit den Weg für «ergebnisoffene Gespräche» frei, die nächste Woche beginnen sollen.

Drei Ergebnisse sind möglich: Neuauflage der großen Koalition, Tolerierung einer Minderheitsregierung und Neuwahlen. «Es gibt keinen Automatismus für irgendetwas», versprach Parteichef Martin Schulz. Ein Antrag der Jungsozialisten (Jusos) für den Ausschluss einer großen Koalition wurde von den Delegierten abgeschmettert.

Die CDU begrüßte den Beschluss der SPD und bekräftigte das Ziel, «eine verlässliche und stabile Regierung für unser Land zu bilden». Der CDU-Vorstand werde nun am Sonntag und Montag über das weitere Vorgehen beraten, erklärte Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler.

Schulz hatte vor der Abstimmung eindringlich für Gespräche mit der Union geworben. «Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen», sagte der 61-Jährige in seiner mehr als einstündigen Rede.

In der anschließenden Debatte schlug ihm aber massiver Widerstand gegen eine große Koalition entgegen. Kurz vor der Abstimmung am Abend ergriff Schulz noch einmal das Wort und sagte: «Ich bitte um Euer Vertrauen und sonst überhaupt nichts.»

Vor allem die Jusos machten Front gegen die Linie des Vorstands. Sie halten ein Regierungsbündnis mit der Union für «politischen Selbstmord» und warnen vor einer «Verzwergung» der SPD. «Wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt nochmal», sagte Juso-Chef Kevin Kühnert. «Die Erneuerung der SPD wird außerhalb der Koalition sein, oder sie wird nicht sein.»

In seiner Rede übernahm Schulz als gescheiterter Kanzlerkandidat die Verantwortung für das mit 20,5 Prozent schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl und entschuldigte sich für seinen Anteil daran.

Er habe privat und politisch schon so manches Auf und Ab hinter sich. «Aber so ein Jahr kann man nicht einfach abschütteln. So ein Jahr steckt in den Knochen.» Er wisse, wie enttäuscht und wütend viele Menschen seien. «Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen, aber ich möchte als Parteivorsitzender meinen Beitrag dazu leisten, dass wir es besser machen.»

Schulz hat sich vorgenommen, die Partei umfassend zu reformieren. «Die SPD muss wieder die Partei des Mutes werden», sagte er. Schulz war im März mit 100 Prozent der Stimmen zum Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt worden und wollte sich noch am Donnerstagabend zur Wiederwahl stellen. Für seine Rede erhielt er nur mäßigen Applaus.

Auch Fraktionschefin Andrea Nahles rief die Delegierten dazu auf, keine Angst vor der großen Koalition zu haben. Die SPD müsse mit «inhaltlicher Überzeugung und Selbstbewusstsein» in die Gespräche gehen und diese dann hart führen.

Bereits in der kommenden Woche will Schulz nun mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sprechen. Am 15. Dezember soll der SPD-Vorstand entscheiden, ob die Partei Sondierungsgespräche mit der Union aufnimmt, die dann Anfang Januar beginnen würden. Über die Aufnahme von formellen Koalitionsverhandlungen würde dann ein Sonderparteitag abstimmen.

Das letzte Wort haben aber die Mitglieder. Ein Koalitionsvertrag würde ihnen zur Abstimmung vorgelegt werden. Schätzungen führender SPD-Funktionäre zufolge lehnen mindestens 30 Prozent der Mitglieder die große Koalition grundsätzlich ab.

Einen besonderen Schwerpunkt legte Schulz in seiner Rede auf die Stärkung Europas. Die Europäische Union will er bis 2025 in die Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag umwandeln. Die EU-Mitglieder, die dieser föderalen Verfassung nicht zustimmen, müssten dann die EU verlassen.

Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild der USA gibt es schon weitaus länger als die Europäische Union. Die Sozialdemokraten haben sich 1925 erstmals dafür ausgesprochen. Schulz nennt jetzt erstmals einen konkreten Zeitpunkt, bis zu dem dieses Ziel realisiert werden soll. «Europa ist unsere Lebensversicherung», sagte der SPD-Chef.

Merkel reagierte zurückhaltend, bezog aber nicht klar Stellung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies den Vorstoß dagegen schroff zurück und nannte den SPD-Chef einen «Europaradikalen». «Schulz spaltet damit Europa», sagte er.

Schulz will mit der Reform der EU den Vormarsch der Nationalisten in Europa stoppen. Er verwies auf die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Frankreich, in den Niederlanden, in Finnland, in Dänemark, in Österreich und auch in Deutschland. «Wenn wir nicht umsteuern, wenn wir Europa nicht ganz praktisch und ganz konkret stärken, dann werden diese Kräfte gewinnen.»

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Jürgen Franke 09.12.17 11:11
Herr Auer, da sollten Sie schon etwas konkreter
werden, da ich mir unter "verlorengegangenen Druckmitteln" nichts vorstellen kann.
Hermann Auer 08.12.17 18:32
@Jürgen Franke
1.) ist nicht jedes für die Arbeitnehmer relevante Unternehmen (z.B. GmbHs usw.) ein DAX-Unternehmen. 2.) spreche ich von den verlorengegangenen Druckmitteln der Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen. Das hat mit der Besetzung der Aufsichtsräte wenig bis gar nichts zu tun. Die Druckmittel sind hauptsächlich durch die Angst der Arbeitnehmer vor dem Abstieg (infolge des Schleifens der Arbeitslosenversicherung) sowie durch das Überangebot an Arbeitskräften pro Stellenangebot (auch Leiharbeiter) verlorengegangen.
Jürgen Franke 08.12.17 18:13
Herr Auer, Ihre Aussage, dass die Gewerkschaften
nicht auf Augenhöhe mit den Unternehmern stehen, ist nicht ganz nachvollziehbar, da in jedem Aufsichtsrat eines Dax Unternehmens auch Mitglieder der Gewerkschaften vertreten sind.
Jürgen Franke 08.12.17 16:49
Herr Volkmann, zur Erinnerung erlaube ich mir
darauf hinzuweisen, dass der Sozialverräter Schröder seinerzeit mit den Grünen regierte und u.a. die Rentenbesteuerung einführte. Der Mit-Verfasser der Harz4 Reform ist heute Bundespräsident. Die Quittung hat die SPD, nicht nur mit dem Wahlergebnis, sondern auch mit der Spaltung der Partei, bekommen. Diese Partei, die jetzt bei den Verhandlungen kläglich scheitern wird, braucht heute, außer ein paar alte Funktionäre, kein Mensch mehr.
Hermann Auer 08.12.17 16:49
@Hans-Dieter Volkmann
So isses! Ich gehe sogar noch weiter: Die Agenda 2010 muss hierzu komplett zurückgenommen werden, die Gewerkschaften wieder auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern gehoben werden u.a.m. So lange aber die Konstrukteure der Agenda 2010 in der Bundestagsfraktion und sogar als Bundespräsident das Sagen haben und auch die Jusos für Agenda-kompatiblen Nachwuchs sorgen, wird das nicht passieren. Die SPD wird also in der Versenkung verschwinden.
Jürgen Franke 08.12.17 16:23
Die Wähler in NRW, dem bevölkerungsreichstem
Bundesland in Deutschland haben der SPD eine klare Absage erzielt, denn es wird zukünftig eine Partei benötigt, die für alle Schichten der Bevölkerung zuständig ist. Dass die Rentner in Österreich mit ihrer Rente auskommen und die Deutschen nicht, ist ein Skandal und liegt u.a. daran, dass unterschiedliche Kassen gefüllt werden. Das Problem konnte bisher nicht abgestellt werden, da der dafür zuständige Personenkreis im Bundestag sitzt. Für die Interessen der Arbeiter und Angestellten haben sich die einzelnen Gewerkschaften einzusetzen. Das Thema Leiharbeiter gehört ebenso auf den Prüfstand.
Hans-Dieter Volkmann 08.12.17 14:47
SPD zu Gesprächen
Herr Ingo Kerp, solange die SPD nicht wieder zu einer Arbeitnehmerpartei , zum Vertreter der sozial Schwachen, der Harz 4 Empfänger und Kleinrentner u.s.w. wird hat sie keine wirkliche Chance mehr. Diese Situation hat sie dem Sozialverräter Ex-Kanzler Schröder zu verdanken. Solange sie das nicht erkennt und sich neu aufstellt wird sie eben nur zweitklassig bleiben.
Ingo Kerp 08.12.17 13:45
Sollten die Gespräche mit der Union scheitern, so wie "Jamaika" zuvor, würden Schulz und die SPD in der Versenkung veschwinden.