SORGEN ÜBER SORGEN

SORGEN ÜBER SORGEN

Manche Menschen leiden ständig unter Sorgen. Dabei geht es ihnen vergleichsweise gut. Aber was ist morgen? Eine Inflation könnte sie verarmen lassen, ein Feuer ihr Haus vernichten, eine plötzliche schwere Krankheit zum frühen Tod führen. Sorgen über Sorgen. Diese „Sorgenkinder“ leben nicht heute, sondern in der Zukunft, voller Angst und Sorgen und sind außerstande, die Wohltaten der Gegenwart zu genießen. Oft trifft man sie in Hospitälern an. Diagnose: Magengeschwüre wegen Psychostress. Diesen Leuten sollte man keine Tabletten verschreiben, sondern sie zum Psychotherapeuten schicken, der sie zurückholt ins Hier und Jetzt, der ihnen Lebensfreude zurückbringt und die Fähigkeit, sich an der Gegenwart zu erfreuen.

Da ist zum Beispiel Karl. Seit Monaten findet er keinen Schlaf mehr, weil er ständig grübelt, was demnächst passieren könnte. Er hat keinen Appetit, ist völlig apathisch und antriebslos. Der Grund: Der Arzt hat ihm eröffnet, dass seine Frau Alzheimer im Anfangsstadium hat. Nun kann er an nichts anderes mehr denken als an die unvermeidlichen Folgen. Dabei geht es ihr noch gut. Sie lacht und scherzt, redet nur manchmal unverständliches Zeug, aber sonst ist sie ganz fidel. Karl lässt sich dadurch nicht aufmuntern, wird immer missmutiger und trägt so dazu bei, dass die Krankheit seiner Frau schneller fortschreitet. Er hat sich informiert: Eines Tages wird sie mich nicht mehr erkennen, nicht mehr wissen, wer und wo sie ist. Freunde versuchen, ihn zu beruhigen, fordern ihn auf, mit seiner Frau auf Reisen zu gehen, mit ihr zu spielen, solange sie dazu noch in der Lage ist und sie von ihrer langsam fortschreitenden Demenz abzulenken. Vergeblich. Wenn er im Bett liegt, brütet er stundenlang vor sich hin, und wenn er endlich mit Hilfe einiger Tabletten einschläft, dann quälen ihn Albträume.

Natürlich habe ich Verständnis für die Sorgen aller Menschen, die im Elend leben, die hungern und frieren, kein Dach überm Kopf haben und deren Flüsse, aus denen sie ihr Wasser schöpfen, verdreckt, verbleit und von Krankheitskeimen verseucht sind. Ich habe Mitleid mit all den Menschen, die in ihrer Not versuchen, unter Einsatz ihres Lebens in ein anderes Land zu gelangen, wo sie zumindest überleben können. In der Regel wird ihr Asylantrag abgelehnt, die Aufenthaltsgenehmigung – je nachdem, woher sie kommen – auf kurze Zeit beschränkt. Aber wer einmal erlebt hat, wie dankbar diese Asylanten für einen trockenen Raum, ein Bett, gespendete Kleidung und das Taschengeld sind, das in ihrer Heimat ein kleines Vermögen darstellt, der sollte sich ernsthaft fragen, ob seine Sorgen und Klagen als Hartz-4-Empfänger nicht maßlos übertrieben sind. Eine Reise durch Afrika, Afghanistan oder Pakistan würde ihnen bestimmt die Augen öffnen und sie erkennen lassen, wie privilegiert sie sind. In Europa verhungert niemand. Wer in Not ist, dem wird geholfen.

Auch hier in Thailand gibt es genug arme Familien, die sich Sorgen machen um ihre tägliche Reisration. Da hilft kein Staat. Wer keinen anderen Ausweg mehr sieht, der sammelt im Abfall Plastikflaschen oder geht betteln. Einige Frauen sitzen am Wegesrand, manchmal mit einem Baby im Arm, das sie von noch ärmeren Landsleuten für einen kleinen Obolus gemietet und mit Medikamenten ruhiggestellt haben. Daneben betteln Kinder, die aus diesem Grund, zumeist illegal, ins Land eingeschleust wurden, und am Ende des langen Tages und der langen Nacht das erbettelte Geld an ihre „Beschützer“ abliefern müssen. Ihnen bleibt im besten Fall ein trostloses Massenquartier, einen kleinen Lohn haben ihre Eltern vorher schon kassiert.

Die Polizei ist dagegen nahezu machtlos. Sie sammelt die Kinder ein und bringt sie zurück nach Kambodscha. Aber wenige Tage später sind sie wieder da, natürlich mit dem Segen ihrer notleidenden Eltern.

Ich lernte hier in Pattaya York, einen jungen, sehr liebenswerten Laoten kennen, der sich ohne Papiere hier durchzuschlagen versuchte. Einen Job bekam er nicht wegen fehlender Papiere. Er hatte weder eine ID-Karte noch einen Reisepass. Um zu überleben, ließ er sich widerwillig auf liebeshungrige Farangs ein, obwohl er nicht schwul war. Den größten Teil seines Verdienstes schickte er seiner mittellosen Familie, die nur noch aus einer Großmutter und einem kleineren Bruder bestand. Sein größter Wunsch war, einen Pass und Papiere zu bekommen, die es ihm ermöglichen würden, hier zu leben und auf anständige Weise Geld zu verdienen. Aus Mitleid gab ich ihm das nötige Geld, und er reiste – wiederum illegal – über den Mekong heim, um in Laos die ersehnten Papiere zu bekommen. Leider ist mir sein derzeitiges Schicksal unbekannt. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.

Wie klein sind dagegen unsere Sorgen hier im sonnigen Paradies. Mein alter Freund Ben lebt hier glücklich und zufrieden in seiner einfachen Mansarde und ist hocherfreut über die allmonatlich eintreffende kleine Rente. Er gönnt sich wenig, kann sich auch nur wenig leisten und stillt seinen Hunger an den Garküchen auf der Straße. Aber bei all seiner Sparsamkeit kauft er sich doch hin und wieder ein aufmunterndes Fläschchen und zitiert dabei Wilhelm Busch: „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör“.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Juergen Francis 02.02.15 17:15
SORGEN ÜBER SORGEN
Ja wir leben in einer sehr schnellebenden Zeit und vergessen dabei den wahren Wert des Lebens || Freundschaft || dieser wunderbare Schlüssel des Lebens. Ich selber lebe hier 26 Jahre hatte alles verloren und lebe mit dem Virus HIV. Doch fand ich einen neuen Anfang durch die Hilfe von Thais ,....ja obwohl sie wussten ich habe kein Geld halfen sie mir und jetzt helfe ich mit der selben Zuneigung und Liebe den Patienten und Kinder die mit HIV infektet sind. In den letzten vier Jahren durfte ich zum erstenmal so richtig Leben. Ja es ist möglich ,......auch in Thailand.