Snapchat setzt auf ältere Nutzer

Foto: epa/Sascha Steinbach
Foto: epa/Sascha Steinbach

LOS ANGELES (dpa) - Viele Erwachsene fanden Snapchat schon immer verwirrend. Solange die App immer neue Teenager als Kunden gewann, galt das sogar als cool. Doch jetzt flaut das Wachstum ab, Snapchat braucht händeringend ältere Nutzer - und soll künftig einfacher zu nutzen sein.

Die Foto-App Snapchat steckt in der Krise und soll nach erneut miesen Quartalszahlen einfacher nutzbar werden. Der grundlegende Umbau solle dem Dienst auch mehr ältere Nutzer bringen, betonte der Mitgründer und Chef der Betreiberfirma Snap, Evan Spiegel. Damit meint er Menschen im Alter über 34 Jahren.

Die Zahlen für das dritte Quartal fielen so desolat aus, dass die Aktie im frühen Handel am Mittwoch zwischenzeitlich um mehr als 15 Prozent einbrach. Der Quartalsverlust hatte sich im Jahresvergleich mehr als verdreifacht, Umsatz und Nutzerzuwachs lagen deutlich unter den Erwartungen der Wall Street. Snap musste zudem rund 40 Millionen Dollar auf liegengebliebene Geräte seiner Kamera-Sonnenbrille abschreiben, die eigentlich ein Verkaufsschlager werden sollte.

Die Zahl täglich aktiver Nutzer legte im dritten Quartal nur um drei Prozent auf 178 Millionen zu. Der Verlust erreichte 443,2 Millionen Dollar nach 124,2 Millionen vor einem Jahr. Der Umsatz stieg zwar um 62 Prozent auf knapp 208 Millionen Dollar - Analysten hatten aber mit fast 30 Millionen Dollar mehr gerechnet. Das bedeutet, das Geschäft mit Werbung kommt nicht so schnell in Schwung wie erhofft. Zuvor hatte sich Spiegel noch überzeugt gezeigt, dass die Anzeigenplattform von Snap der Konkurrenz überlegen sei und man das den Werbekunden nur beibringen müsse.

Snap kündigte vor diesem Hintergrund einen überraschend drastischen Einschnitt an: Die Funktionsweise der Snapchat-App soll geändert werden. Nutzer hätten sich oft beschwert, dass sie nur schwer zu verstehen sei, sagte Spiegel. «Deshalb designen wir die App gerade um, um sie einfacher nutzbar zu machen.» Er räumte ein, dass die Veränderungen - zumindest kurzfristig - nicht allen aktuellen Nutzern gefallen könnten und unklar sei, wie sie darauf reagierten. «Wir sind bereit, dieses Risiko einzugehen, weil wir glauben, dass das langfristige Vorteile für unser Geschäft bringen wird.» Teenager haben in der Regel auch bisher kein Problem mit der Bedienung, Erwachsene finden Snapchat oft verwirrend. Einen Zeitplan für die Umgestaltung nannte Snap nicht.

Zugleich betonte Spiegel, bei jungen Nutzern in wichtigen Märkten stehe Snapchat weiterhin hoch im Kurs: Von den 13- bis 34-Jährigen in den USA, Frankreich, Großbritannien und Australien erreiche man 70 Prozent.

Als weitere Neuerung soll die Reihenfolge der Fotos in der App geändert werden. Aktuell werden sie strikt chronologisch angezeigt, künftig soll Software sie nach vermuteter Relevanz für den Nutzer sortieren können. Diesen Weg gehen bereits auch Facebook und Twitter.

Snapchat war in den vergangenen Jahren rasant gewachsen und galt vielen als «das nächste große Ding» im Online-Geschäft. Entsprechend war einem Börsengang lange entgegengefiebert worden. Doch die Aktie war zuletzt rund 40 Prozent weniger Wert als zum Börsendebüt Anfang März.

Der chinesische Internet-Gigant Tencent nutzt die Kursschwäche für einen Zukauf in großem Stil. Die Firma hinter der in China allgegenwärtigen Messaging-Plattform WeChat erwarb jüngst einen Anteil von rund zwölf Prozent, wie aus dem Snap-Quartalsbericht hervorging. Tencent kaufte demnach knapp 146 Millionen Snap-Aktien an der Börse zusammen. Ein Kaufpreis wurde nicht genannt. Snap betonte zugleich, Tencent könne die stimmrechtlosen Aktien auch wieder abstoßen, ohne dass die anleger darüber informiert werden müssten.

Nordamerika blieb die wichtigste Stütze des Snap-Geschäfts: Mit 77 Millionen täglichen Nutzern wurden dort 80 Prozent der Erlöse erzielt. In Europa stagnierte die Nutzerzahl bei 57 Millionen - und der Umsatz betrug nur 27 Millionen Dollar. Pro Nutzer machte Snap im vergangenen Quartal 2,17 Dollar in Nordamerika und 48 US-Cent in Europa.

Die Höhe der Abschreibung auf die 130 Dollar bzw. 150 Dollar teure Foto-Brille «Spectacles» bestätigte Medienberichte, wonach Snap auf mehreren hunderttausend nicht verkauften Geräten sitzengeblieben ist. Man habe das anfängliche Interesse überbewertet und zu viele Kamerabrillen bestellt, räumte Snap ein. Man werde sie aber weiterhin verkaufen, hieß es.

Snap will zudem mehr interessante Inhalte auf die Plattform locken. Dafür sollen Nutzer die Möglichkeit bekommen, damit Geld zu verdienen. Snapchat war ursprünglich mit von alleine verschwindenden Bildern populär geworden - baute das Geschäft aber dann unter anderem als Plattform für Medieninhalte und mit virtuellen Masken und Filtern aus.

Ein Problem für Snap ist, dass Facebook bei seiner Foto-Plattform Instagram mehrere populäre Funktionen nachgebaut hat und damit auf mehr tägliche Nutzer als Snapchat kommt. Zudem bereitete die Vielfalt der Telefone mit dem Google-Betriebssystem Android Snap in den vergangenen Monaten Schwierigkeiten - die App lief auf diversen Geräten schlecht, weil sich die Anpassung an unterschiedliche Hardware als kompliziert erwies. Inzwischen habe man die Hausaufgaben gemacht, betonte Spiegel.

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