Skandal um Nazi-Liedgut

 Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte, er sei fassungslos gewesen, als er von dem Text erfuhr. Foto: epa/Florian Wieser
Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte, er sei fassungslos gewesen, als er von dem Text erfuhr. Foto: epa/Florian Wieser

WIEN (dpa) - In Österreich nährt ein Skandal um Nazi-Liedtexte bei einer Burschenschaft den Verdacht, dass bei der Regierungspartei FPÖ weiterhin antisemitische Tendenzen bestehen.

Der FPÖ-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niederösterreich, Udo Landbauer (31), war Vize-Chef der Burschenschaft Germania, in deren Liederbuch eine Textstelle lautet. «Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: «Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million»». Die Nazis hatten sechs Millionen Juden ermordet. Die Affäre erfasst zunehmend auch die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

«Das ist ein Aufruf zum Massenmord, der als solcher behandelt werden muss.» In einem offenen Brief an Kurz artikulierten am Donnerstag mehrere Universitätsrektoren und -professoren ihr Entsetzen. Und sie
fordern: «Beenden Sie die Zusammenarbeit mit allen, die Mitglieder rechtsextremer Burschenschaften in ihren Büros beschäftigen.»

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte im Ö1-«Morgenjournal», er sei fassungslos gewesen, als er von dem Text erfahren habe. Der Vorfall müsse nun mit aller Entschiedenheit verfolgt werden.

Auch wenn Landbauer bekräftigt, die Texte weder gekannt noch gesungen zu haben: Opposition und Teile der Öffentlichkeit fühlen sich in ihrem Grundverdacht bestätigt, dass das antisemitische Gedankengut in
den Reihen der FPÖ nur oberflächlich ausgelöscht sei. Ein Problem auch für die konservative ÖVP, die seit wenigen Wochen gemeinsam mit der FPÖ regiert.

«Der Skandal um Udo Landbauer hat einen unglaublichen braunen Sumpf zutage gefördert. Sebastian Kurz und die ÖVP haben dieser Freiheitlichen Partei den Weg in höchste Regierungsämter geebnet»,
schrieb SPÖ-Chef und Ex-Kanzler Christian Kern auf Facebook.

Van der Bellen schaltete sich am Donnerstag mehrfach in die Debatte ein und unterstellte Landbauer indirekt eine Lüge. Dessen Erklärungen seien fadenscheinig. «Das müssen ja alle Mitglieder dieser Burschenschaft gewusst haben, was in diesem Liederbuch gestanden ist, auch der Vize-Obmann muss das gewusst haben», sagte der ehemalige Grünen-Chef.

Der 31-jährige Landbauer verteidigte sich. Die Passage verstoße «gegen alle meine Grundprinzipien», sagte der Sohn einer Iranerin und eines Österreichers in der Nachrichtensendung «ZiB2». Er habe seine Mitgliedschaft nach Bekanntwerden der Vorwürfe sofort niedergelegt. Bei dem nun aufgetauchten 200-seitigen Liederbuch müsse es sich um eine alte Version handeln, die er nicht gekannt habe. Landbauer war 17 Jahre Mitglied der Burschenschaft und zeitweise stellvertretender Vereinschef.

Kanzler Kurz forderte am Donnerstag volle und rasche Aufklärung. «Wer für so etwas verantwortlich ist, solche Lieder singt oder diese Inhalte verbreitet, der agiert nicht nur abscheulich antisemitisch und verhetzerisch, sondern macht sich in unserem Land auch strafbar. Die Verantwortlichen müssen die volle Härte des Gesetzes spüren», so Kurz.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Verbreitung von NS-Gedankengut. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklärte, es handle sich um ein «wirklich widerliches und antisemitisches Lied». Die FPÖ-Spitze hatte sich in den vergangenen Jahren stark bemüht, die Partei als eindeutig nicht-antisemitisch zu positionieren.

Die Polizei beschlagnahmte am Mittwochabend während einer Hausdurchsuchung bei der Burschenschaft 19 «Liederbücher» und zwei Ordner mit Unterlagen. Ein Burschenschaftler, der für die Neuauflage des Buches 1997 verantwortlich sein soll, werde demnächst vernommen, hieß es am Donnerstag.

Der Skandal, vom Magazin «Falter» ins Rollen gebracht, ist damit wenige Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Niederösterreich aufgedeckt worden. Die FPÖ konnte laut Umfragen bisher darauf hoffen,
dort ihren Stimmenanteil auf rund 16 Prozent zu verdoppeln. Ob die Debatte den Rechtspopulisten schadet, ist ungewiss. Landbauer geht mit dem Motto «Jetzt erst recht!» in die Schlussphase des Wahlkampfs.

Die Professoren formulierten in ihrem offenen Brief eine Sorge, die seit dem Machtzuwachs der FPÖ in Österreich immer wieder auftaucht. «Die Normalisierung des Rechtsextremismus schreitet in Österreich
voran.» Ohne eine Beendigung der Zusammenarbeit mit allen, die Verbindungen zur rechtsextremen Szene erkennen ließen, wirkten jegliche Reaktionen wie «augenzwinkernde Distanzierungen».

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