Schwere Prüfung für Kenia

Der amtierende kenianische Präsident Uhuru Kenyatta. Foto: epa/ Daniel Irungu
Der amtierende kenianische Präsident Uhuru Kenyatta. Foto: epa/ Daniel Irungu

NAIROBI (dpa) - Dolphin Anyango ist entschlossen. «Wir werden die Wahl boykottieren», sagt die kurzhaarige, schmale junge Frau. «Wir wollen, dass das Oberste Gericht auch diese Wahl annulliert.» Dass es in ihrer Nachbarschaft Kibera bald ungemütlich wird, ist der 35-Jährigen klar. Der Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ist oft Brennpunkt von Protesten und blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Denn Kibera ist eine Hochburg der Opposition, die die Wiederholung der Präsidentenwahl am Donnerstag boykottieren will - falls sie überhaupt stattfindet. Die Spannungen auf Kenias Straßen sind fast greifbar. Dem Land steht eine schwere Prüfung bevor.

Eigentlich gilt das ostafrikanische Land als solide Demokratie und verlässlicher Partner des Westens. Doch seit der Wahl am 8. August spielen sich Szenen wie aus einem Politthriller ab. «Wir befinden uns in einer politischen Krise», sagt Analyst Abdullahi Abdille von der Denkfabrik International Crisis Group. «In einer großen Krise.» Statt sie zu lösen, droht die bevorstehende Wahl ohne Oppositionsführer Raila Odinga diese noch zu verstärken.

Bereits der 8. August - am dem die Kenianer neben einem Präsidenten auch ein Parlament und neue Gouverneure wählten - war von Nervosität geprägt. Kurz nach Schließung der Wahllokale warf Odinga seinem Rivalen, dem amtierenden Uhuru Kenyatta, Wahlbetrug vor. Als Kenyatta zum Sieger erklärt wurde, zog Odinga vor Gericht. Die überraschende und historische Annullierung der Präsidentenwahl durch das Oberste Gericht wurde als demokratisches Leuchtfeuer gefeiert.

Doch die Euphorie verflog schnell. Je näher die Neuwahl rückte, desto mehr verhärteten sich die Fronten zwischen Kenyatta und Odinga. Der 72-jährige Oppositionsführer nannte seinen Rivalen unter anderem einen «blutrünstigen Boxer» und rief zu Protesten gegen die Wahlkommission auf. Diese hatte aus seiner Sicht nicht genug getan, um die Fehler der ersten Wahl zu korrigieren. Kenyattas Jubilee-Partei goss mit umstrittenen Änderungen der Wahlgesetze im Parlament Öl ins Feuer. Als sich Odinga dann von der Wahlwiederholung zurückzog und zum Boykott aufrief, stürzte er Kenia in politische Ungewissheit.

Bei dem Tauziehen geht es um mehr als die Ambitionen der beiden politischen Schwergewichte. Kenyatta, der Sohn des ersten Präsidenten Kenias, gehört der größten Volksgruppe der Kikuyu an, die bislang drei der vier Präsidenten gestellt hat. Andere Gruppen fühlen sich von der politischen Macht und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ausgeschlossen. Odinga, der Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias, gehört der Gruppe der Luo an und sieht sich als Vertreter der Marginalisierten.

«Die meisten Menschen wählen entlang ethnischer Linien», erklärt die feurige Odinga-Unterstützerin Anyango. «Es gibt immer noch keine wirkliche Demokratie in Kenia». So ist es in der Vergangenheit bei Wahlen oft zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Vor zehn Jahren etwa wurden mehr als 1.000 Menschen getötet und 150.000 in die Flucht getrieben. Mohammed Abubakar, der nur wenige Hundert Meter von Anyango entfernt in Kibera lebt, traut sich nur zu flüstern, dass er die Regierungspartei unterstützt. «Ich kann da nicht offen drüber reden», sagt der 20-jährige Holzkohleverkäufer.

Noch kurz vor der Neuwahl herrschte große Unsicherheit, ob die Abstimmung tatsächlich am Donnerstag stattfinden wird. Der Rücktritt eines führenden Mitglieds der Wahlkommission wenige Tage zuvor löste ein kleines politisches Erdbeben aus. Roselyn Akombe erklärte, die Wahlkommission folge parteipolitischen Interessen und damit könne keine demokratische Abstimmung gewährleistet werden. Selbst der Leiter der Kommission, Wafula Chebukati, äußerte ähnliche Zweifel. Noch am Tag vor der Abstimmung befasste sich das Oberste Gericht mit einem Antrag zur Verschiebung der Neuwahl.

Eine Wahl ohne die größte Oppositionspartei, überschattet von derartigen Bedenken, ist für viele in Kenia ein böses Omen. Odinga erhielt bei der Abstimmung im August 44,7 Prozent der Stimmen. «Wenn die Wahl stattfindet und quasi die halbe Bevölkerung sie boykottiert, bedeutet das Chaos», sagt Abdille. Odingas Parteienbündnis Nasa hat für den Wahltag Demonstrationen angekündigt, die, wie Beobachter befürchten, blutig enden könnten.

Doch besonders besorgniserregend sind die möglichen Langzeitfolgen der politischen Krise. Sollte Kenyatta durch diese umstrittene Abstimmung für weitere fünf Jahre zum Staatschef ernannt werden, bringe dies «Probleme der Legitimität» mit sich, erklärt Abdille. Wie geht es weiter in einem Land mit einem Präsidenten, der womöglich von einem großen Teil der Bevölkerung nicht anerkannt wird?

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