Samba und Soldaten: Rios Karneval als Parallelwelt

Foto: epa/Fernando Maia / Riotour Handout
Foto: epa/Fernando Maia / Riotour Handout

RIO DE JANEIRO (dpa) - Überschattet von zunehmender Gewalt und Finanzproblemen nach Olympia begibt sich Rio de Janeiro in den kollektiven Karnevalsrausch, eine Sambaschule ist 2017 so politisch wie selten. Der neue Bürgermeister kann mit der Sause entgegen aller Tradition nichts anfangen.

Das «Bom Dia» («Guten Tag») wird dieser Tage abgelöst vom «Bom Bloco» («Guten Umzug»). Es ist fast unmöglich, den Überblick zu behalten, wer beim Karneval wann wo durch Rio de Janeiro zieht. Schon lange vor dem offiziellen Start am Freitag (24.2.) mit der Übergabe des Stadtschlüssels an König Momo, seine Karnevalskönigin und seine Prinzessinen gibt es seit Tagen Samba-Umzüge. Der Karneval ist dieses Jahr auch eine Ablenkung von großen Problemen - er ist eine Parallelwelt.

Die Cariocas, die Bewohner Rio de Janeiros, lieben das Feiern, aber der Kater von der letzten großen Sause ist noch lange nicht verklungen. Sinnbildlich dargestellt durch 9.000 Soldaten, die schwer bewaffnet derzeit patrouillieren, weil es im Polizeiapparat gärt.

Die Stadt hat sich mit den Milliardenkosten der Olympischen Spiele übernommen - Gehälter wurden, wenn, oft erst sehr verzögert gezahlt, die Sicherheitslage etwa in Favelas hat sich stark verschlechtert.

So sind das Feiern, die prachtvollen Sambaparaden im jeden Abend mit über 70.000 Menschen gefüllten Sambódromo auch eine Art Flucht aus dem tristen Alltag. Die für Olympia errichteten Sportstätten verfallen, das berühmte Maracanã-Stadion ist seit Wochen geschlossen, Katzen streunen herum, der Rasen ist vertrocknet, Sitze herausgerissen.

In Rio gibt es dieses Jahr 452 Blocos, das sind noch einmal 53 Umzüge weniger als im Vorjahr, als auch schon wegen finanzieller Engpässe bei vielen Gruppen etwa bei den Kostümstoffen gespart werden musste.

Brasilien 2017, das ist ein Land in tiefer Krise, auch wenn sich die Wirtschaftsdaten etwas bessern. Einerseits herzensgute Menschen, heiße Rhythmen, das pralle Leben. Aber dann diese Gewalt; allein seit Januar über 120 Tote bei Gefängnismeutereien, auch Ergebnis eines verkorksten Strafvollzugs. Rund 622.000 Häftlinge sitzen derzeit in Gefängnissen mit einer Gesamtkapazität von nur 372.000 Plätzen ein.

Im benachbarten Bundesstaat Espírito Santo wurden während eines Polizeistreiks gerade in einer Woche über 130 Menschen ermordet, auch hier mussten tausende Soldaten von der Zentralregierung geschickt werden. Hier wurden wegen der fragilen Sicherheitslage in 16 Städten die Karnevalsumzüge abgesagt. Die aus dem Ruder gelaufene Lage hat sogar den Chef der Streitkräfte zu einer ungewöhnlichen Stellungnahme veranlasst. Brasilien fehle «ein Minimum an sozialer Disziplin», sagte General Eduardo Dias da Costa Villas Bôas dem Magazin «Valor».

Aber die ersten Umzüge zeigen: Jetzt wird das alles mal vergessen, in der Hoffnung, dass die Gewaltwelle nicht auch den Karneval in Rio erreicht. Kostüme reichen von Gruppenverkleidungen als «Donald Trumps Mauer» bis zu Sträflingsuniformen mit den Namen einiger «Promis». Jüngst erst wurde der einst reichste Brasilianer, Eike Batista, vom Flughafen - wo er aus New York ankam - ins Gefängnis gebracht. Die Haare wurden kahlgeschoren, ihm wird Politikerbestechung vorgeworfen.

Ohnehin spielt nicht nur das Vorgehen der Justiz gegen Korruption eine Rolle im Karneval. Er ist nicht nur oberflächliche Parallelwelt, sondern in diesem Jahr politisch wie lange nicht mehr. Einige allzu frauenfeindliche Lieder wurden verbannt und ein Favorit auf den Titel im Wettstreit der großen Sambaschulen, wird eine sattgrüne Hommage an 17 bedrohte indigene Ethnien liefern. Die Schule Imperatriz und ihre mehreren tausend Tänzer wollen damit den durch die Aufweichung von Schutzzonen im Amazonasgebiet bedrohten Völkern eine Stimme geben. Durch den Sojaanbau und die Rohstoffausbeutung werden immer mehr indigene Gemeinschaften ihrer natürlichen Lebensräume dort beraubt.

Einer wird übrigens - entgegen jeder Tradition - nicht beim Karneval dabei sein. Der neue Bürgermeister Marcelo Crivella. Seine Wahl ist auch ein Spiegelbild, dass sich viele, gerade weiße Cariocas, wegen der schwierigen Lage nach einem scheinbaren «Heilsbringer» sehnen.

Der Ex-Sektenbischof gehört der «Universalkirche des Königreiches Gottes» an. In den Favelas will er mit harter Hand durchgreifen, lokale Medien vergleichen ihn schon mit US-Präsident Donald Trump.

Über Schwarze sagte er mal, sie würden vor allem Cachaça-Schnaps und Prostitution mögen. Crivella scheint kein Freund dieser Samba-Sause zu sein - er hat angekündigt, während des Karnevals zu verreisen.

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