Rohingya-Lager - Cholera-Gefahr steigt

Foto: epa/Abir Abdullah
Foto: epa/Abir Abdullah

COX'S BAZAR (dpa) - Mehr als eine halbe Million Flüchtlinge sind in etwas mehr als einem Monat nach Bangladesch gekommen. Das Land und die Hilfsorganisationen sind mit der Situation überfordert. Nach einigen ersten Cholera-Fällen ist die Angst vor einem Massenausbruch groß.

Lumaishas Baby kam zwischen Gewaltwellen im Westen Myanmars zur Welt. Die junge Mutter entschied sich, erst einen Namen für ihren Sohn zu wählen, wenn dieser in Sicherheit lebt. Vor wenigen Wochen floh sie, wie zuletzt Hunderttausende andere Angehörige der Rohingya-Minderheit, mit ihm ins Nachbarland Bangladesch.

Doch der magere Säugling ist weiterhin namenlos. Blass, fast leblos, liegt er im Arm seiner Mutter. Sein eingefallenes Gesicht ist mit einem Tuch bedeckt, der Körper nur noch Haut und Knochen.

«Ich habe große Angst», erzählt Lumaisha, die auf dem Weg zu einer kleinen Klinik ist. «Mein Sohn hat aufgehört, meine Milch zu trinken, und es geht ihm immer schlechter. Seit einigen Tagen hat er auch Durchfall.»

Erste Fälle der gefährlichen Darm-Infektionskrankheit Cholera im Flüchtlingslager Kutupalong, wo die beiden nun leben, wurden bereits im Labor bestätigt. Auch Maserninfektionen wurden festgestellt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einem potenziell verheerenden und tödlichen Cholera-Ausbruch. Unicef spricht von bislang 4.790 Durchfallerkrankungen und einer hohen Rate von Unterernährung bei den Kindern, die etwa 60 Prozent der Flüchtlinge ausmachen. Ein Fünftel der Kinder unter fünf Jahren leide an akuter Unterernährung, sagt das UN-Kinderhilfswerk.

Die Situation in den nun überlasteten und für den Zustrom unvorbereiteten Lagern ist eine Katastrophe. Die Zahl der Flüchtlinge hat sich im südasiatischen Bangladesch innerhalb von etwas mehr als einem Monat verdoppelt und liegt insgesamt bei fast einer Million Menschen. Viele flohen bereits vor Jahren und leben noch heute im Flüchtlingslager.

«Die Bedingungen sind schrecklich und durch einen stetigen Zufluss von Menschen sehen wir, dass die Krise nicht vorüber ist», meint Unicef-Chef Anthony Lake vor Ort auf einer Pressekonferenz.

Besonders bei den Neuankömmlingen ist die Not groß. Behausungen bestehen aus einfachen Plastikplanen und Bambusstöcken, die während der Regenzeit kaum Schutz vor Nässe bieten. Über 20 Kilometer hinweg erstreckt sich inzwischen das schlammige Lager. Aus Mangel an Toiletten verrichten viele Bewohner ihr Geschäft im Freien. Barfuß laufen die Menschen durch den stinkenden Schlamm, oft haben sie keinen Zugang zu sauberem Wasser. Zwar gibt es Brunnen und Wasserpumpen, diese reichen jedoch nicht aus. Es ist ein denkbar geeigneter Nährboden für die durch verunreinigtes Wasser übertragene Cholera.

«Durchfallerkrankungen können sich sehr einfach verbreiten, wenn so viele Menschen auf engem Raum ohne ausreichende Hygiene zusammenleben. Was uns Sorge macht, ist, dass Neuankömmlinge besonders anfällig sind, da ihre Körper und ihr Immunsystem durch die schweren Umstände geschwächt sind», erklärt Yante Ismail, Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. «Wir sehen immer mehr Flüchtlinge, die mit Durchfallerkrankungen und Dehydrierung in die Gesundheitszentren des Lagers kommen.»

Auch Lumaisha hat keine Kraft mehr. «Ich esse nicht mehr als eine Mahlzeit am Tag und fühle mich schwach. Mein Mann wurde erschossen, und ich konnte gerade so mit meinem Sohn fliehen. Doch hier im Lager haben wir keine Perspektive», sagt sie.

So gut wie alle Flüchtlinge erzählen, dass sie nur einmal am Tag essen. Mehr Nahrung gibt es nicht. Kilometerlang sind die täglichen Menschenschlangen, die auf den Reis und die Linsen warten, die das Welternährungsprogramm verteilt. «Seit Sonnenaufgang stehe ich hier und warte darauf, Essen für meine Familie zu bekommen», erzählt Hassan, ein älterer Familienvater. «Ich bin erschöpft. Trotzdem sterbe ich lieber hier, als zurück nach Myanmar zu gehen», fügt er hinzu.

Viele der Flüchtlinge teilen Hassans Einstellung. «Die Menschen werden erst einmal hier bleiben. Deshalb versuchen wir, die Lager so gut wie möglich zu strukturieren», sagt der bangladeschische Oberstleutnant Rashed Hasan. Von Anfang an hat das örtliche Militär den Flüchtlingen Schutz und Unterstützung geboten. «Über 20 Kilometer Straßen wollen wir bauen, wenn die Regenzeit beendet ist. Somit wird der Transport von Hilfsgütern hoffentlich vereinfacht», sagt der Offizier.

Trotzdem wird der Alltag für Lumaisha in nächster Zeit nicht einfacher. «Ich habe weder Kleidung noch Haus», sagt die Mutter, die mit 23 anderen Flüchtlingen auf dem Boden eines einfachen Zeltes schläft. «Ich kämpfe um das Überleben meines Sohnes. Ich will, dass es ihm gut geht. Ich will, dass er einen Namen hat.»

Rund 100.000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar warten auf eine Möglichkeit zur Überquerung der Grenze in das benachbarte Bangladesch. Das teilte am Sonntag die
internationale Migrationsbehörde IOM mit. Nach deren Schätzung haben bereits 515.000 Rohingya die Grenze überquert, seit die Armee Myanmars vor knapp sechs Wochen eine Militäroperation gegen
Rohingya-Rebellen gestartet hat.

In der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka verlautete unterdessen, dass die Regierung auch weitere Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufnehmen werde. «Wir werden die Tür nicht gewaltsam schließen, ohne Zustimmung der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Organisationen», sagte Transportminister Obaidul Quader, zugleich Generalsekretär der regierenden Awami League.

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