Proteste führen zu Verunsicherung im Ausland

Foto: epa/Str
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TEHERAN (dpa) - Auch eine Woche nach dem Beginn der Demonstrationen gegen den Klerus und die politische Führung im Iran ist das genaue Ausmaß der Proteste weiter unklar. Über deren möglichen Effekt herrscht auch in Deutschland Unsicherheit.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fürchtet, dass die Demonstrationen im Iran zu einer Stärkung der Hardliner führen könnten. Zwar zeichne sich aus den Protesten noch kein Wandel im Iran ab, jedoch seien sie für Präsident Hassan Ruhani sehr gefährlich, sagte Kiesewetter der «Heilbronner Stimme» (Donnerstag). «Ein geschwächter Präsident, oder sogar dessen Rücktritt», könne im Endeffekt vor allem den radikalen Hardlinern um den oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei nützen. Die Kluft zwischen dem Reformer Ruhani und dem Hardliner Chamenei werde auf jeden Fall größer, so Kiesewetter.

Im Iran kämpfen Reformer und Hardliner seit langem um die Führung des Landes. Anders als Ajatollah Chamenei sieht Präsident Ruhani die Proteste nicht nur als ausländische Verschwörung. Es gehe auch um die Freiheiten der Menschen im Land.

Wie ausgeprägt die Proteste noch waren, blieb zunächst unklar. Twitter-Konten von Aktivisten zeigten Videos von Märschen, die in den Städten Karadsch, Maschad, Khorramabad, Hamadan und Tabris gefilmt worden sein sollen. Auch in der Hauptstadt Teheran soll es kleinere Versammlungen auf der Dschomhuri-Straße und am Inkilab-Platz gegeben haben.

Für einen Systemwechsel im Iran gingen am Mittwoch auch in Deutschland mehrere Hundert Menschen auf die Straße. In Berlin und Hamburg hielten Demonstranten Plakate mit Slogans wie «Weg mit Ruhani! Weg mit Chamenei!», «Die iranische Bevölkerung will ein Ende der religiösen Diktatur» und «Nieder mit der Islamischen Republik Iran».

Der deutsche Außenhandel befürchtet unterdessen durch die Spannungen und Massenproteste im Iran einen Rückschlag für die Wirtschaftsbeziehungen. «Ob und wie sehr die aktuellen Unruhen die Situation weiter belasten, bleibt abzuwarten. In jedem Fall führen sie aber zu weiterer Verunsicherung», sagte Holger Bingmann, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der «Nordwest-Zeitung» (Donnerstag).

Internationale Beobachter sorgen sich auch um die Rechte und die Sicherheit der Menschen im Iran. UN-Generalsekretär António Guterres drängte darauf, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Iran zu respektieren. Er verfolge die seit Tagen anhaltenden Proteste mit Sorge und bedaure, dass dabei Menschen ums Leben gekommen seien, teilte sein Sprecher Farhan Haq am Mittwoch mit. «Jegliche Demonstration muss auf friedliche Weise stattfinden. Weitere Gewalt muss vermieden werden», hieß es aus New York.

Die Proteste hatten am vergangenen Donnerstag in Maschad im Nordosten des Landes begonnen. Sie hatten sich zunächst gegen die Wirtschafts- und Außenpolitik der Regierung gerichtet, wurden aber zunehmend systemkritisch. Hunderte Demonstranten wurden festgenommen, mindestens 19 Menschen sollen bei Zusammenstößen getötet worden sein.

Die staatlichen Revolutionsgarden (IRGC) hatten die Proteste am Mittwoch - eine Woche nach dem Beginn - für gescheitert erklärt. Der Oberkommandierende Mohamed Ali Dschafari räumte ein, dass die Demonstrationen sich zunächst ausgeweitet hätten. Sie seien aber am Einsatz der Sicherheitskräfte und an der Weigerung vieler Menschen, sich den Demonstranten anzuschließen, gescheitert. Nach der Einschränkung des Zugangs zu sozialen Medien seien die Proteste sofort weniger geworden. Laut Dschafari nahmen an den Protesten der vergangenen Tage zwischen 1500 und 15 000 Menschen teil. Einigen von ihnen drohten «sehr harsche Strafen».

Als Drahtzieher der Proteste werden die USA, Israel und Saudi-Arabien bezeichnet. Die Teheraner Führung hatte Mittwochmorgen Massenkundgebungen organisiert, um zu zeigen, dass das System weiter vom Volk unterstützt wird.

Auch der Anführer der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, Hassan Nasrallah, spielte in einem Fernsehinterview am Mittwoch die Bedeutung der regimekritischen Proteste im Iran herunter. «Mit Blick auf den Iran gibt es nichts, denke ich, worüber wir uns Sorgen machen sollten», sagte Nasrallah dem libanesischen Sender Al-Majadin. Die Proteste im Iran seien nicht groß. Zudem sei die Krise von den USA und Saudi Arabien geschürt worden.

Nasrallah rief seine Anhänger auf, sich nicht von Medienberichten über die Protestwelle im Iran beeinflussen zu lassen. Die Hoffnung der USA und Saudi Arabiens, dass die Demonstrationen politische Auswirkungen haben würden, hätten sich nicht erfüllt. Der Iran gilt als Unterstützer der islamistischen Hisbollah im Libanon.

Der Forscher M. Ali Kadivar, der an der renommierten Brown-Universität in den USA zu Protestbewegungen im Iran arbeitet, sagt, vorläufigen Erkenntnissen zufolge verringere sich das Momentum der regimekritischen Proteste. Mithilfe von über Medien und soziale Medien verbreiteten Videos kartiert Kadivar die Demonstrationen. Insgesamt habe es bisher in 73 Städten Kundgebungen gegeben, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der neu hinzukommenden Städte schrumpfe aber offenbar.

«Gestern hatten wir zum Beispiel 18 Proteste, aber nur fünf neue Städte.» Am 30. Dezember, dem intensivsten Protesttag, seien es 30 neue Städte gewesen. Was man sagen könne ist, dass bisher die Demonstrationen von Arbeitslosen und Angehörigen der ärmeren Klassen in den Provinzen getragen worden seien.

Auch wegen Sorgen um die Entwicklung im Förderland Iran haben die Ölpreise am Mittwoch deutlich zugelegt und den höchsten Stand seit rund zweieinhalb Jahren erreicht. Am Nachmittag kostete ein Barrel (je 159 Liter) der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) zur Lieferung im Februar bis zu 61,50 US-Dollar. Das war der höchste Preis seit Juni 2015.

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