Präsident Temer sagt bei G20-Gipfel ab

Foto: epa/Joédson Alves
Foto: epa/Joédson Alves

BRASILIA (dpa) - Auf dem G20-Gipfel kann man normalerweise glänzen. Aber für Brasiliens Staatschef Temer ist das Verlassen des Landes derzeit wohl ein zu großes Risiko - er muss fast täglich seinen Sturz fürchten.

Der durch eine Korruptionsaffäre schwer angeschlagene brasilianische Präsident Michel Temer (76) hat seine Reise zum G20-Gipfel nach Hamburg abgesagt. Der offizielle Grund wurde nicht mitgeteilt. Auch ist noch unklar, ob Brasilien einen Stellvertreter zu dem Gipfel der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer am 7./8. Juli nach Hamburg schicken wird.

Hintergrund dürften die beispiellosen Entwicklungen der vergangenen Tage sein - Temer droht wegen Strafermittlungen das politische Aus. Als erstes Staatsoberhaupt in der Geschichte des fünftgrößten Landes der Welt ist Temer während seiner Amtszeit wegen Korruptionsverdachts angeklagt worden. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot reichte zu Wochenbeginn die Klage beim Obersten Gerichtshof in Brasilia ein.

Ob es zum Verfahren kommt, hängt nun vom Parlament ab. Dazu müssten zwei Drittel der Abgeordneten für die Aufhebung der Immunität stimmen - mindestens 342 der 513 Parlamentarier. Dann wäre der Weg frei für das Verfahren beim Obersten Gerichtshof und Temer würde zunächst für 180 Tage vom Amt suspendiert - wahrscheinlich wäre das der Anfang vom Ende.

Temers Absage der Reise nach Hamburg könnte damit zusammenhängen, dass er die Zeit für Gespräche mit Abgeordneten nutzen will, um sein Amt zu retten, spekulierten mehrere brasilianische Medien.

Die Zustimmung zu dem konservativen Politiker ist auf sieben Prozent gesunken, egal wo er öffentlich auftritt, wird er ausgepfiffen. Eigentlich hätten bis Juli mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin auch die zweiten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen stattfinden sollen - offiziell wegen Terminproblemen wurden diese bisher aber nicht terminiert.

Zuletzt waren Temers Auslandsreisen ohnehin wenig erfolgreich verlaufen. In Norwegen kritisierte Ministerpräsidentin Erna Solberg Temer offen wegen der Korruptionsfälle und der zunehmenden Abholzung im für das Weltklima wichtigen Amazonas-Regenwald. Zudem sprach Temer den norwegischen Monarchen Harald V. als «König von Schweden» an.

Janot beschuldigt Temer, Schmiergeldzahlungen akzeptiert und im Gegenzug zugunsten des größten Fleischkonzerns der Welt, JBS, Einfluss auf die Wettbewerbsbehörde genommen zu haben. Als Beweis führt er Fotos an, auf denen zu sehen sein soll, wie ein Vertrauter Temers von einem JBS-Direktor einen Geldkoffer entgegennimmt.

Der Vorwurf gegen Temer lautet passive Korruption, zudem soll er an Schweigegeldabsprachen an einen inhaftierten Mitwisser des Korruptionsskandals beteiligt gewesen sein. Das Land wird von einer tiefen Vertrauenskrise erschüttert. Gegen rund 60 Prozent der Mitglieder von Parlament und Senat laufen strafrechtliche Ermittlungen aller Couleur.

Temer hatte 2016 die Macht nach der Amtsenthebung der linken Präsidentin Dilma Rousseff übernommen. Damals hatte er auf eine rasche Absetzung gedrungen, damit er als neuer Präsident am G20-Gipfel in China teilnehmen konnte.

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