Polizei hat grössere Befugnisse

Rechtsanwalt Markus Klemm zum thailändischen Straf- und Strafprozessrecht

Der deutsche Rechtsanwalt Markus Klemm hat kürzlich mit seinem thailändischen Partner Amnat Thiengtham in Pattaya die Kanzlei Asia LawWorks eröffnet
Der deutsche Rechtsanwalt Markus Klemm hat kürzlich mit seinem thailändischen Partner Amnat Thiengtham in Pattaya die Kanzlei Asia LawWorks eröffnet

Polizei hat grössere Befugnisse Thailands Polizeibeamte haben im Vergleich zu ihren Kollegen in Deutschland grössere Befugnisse und können bei Ordnungswidrigkeiten oder Vergehen das Verfahren selbst verfolgen und letztendlich einstellen bzw. eine Geldbusse erheben. In den westeuropäischen Ländern obliegt das ausschliesslich der Staatsanwaltschaft. Über das thailändische Straf- und Strafprozessrecht sowie über den Ablauf von Ermittlungen und Gerichtsverfahren sprach die Redaktion mit dem deutschen Rechtsanswalt Markus Klemm.

FARANG: Deutsche Juristen verweisen nicht ohne Stolz darauf, dass das thailändische Recht dem deutschen gleicht. Wer allerdings in Thailand mit der Polizei und der Justiz zu tun bekommt, wundert sich, dass hier Ermittlungen und Verfahren so ganz anders ablaufen. Wenn Sie die Arbeit und Aufgaben der Polizei in Deutschland und Thailand vergleichen, welche gravierenden Unterschiede sehen Sie

Klemm: Der Verweis auf eine Ähnlichkeit oder Identität mit dem deutschen und thailändischen Strafrecht ist hier nicht angebracht. Das Strafrecht eines jeden Landes war und ist schon immer ein Ausfluss der Staatsidentität. Selbst in Europa, wo auf allen Ebenen Harmonisierungsversuche der einzelnen Gesetze unternommen werden, besitzt die Europäische Gemeinschaft auf diesem Gebiet keine Rechtssetzungs-kompetenz. Böse Zungen behaupten, dass das Strafrecht gar kein Teil der Rechtswissenschaften ist, sondern lediglich die Prüfung von Voraussetzungen eines einzelnen Straftatbestandes.

Die Aufgaben der Polizei werden grob unterteilt in präventive und repressive Aufgaben. Erstere dienen der Verhinderung von Straftaten und letztere zur Aufklärung bereits begangener Straftaten. Das Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei bezieht sich nur auf die repressive Tätigkeit (bzw. die Anordnung der Festnahme des Täters).

Interessant im thailändischen Strafprozessrecht ist die ausdrücklich gesetzlich festgelegte Befugnis der Polizei, bei Ordnungswidrigkeiten oder Vergehen das Verfahren selbst einzustellen. Hierzu gibt es jedoch ausführliche Zuständigkeitsregeln und verschiedene Voraussetzungen, die nach der Strafprozessordnung erfüllt sein müssen, damit der Polizeibeamte das Verfahren selber einstellen kann. Eine ausführliche Darstellung der Voraussetzungen würde hier den Rahmen sprengen.

Im Vergleich zu Deutschland hat die dortige Polizei eine solche Möglichkeit nicht. Die Einstellung des Verfahrens bzw. gegen Zahlung einer Geldbusse obliegt ausschliesslich dem Staatsanwalt. Der Grund für dieses Vorgehen liegt in der Tatsache, dass das Strafrecht und das Strafprozessrecht dem öffentlichen Recht zugeordnet wird. Der Gesetzgeber arbeitet im öffentlichen Recht vielfach mit abstrakten Formulierungen in den jeweiligen Gesetzen, die durch den Beamten nach eigenem Ermessen konkret formuliert werden muss. Während in Deutschland das Ermessen des einzelnen Beamten relativ beschränkt ist, wird in Thailand den einzelnen Beamten ein weitaus grösserer Ermessensbegriff eingeräumt. Der thailändische Gesetzgeber will dadurch ein einfacheres und effizienteres Rechtssystem gewährleisten, um so dem Bürger oder im Strafrecht dem Staat schneller zu seinem Recht zu verhelfen.

FARANG: Gibt es in Thailand keine Staatsanwaltschaft, die nach den Ermittlungen der Polizei womöglich weitere Recherchen anstellt und schlussendlich entscheidet, ob Anklage erhoben wird

Klemm: Natürlich gibt es in Thailand eine Staatsanwaltschaft. Wie in allen Rechtsstaaten obliegt der Staatsanwaltschaft das Anklagemonopol mit Ausnahme der oben erwähnten Ordnungswidrigkeiten bzw. Vergehen. Wenn die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hat, übersendet diese die Akte an die Staatsanwaltschaft. Sollte der Staatsanwalt weitere Ermittlungen für erforderlich halten, so ordnet er diese an. Anhand des Ergebnisses entscheidet der Staatsanwalt, ob er Anklage erhebt oder das Verfahren – mit oder ohne Sanktionen – einstellt.

FARANG: Ist die Polizei nur nach dem Strafrecht oder auch nach dem Zivilrecht die ermittelnde Behörde

Klemm: Die Polizei ist nur im Strafrecht die ermittelnde Behörde, da hier der Ermittlungsgrundsatz gilt. D.h. die Polizei und der Staatsanwalt müssen die Beweise beschaffen, damit es zu einer Klageerhebung und einer späteren Verurteilung kommt. Im Zivilrecht hingegen gilt der Beibringungsgrundsatz. Dieser besagt, dass die Parteien eines Zivilprozesses ihre Beweise selber beschaffen und vorlegen müssen. Der Zivilrichter entscheidet - bildlich gesprochen - nur über das, „was ihm auf den Tisch gelegt wird“. Der Zivilrichter selbst stellt keine eigenständigen Ermittlungen dar. Es gibt Einzelfälle, in denen die Polizei zur Beweissicherung herangezogen wird. Allerdings fällt das ebenfalls nicht unter die üblichen Ermittlungsaufgaben.

FARANG: Wie sollten Ermittlungen und Verfahren ablaufen Was schreibt das Gesetz vor

Klemm: Nach der Konzeption der thailändischen Strafprozessordnung durchläuft das Strafverfahren verschiedene Stadien. Das Strafverfahren beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, in dem festgestellt werden soll, ob ein hinreichender Verdacht dafür besteht, dass ein bestimmter Beschuldigter eine strafbare Handlung begangen hat. Das Ermittlungsverfahren wird, wie bereits gesagt, von der Staatsanwaltschaft betrieben. Es findet seinen Abschluss mit der Einstellung des Verfahrens oder mit Erhebung der öffentlichen Klage.

Ist die öffentliche Klage durch Einreichung einer Anklageschrift bei Gericht erhoben, so schliesst sich das Zwischenverfahren an. Das für die spätere Hauptverhandlung zuständige Gericht prüft hier, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist. Dies ist der Fall, wenn der Beschuldigte nach Ansicht des Gerichts hinreichend verdächtig ist, die in der Anklage vorgeworfene Tat begangen zu haben. Wird dies verneint, so wird der Erlass eines Eröffnungsbeschlusses abgelehnt. Wird der hinreichende Tatverdacht bejaht, erlässt das Gericht den Eröffnungsbeschluss.

Mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses beginnt das Hauptverfahren. Die Hauptverhandlung endet in der Regel mit einem Urteil. Dem Hauptverfahren erster Instanz kann sich einRechtsmittelverfahren anschliessen. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils folgt gegebenenfalls das Vollstreckungsverfahren, das wieder in der Hand der Staatsanwaltschaft liegt.

In allen diesen Verfahrensabschnitten werden eine Vielzahl von Anträgen gestellt. Als bedeutsam soll hier noch Stellung zum Haftbefehl genommen werden. Ein Haftbefehl kann ausschliesslich von einem Strafrichter ausgestellt werden. Wird ein solcher vollzogen, kann die Polizei den Beschuldigten maximal 48 Stunden inhaftieren. Nach Ablauf der 48 Stunden ist der Beschuldigte einem Haftrichter vorzuführen. Dieser entscheidet dann über die Möglichkeit einer Freisetzung mit oder ohne Auflagen (bzw. Kaution). Ein Haftprüfungsverfahren, das über die Untersuchungshaft entscheidet, ist dem thailändischen Strafprozessrecht fremd.

FARANG: Wo und wie können Ausländer ihre Klagen vorbringen

Klemm: Anzeigen können entweder mündlich oder schriftlich bei den Polizeistationen oder der Touristenpolizei vorgebracht werden. Dies gilt für jeden, der Opfer oder auch nur Zeuge einer Straftat wurde. Das Opfer einer Straftat selbst kann sich auch direkt an die Staatsanwaltschaft wenden.

FARANG: Ausländer können nach einem Verkehrsunfall, nach einem Streit mit Nachbarn oder einer Auseinandersetzung mit einer Thai schnell mit der Polizei Bekanntschaft machen. Welchen Rat haben Sie parat

Klemm: Den gleichen, den ich auch meinen Mandanten in Deutschland gebe. In Strafrechtsfällen immer einen Anwalt seines Vertrauens einschalten. Damit können viele Schwierigkeiten relativ schnell abgeklärt werden - und es gibt keine Missverständnisse.

Da wir um die Belastung wissen, die ein Kontakt mit der Polizei auslöst, geben wir unseren Mandanten eine Art Notfallkarte. Dort ist auf Thai der Name des Mandanten und der Name eines unserer Strafverteidiger notiert. Unser Mandant zeigt damit gegenüber der Polizei an, dass er anwaltlich vertreten wird, und die Polizei kann sich direkt an den Anwalt wenden. Für sehr dringende Notfälle ist auf der Karte eine Telefonnummer notiert, die 24 Stunden erreichbar ist.

Unsere Erfahrung zeigt, dass sich das Prinzip bewährt hat und die Gefahr von Missverständnissen aufgrund von Sprachschwierigkeiten erheblich reduziert wird. Daneben wird die Bearbeitungszeit des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens deutlich reduziert.

FARANG: Prozesse dauern in Thailand in der Regel wesentlich länger als in Europa. Woran liegt das Sind die Gerichte personell unterbesetzt Klemm: Dass Prozesse in Thailand wesentlich länger dauern, halte ich für ein weit verbreitetes Vorurteil. Ganz im Gegenteil ist man in Thailand bemüht, die Verfahren zu beschleunigen. Grundlage hierfür ist eine von der thailändischen Regierung im Jahre 2002 veröffentlichte Verwaltungsvorschrift, wonach ein Strafverfahren beschleunigt durchgeführt werden soll. Nun gab und gibt es auch noch vereinzelt Engpässe, da erst die laufenden Verfahren abgearbeitet werden mussten, bevor das beschleunigte Verfahren angewendet werden konnte.

Das beschleunigte Verfahren ergibt sich übrigens aus der Verfassung des Königreiches Thailands. Dort ist das Rechtsstaatsprinzip verankert. Das Rechtsstaatsgebot fordert nämlich, dass der Beschuldigte innerhalb angemessener Frist über den Strafvorwurf Klarheit erhält. Dieses Prinzip gilt übrigens auch im Zivilprozess (hier steht das Argument des Rechtsfriedens im Vordergrund) und findet sich auch in Deutschland wieder.

Die Frage, ob die Gerichte personell unterbesetzt sind, ist aus der Sicht der Betroffenen zu beantworten. Es ist kein Geheimnis, dass wohl alle Gerichte – und das gilt nicht nur für Thailand – mit Arbeit überhäuft werden und die Richter und Staatsanwälte oftmals über die Massen beansprucht werden.

FARANG: Ausländer wundern sich, dass Richter selbst bei Kapitalverbrechen und dem schweren Vorwurf Kindesmissbrauch die mutmasslichen Täter gegen eine Kaution aus der Haft entlassen. In Europa wäre das undenkbar. Haben Sie für die Entscheidung der Gerichte eine Erklärung

Klemm: Wie ich Eingangs erwähnte, hinkt der Vergleich zwischen dem deutschen und thailändischen Straf- und Strafprozessrecht. Der thailändische Gesetzgeber hat sich, wie in anglo-amerikanischen Ländern, auch für das Kautionsverfahren entschieden. Europäische Länder hingegen sehen eine solche Möglichkeit nicht vor. Die Gründe für ein Kautionsverfahren sind in den einzelnen Verfassungen der Länder zu finden, sollen aber hier nicht ausgeführt werden.

Auf die Frage, ob der Richter eine Freilassung auf Kaution gewährt, ist die Antwort im thailändischen Strafprozessrecht zu finden. Genauer die Paragrafen 106-119. Darin ist explizit geregelt, wann ein Richter dem Kautionsantrag stattgeben kann. Er muss hierzu einen Voraussetzungskatalog durchprüfen und aufgrund des Ergebnisses entscheiden.

Es ist in der Tat wahr, dass selbst bei Kapitalverbrechen oder sexuellem Missbrauch Kautionsanträgen stattgegeben werden kann, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Diese Fälle sind jedoch höchst selten.

Quelle: DER FARANG

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