Pannenserie und Schüsse im Sambódromo

Foto: epa/Marcelo Sayao
Foto: epa/Marcelo Sayao

RIO DE JANEIRO (dpa) - Das hat gerade noch gefehlt. 70.000 Menschen feiern im Morgengrauen die siegreiche Sambaschule Portela, als plötzlich in Rios Sambódromo Schüsse fallen. Ein Streit, ein Mann krümmt sich am Boden. Er kommt sofort in ein Krankenhaus. Dort ist zu dem Zeitpunkt schon der Präsident von Portela, Luis Carlos Magalhães. Er hatte vor dem Einmarsch einen Schwächeanfall.

Die Organisatoren in Rio de Janeiro hatten gehofft, dass wenigstens die Siegerparade der sechs besten Schulen - weit nach Aschermittwoch - gut über die Bühne geht. Zumindest ist der angeschossene Zuschauer nicht lebensbedrohlich verletzt.

Über diesem Karneval liegt ein Schatten. Trotz der tollen Bilder. Mit einer blau-weißen Hommage an Brasiliens Flüsse, an Tier- und Artenvielfalt, gewann Portela erstmals seit 33 Jahren wieder den begehrtesten Titel Rios. Es ist auch ein lauter Appell der über 3.000 Tänzer und Musiker, dass es nie wieder zu Umweltkatastrophen wie 2015 im Rio Doce kommen darf, als nach einem Bergwerksunglück kontaminierte Schlammmassen bis in den Atlantik trieben. Die Tänzern bilden ein wogendes Meer, Männer in Booten scheinen darüber zu schweben.

Die Negativserie steht symbolisch für die Probleme der Stadt. Rios Karneval ist ein umsatzstarkes Festival der Superlative, die bunten Bilder gehen um den Globus. Der Anspruch lautet, das «größte Spektakel der Welt» zu liefern. Teils 15 Meter sind die Wagen hoch, gekrönt von Drachen, Adlern und Fabelwesen, die sich bewegen. In den Tagen vor der Parade gab es beim Samba-Wettstreit gleich vier Unfälle im Sambódromo. Die beispiellose Pannenbilanz der Karnevalswoche: 32 Verletzte, Knochenbrüche und Quetschungen, auf Tragen abtransportierte Sambatänzerinnen.

«Der Karneval ist immer größer geworden, aber die Sicherheitsmaßnahmen haben damit nicht Schritt gehalten», meint der für die Kontrolle von Großevents zuständige Staatsanwalt Marcio Guimarães. Erst verlor ein Wagen der Sambaschule Paraíso do Tuiuti die Kontrolle und fuhr in eine Menschenmenge. Dann brach ein Wagen von Unidos da Tijuca zusammen. Bei dem Gefährt von Mocidade, das ein Seeungeheuer darstellte, stürzten Teile herab. Und ein Wagen von União da Ilha geriet ins Schlingern.

Wie Mehltau liegt die wirtschaftliche Krise über Land und Stadt, und der Spardruck ist auch beim Karneval groß. Nun fragen sich viele: Wurde auch bei der Sicherheit gespart? Der Chef des für Sicherheitsprüfungen zuständigen Instituts Inmetro, Carlos Augusto de Azevedo, sagt, es gebe bisher keine verbindliche Abnahme für die Karnevalswagen, also keinen TÜV für die Wagen.

Eine solche Abnahme soll ab 2018 nun für alle Gefährte verbindlich werden. «Wir können nicht mehr höflich darauf warten, ob sie unsere Einladung für eine Prüfung annehmen», sagte Azevedo der Zeitung «O Globo». Acht Monate lang wird an den Wagen gebaut. Los geht es mit Fahrgestellen, oft von alten Bussen. Darauf werden in mehreren Etagen Eisengestelle geschweißt und schließlich mit bunten Verkleidungen und sich bewegenden Aufbauten versehen.

Zu langes Stehenbleiben kostet Punkte - deswegen wurde der Wagen von Paraíso do Tuiuti aus der Menge herausgeschoben und fuhr weiter, zurück blieben blutende Menschen. Es gab Probleme mit einem Reifen, zudem war der Fahrer noch nie so ein Ungetüm gefahren. Die Zuschauer im 72.000 fassenden, 700 Meter langen Sambódromo, die vorne saßen, bekamen zunächst nichts davon mit.

Bei dem Wagen von Unidos da Tijuca, der die Jazz-Stadt New Orleans in Szene setzte, krachte die dritte Etage mit Tänzerinnen und Tänzern zusammen und fiel in den zweiten Stock. Hier scheinen zu viele Leute an Bord gewesen zu sein - durch den Unfall überschritt Unidos da Tijuca das Zeitlimit von 75 Minuten.

Trotz der Unfälle hieß es einfach: Die Show muss weitergehen. Es geht um viel Prestige und Geld, der Wettstreit der Sambaschulen ist beinhart. In der Liga der zwölf Besten, der Grupo Especial, dabei zu sein, verspricht Ruhm und Ehre, die bekanntesten Tänzerinnen sind immer Thema für die Klatschspalten. Die Tickets für Plätze im Sambódromo kosten zum Teil 200 Euro, TV-Sender übertragen live, über eine Million Touristen sind zu Karneval in der Stadt.

Eigentlich war der Karneval bisher eine der letzten verlässlichen Stützen in der vom Pech verfolgten Stadt. Vor knapp einem Jahr stürzte ein spektakulärer Radweg über der Steilküste ein, zwei Männer starben. Olympia löste wenig Euphorie aus, mehr schlecht als recht wurde es über die Bühne gebracht. Heute gammeln viele Sportstätten vor sich hin, Rio hatte sich finanziell übernommen.

Bewertet werden beim Wettstreit Choreographie, Umsetzung des Themas, Gestaltung von Wagen und Kostümen, Tänze und Gesänge. Normalerweise steigt jedes Jahr eine Schule in die Topliga auf, eine ab. Nun wird aber auf einen Abstieg des Letzten verzichtet, um die Schulen nicht zusätzlich zu bestrafen: Das wäre Paraíso do Tuiuti gewesen. Damit gibt es 2018 ein Novum: 13 statt 12 Schulen in der Grupo Especial, aber dafür auch zwei Absteiger. Das wird den Druck für spektakuläre Wagen sicher kaum mindern.

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