Österreichs Kanzler macht Sozialdemokraten in Europa Mut

Die SPD hadert mit dem Umfragetief. Die SPÖ verschreibt sich dagegen eine Aufbruchstimmung. Der neue Parteichef sieht trotz der Erfolge der Rechtspopulisten die Sozialdemokraten auf dem Vormarsch. Foto: epa/Christian Bruna
Die SPD hadert mit dem Umfragetief. Die SPÖ verschreibt sich dagegen eine Aufbruchstimmung. Der neue Parteichef sieht trotz der Erfolge der Rechtspopulisten die Sozialdemokraten auf dem Vormarsch. Foto: epa/Christian Bruna

WIEN (dpa) - Der vor wenigen Monaten beigesetzte deutsche Altkanzler Helmut Schmidt ist für Sozialdemokraten eigentlich unantastbar. Einer seiner legendären Sprüche - «Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen» - ist es zumindest für Christian Kern nicht. «Wer keine Visionen hat, der braucht bald einen Arzt», sagte Österreichs Neu-Kanzler vor den 650 Delegierten des SPÖ-Bundesparteitags am Samstag in Wien.

Für Kern ist klar: Die Grundsätze der Sozialdemokratie - Toleranz, Gleichheit, Gerechtigkeit - haben immer noch eine potenzielle Strahlkraft. Österreichs Sozialdemokraten will Kern jedenfalls in einem Langzeit-Projekt von mindestens zehn Jahren zu neuer Stärke führen. Und das Vorhaben muss aus seiner Sicht nicht auf die Alpenrepublik beschränkt sein. «Die Restaurierung der Sozialdemokratie ist kein österreichisches Projekt, es ist ein europäisches Projekt.»

Die Delegierten dankten dem Kanzler für die Ruck-Rede mit überwältigender Zustimmung. Bei der Wahl zum SPÖ-Parteichef fuhr Kern 96,8 Prozent der Stimmen ein. Vorgänger Werner Faymann war zuletzt auf nur 84 Prozent gekommen.

Der Ex-Manager Kern präsentierte sich den Delegierten als jemand aus einfachen Verhältnissen, der am eigenen Leibe erfahren habe, was die Chance auf Bildung bedeute. «Ich habe selbst erlebt, wie Reformen das Leben der Menschen besser machen können.» Genau dieser Gestaltungsanspruch der Politik treibt den Neu-Kanzler um. Er will für die SPÖ-Politik in Österreich wieder eine deutlichere sozialdemokratische Handschrift, mit der sie sich auch vom konservativen Koalitionspartner ÖVP abgrenzen könne.

Die Abgrenzung betrieb er dann gleich bei einem seiner aktuellen Lieblingsthemen: Die Maschinensteuer - eine Wertschöpfungsabgabe für alle besonders auf Maschinen statt auf Menschen setzenden Branchen - sei für ihn eine zwingende Überlegung, wenn man die Sozialsysteme auch in Zukunft finanzieren wolle, sagte Kern.

Das blanke «Nein» des Koalitionspartners, auch nur eine Diskussion darüber zu eröffnen, kommentierte Kern unter besonders lautem Beifall eher höhnisch. «Das ist keine Wirtschaftspolitik, das ist Lobbyismus.»

Zu seinem Gerechtigkeitsanspruch zähle auch die Fairness im internationalen Wirtschaftsleben. Ausländische Firmen - in Österreich sind viele Unternehmen aus Südosteuropa tätig - hielten sich oft nicht an die Regeln und betrieben Lohn- und Sozialdumping. 2500 Strafen seien deshalb zuletzt von den Behörden verhängt, aber nur fünf Prozent davon auch eingetrieben worden. «Das ist nicht akzeptabel», sagte Kern.

Eine besondere Spitze hatte Kern für seinen möglichen Herausforderer bei der nächsten Parlamentswahl parat. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte nach dem Brexit-Votum erklärt, dass die Zukunft der EU an der Lösung der Flüchtlingsfrage hänge. «Das ist eine populistische Analyse», kanzelte Kern den ÖVP-Star ab.

Für Kern liegt die Ursache tiefer. Das große Projekt Europa, das mit dem Satz «Nie wieder Krieg!» aus der Taufe gehoben worden sei, sei aus der Sicht vieler Menschen aus dem Ruder gelaufen. Es bestehe der Eindruck, dass das Projekt «gekapert worden ist von einem Neo-Liberalismus, der Europa nach sechs Jahren Austerität» an den Rand des Machbaren» gedrängt habe. Europa müsse zu einer Agenda zurückfinden, die nicht mehr die Ware, sondern die Menschen in den Mittelpunkt stelle. Der lange Applaus war Kern nach mehr als 80 Minuten sicher.

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