Neulich, am Strand: Palmen

Neulich, am Strand: Palmen

Auf einem Abendspaziergang sind uns die vielen neugepflanzten Palmen an der Jomtien 2. Road aufgefallen. „Die haben aber einiges an Geld investiert“, stelle ich fest. „Ja, seit dem Haus dort sind es 52 Palmen“, stellt meine Frau fest. „Ich habe auch ab da gezählt. Allerdings 53. Was stimmt denn nun?“, wende ich ein. „Ist ja egal“, beschließen wir das Thema fürs erste. Doch in Gedanken komme ich immer wieder darauf zurück. Es lässt mir keine Ruhe. Wie viele haben sie wohl gesetzt? Wie viel kostet wohl eine solche Palme? In Thailand sicher nicht soviel. „Ich werde mal schauen, wie weit sie die Palmen setzten. Nur so zum Spaß“, teile ich meiner Frau vor dem Schlafengehen mein neuestes Vorhaben mit. „Du spinnst!“, antwortet sie kurz, dreht sich um und schläft ein.

„Das werden 300 bis 400 Stück sein“, denke ich, als ich mich Tags darauf, auf den Weg mache, den Palmenhain zu zählen. Überschaubar, in einer Stunde weiß ich es und meine Seele hat Ruhe. Ich habe ja sowieso nichts zu tun, also kann ich meinen täglichen Spaziergang mit etwas den Geist beschäftigendem verbinden. So beginne ich die Palmen zu zählen. Auf der Kuppe des kleinen Hügels angekommen, muss ich mit Schrecken feststellen, dass hinunter bis zum Markt weitergepflanzt wurde. 250 habe ich bald erreicht. Doch jetzt aufgeben? Nie im Leben. Also laufe ich zählend weiter. Der Schweiß läuft den Hals hinab. Das T-Shirt ist längst nass. Runter bis zum Markt. Da sehe ich, wie es weiter geht mit den Dingern. „Ja, hat es denn gar kein Ende?“, frage ich mich. 450 Palmen. 520. Es nimmt kein Ende. Doch ich habe bereits schon soviel Zeit und Mühe investiert, dass ich nun auch ein Resultat haben will. So einfach geb ich nicht auf. Jetzt hat es mich gepackt. Das wird nun durchgezogen. Ich folge der Straße, nur um immer wieder sehen zu müssen, wie sich die Palmenreihe weiter und weiter erstreckt. 640. Aber weiter geht's. Hitze, Sonne. Durst meldet sich. „Mensch, wie kannst du nur so blöd sein, so etwas anzufangen?“, denke ich. Doch ich laufe weiter. „Hoffentlich begegne ich niemandem, der mich fragt, was ich da gerade tue“, durchfährt mich ein Gedanke. Mach einfach unauffällig weiter. So, dass keiner etwas bemerkt. Weiter geht es. Vorbei am Hanumanbrunnen. „Soll ich nun aufgeben? Müde genug wärst du doch. Komm, setz dich doch hin auf dieses wunderschöne Bänklein, schön am Schatten. Gib doch endlich auf“, beginnt sich mein innerer Schweinehund zu melden.

„Soll ich denn jetzt, wo ich bereits Kilometer weit in der prallen Sonne diesen dämlichen Palmen folge, den Bettel hinschmeißen? Um dann nächste Nacht, schweißgebadet aufwachen, weil ich immer noch nicht weiß, wie viele von diesen Sch..Palmen jetzt nun dastehen? Hä?“, sage ich zu mir selbst. Nein. Niemals. Und wenn ich um den Globus laufen muss. Ich geb nicht auf! Ich nicht. Solange eine Palme sichtbar ist, wird diese erfasst, gezählt, registriert und zur Kenntnis genommen. Ich bin doch kein Weichei. Basta.

850! Ich muss eine Pause machen. Halt doch ein kleines Weichei. Ich hocke mich an den Straßenrand hin, in den Schatten eines Baumes, fast unfähig mich weiter zu rühren. Der Schweiß läuft nur so herunter und weicht die Kleidung auf. Fliegen umschwärmen mich in kürzester Zeit. Meine Ausdüns­tung muss aus Fliegensicht hervorragend sein. Überall lassen sie sich nieder. Auf einen solchen Trottel werden sie lange wieder warten müssen, denke ich. Aber die kleine Pause hat Wunder gewirkt. Meine Kräfte kommen zurück, und mir ist eingefallen, dass es gleich hinter der nächsten Kuppe nur noch bergab geht. Zudem ist unten an der Brücke ohnehin Ende mit dem Spuck. Also hat es sich doch gelohnt, durchzuhalten. Mit neuem Mut gehe ich den Rest an. Der Kopf ist willig. Die Beine aber fühlen sich nach der Rast tonnenschwer an. „Oh, Mann. Wie kannst du nur“, überfällt es mich gleich wieder. 960, 990, 999. 1.000! „Tausend Palmen haben diese Wahnsinnigen alleine bis hierher verpflanzt“, stelle ich mit einem persönlichen Glücksgefühl fest. Wahnsinn. Hätte ich gewusst, auf was ich mich da einlasse, ich hätte es schon gar nicht begonnen. „Du spinnst“, hat ja meine Frau schon gesagt. Vermutlich hat sie Recht, aber ich werde es nie zugeben. Weiter geht es bergab. 1.200, 1.300. Die Brücke kommt in Sichtweite. Da unten ist das Ende. Die letzte Palme. Das Ende dieses hirnverrückten Unternehmens. Weshalb tust du dir das an, warum? Nochmals kommen Zweifel auf. Aber nur für kurz. „Warum laufen die Leute Marathonläufe? Hä? Das ist letztendlich genauso sinnlos. Man macht es nur für sich selbst.“, tadle ich meine eigenen schwachen Gedanken. Ich fühle mich elend. Aber ich will's wissen. Koste es was es wolle. Basta. 1.347, 1.390. Ich sehe die letzte Palme da unten. „Warum stehst du nicht schon da oben? Du blödes, dummes Miststück“, verachte ich dieses Ding. Diese aufgereihten Wedelkrücken kann ich schon nicht mehr sehen. 1.452. Soll ich nun die letzten schätzen? Verlockend wäre der Gedanke schon. Doch dann hätte ich ja den ganzen Aufwand umsonst betrieben. Also nehme ich mich zusammen und laufe bis zur letzten Palme. 1.492, 1.493, 1494. Ende! „Tausendvierhundertvierundneunzig? Warum?“, durchfährt es mich. Ich bin schockiert. Das ist doch unlogisch! Welche Gemeinde kauft sich in einem solchen Projekt 1.494 Palmen? 1.500 ja, aber 1.494? „Hast du etwa falsch gezählt?“, beschleicht mich ein Gedanke. Nein, ausgeschlossen. Unmöglich. Das Ganze noch einmal, zur Kontrolle? Ganz sicher nicht. Ich spinne doch nicht! Ich nehme mir ein Taxi und lasse mich zurückfahren. Doch statt nach Hause zu gehen, hocke ich zuerst einmal eine Stunde in einen Liegestuhl am Strand und genieße ein Bier. Mein Kumpel ist auch da. „Hallo“, begrüße ich ihn. „Weißt du wie viele Palmen an der 2. Road bis hinunter zur Brücke gesetzt wurden?“, frage ich ihn. „Nöö, interessiert mich nicht“, gibt er zurück.

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