Neulich, am Strand: Kredit

Neulich, am Strand: Kredit

Ich sitze auf dem Strandmäuerchen und genieße einen schönen Tag. In der Nebensaison ist nicht mehr viel los. Nur vereinzelte Farangs haben sich in den Liegestühlen eingefunden, entsprechend haben die Strandverkäufer magere Zeiten. Bis zur nächs­ten „Highseason“ wird nicht mehr viel los sein.

Die Ruhe entspricht ganz meinem Geschmack. Im Gegensatz dazu, die Verkäufer. Eine Tattoo-Verkäuferin, wir kennen uns schon lange, setzt sich neben mich hin und beginnt mir ihr Leid zu klagen. „No money, no customer, nicht einmal für die Monatsmiete reiche es“, lässt sie verlauten. Obwohl ich solche Klagen derzeit täglich zu hören bekomme, leide ich mit ihr. Da läuft eine Lotterielosverkäuferin an uns vorbei. „Ich könnte dir ein Los kaufen. Wenn du dann den 6-Millionen-Jackpot gewinnst, kannst du die Miete zahlen“, schlage ich vor. „Mit den 80 Baht für das Los könnte sie ihre Kreditrate zahlen“, meint sie vorwurfsvoll. „Wie bitte? Mit 80 Baht pro Rate kommst du aber nicht weit beim Schuldenabzahlen“, entgegne ich ihr. „No, no“, nicht achtzig, siebzig Baht zahle sie Rate. „OK“, nickt sie zustimmend. Aha, also noch weniger - klar, dann kommst du noch weniger weit. Ich bin halt doch der dusselige Farang, der nichts versteht. Auch wenn die Logik in der ganzen Welt etwas Anderes besagt, hier in Thailand wird Logik nun mal anders angewendet. Diese Farangs verstehen doch einfach gar nichts! Sie kramt in ihrer Tasche und zieht dann ein abgegriffenes, x-mal gefaltetes Dokument heraus und hält es mir unter die Nase. Wie wild beginnt sie mir das Dokument auf Thai zu erklären: „Blah, blah, blah“, sie zeigt auf verschiedene Stellen. „Blah, blah, blah“, fährt sie fort, während das Schreiben gewendet, wieder umgedreht, zusammengefaltet und wieder aufgeschlagen wird, hierhin verwiesen, dahin gezeigt. „Blah, blah, blah“, ohne Ende! Ich verstehe nicht einmal Bahnhof, ich verstehe überhaupt nichts. Sie hat sich in Schwung geredet und fuchtelt mit dem Schein herum. Ich schnappe mir ihr Papier, als es nahe bei mir vorbei gewedelt wird, und schaue mir es genauer an, während sie weiter lamentiert. Ich begreife nach kurzem Studium, dass es ein Kredithaivertrag ist. Der Kreditbetrag steht nicht drin, dafür aber peinlich genau, wie viele Raten zu 70 Baht, wann, wie bezahlt werden müssen. Dazu eine Tabelle, die in 12 Spalten die Monate mit jedem Tag widergeben sollte. Darin werden die bezahlten Raten gegengestempelt. Beginn und Ende der Laufzeit sind mit einem roten Pfeil gestempelt. 98 Raten zu 70 Baht ergeben fast 7.000 Baht. Eine stolze Summe für eine Strandverkäuferin.

Ohne Einsatz wird man nicht schlauer!

Sie bemerkt mein Interesse an der Sache. Ich solle doch besser ihr die Kreditraten zahlen, als mir diese dummen Lotterielose zu kaufen, meint sie. Ihre Augen leuchten wie vorgestern, als sie mir „angeboten“ hat, ich könne doch ihre Miete zahlen. „Na, ja. Immerhin kommt der Einsatz für mich von 4.000 auf 70 Baht herunter“, denke ich. Diesen Einsatz ist es mir wert. Mein Entde­ckergeist ist geweckt worden. Wie damals, vor über 50 Jahren, als ich als Junge keine Ruhe gegeben habe, bis ich meinen Wecker in seine Einzelteile seziert habe, verspüre ich nun den Drang, dem thailändischen Kreditwesen auf den Grund zu gehen. Wann würde mir denn sonst nochmals eine solche Möglichkeit geboten werden? „OK. Zeige mir wie das geht“, antworte ich ihr. Verblüfft über ihren Erfolg, den sie nicht einmal selbst erwartet hat, zieht sie ihr Telefon aus der Tasche und ruft die Eintreiber an. Und während wir auf diese warten, versucht sie natürlich mich davon zu überzeugen, was für eine gute Tat es wäre, wenn ich ab jetzt ihre Kreditraten zahlen würde. Doch damit habe ich nun schon gerechnet. „Gut. Ich kaufe mir ein Los und wenn ich den Jackpot gewinne, zahle ich dir deinen Kredit. Mai pen rai!“, lache ich ihr zu.

Das Geplänkel wird unterbrochen, als auf einem roten Rennmotorrad zwei Thai-Teenager angefahren kommen. Die Thai spricht mit ihnen, hält ihnen ihren Schein hin und kommt zurück, während dessen die beiden warten. „Oh, sorry“, beginnt sie. Aber sie brauche jetzt 280 Baht. Für gestern und heute, je 70 und weil morgen Samstag ist und deshalb bis Montag die ehrenwerten Herren keine Zeit haben, wollen sie gleich noch zwei Raten im Voraus haben. Na, ich hätte es mir ja denken können, dass die Geschichte für mich in die Hose geht. Ich ziehe mein Geld aus der Tasche und habe natürlich den Betrag nicht passend. Keine 20er Scheine. Dafür aber genügend 100er und einen 50er. „Ach, dann machen wir doch gleich fünf Tage“, ruft die Thai keck. Und schon bin ich 350 Baht losgeworden. Sie läuft zu den wartenden Rennfahrern, lässt sich die Tage abstempeln und kommt freudig zurück. Die Rennfahrer brausen davon. Mit meiner Kohle in ihrer Tasche! „Yahoo“, schießt es mir durch den Kopf. Ich spüre den Esel in mir. Sie werde das nächste Mal im Tempel für mich ein gutes Wort einlegen, beschwichtigt mich meine Dame. „Oh, ja. Bitte sogar“, denke ich. Und dass ich bald eine Erleuchtung bekomme, wie die Thais es doch IMMER WIEDER schaffen, mir die Kohle aus der Tasche zu ziehen. Na, wenigstens bringt mich der Betrag nicht um.

Es ist halt so, wie bei dem Wecker: Ohne Einsatz würdest du nie schlauer werden. Der Wecker, der Totalschaden erlitten hat, war damals der Einsatz. Meine Erkenntnis damals: „Ich werde das Ding nie verstehen und nie mehr wieder zusammensetzen können.“ Und heute? „Ich werde Thailand nie verstehen“, und die 350 Baht? Was soll's! Ich habe schon blöder Geld rausgehauen. So wende ich mich dem zu, was ich eigentlich von Anfang an wollte: Der Ausblick hier ist doch einmalig. Mensch, was willst du mehr!

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Dracomir Pires 05.12.16 13:22
Kredithaie gehören vor Gericht
"Was soll's! Ich habe schon blöder Geld rausgehauen". Da bin ich nicht unbedingt einverstanden. Mit jeder Zahlung an die Kredithaie unterstützt man diese Mafia.