Neulich, am Strand: Jäger und Sammler

Neulich, am Strand: Jäger und Sammler

Die Geburtstagsgesellschaft im Restaurant ist ein bunter Haufen. Rolf, der Jubilar, hat mit seiner Frau seine Freunde mit ihren Begleiterinnen geladen. Außer unseren beiden Ehepaaren und den Freunden, die über die Jahre stets dieselben geblieben sind, wurde die Damenbegleitung im Freundeskreis seit der vorjährigen Feier komplett erneuert. Wie schon früher bei solchen Anlässen, bilden sich schnell Farang- und Thailadygruppen. „So schnattern die Thaimädels unter sich, was sie ja eh gerne und ausführlich tun, und wir können uns unseren Anliegen widmen“, meint Jürgen. „Da hast du Recht. Ich verstehe ohnehin fast kein Thai, obwohl ich mich schon bald 30 Jahre mit der Materie befasse“, antwortet das Geburtstagskind. „Wenigstens wirst du die Thaimentalität mittlerweile verstehen?“, will Jürgen wissen. „Ha. Ganz sicher nicht. Wer kann das schon“, lacht Rolf.

„Hast du mitbekommen, dass da eine Thai einem Russen 5.000 Dollar geklaut hat? Steht in den Nachrichten“, vermeldet Peter. „Du wärst auch ein potenzielles Opfer, Peter. Deine Neue wird finanzielle Unterstützung brauchen“, zieht Jürgen den Sitznachbar auf. „Ich habe ja Erfahrung. Die letzten Damen haben mich an den Rand des Bankrotts geführt. Dauernd haben sie mich abgezogen und beklaut“, gibt der Bedauernswerte zu. „Nun, ich habe da eine andere Sichtweise“, schalte ich mich ein. „Eigentlich ist es einfach, wenn man bedenkt, dass in der Evolutionsgeschichte des Menschen wir Farangs den Weg des Sesshaftwerdens genommen haben, während die Thais Jäger und Sammler geblieben sind.“ Die Runde horcht auf. „Das berechtigt nicht, uns zu beklauen“, sagt Rolf. Ich entgegne: „Siehste, genau hier ist dein Fehler im Strickmuster. Der Thai klaut nicht. Wenigs­tens aus seiner Sicht. Ein Dieb ist nur aus Sicht eines Sesshaften ein Dieb. Die Frühmenschen waren Jäger und Sammler und kannten kein Privatbesitz. Die Beute wurde in der Gruppe geteilt. Wenn sie also einem Sess­haftgewordenen ein Schwein klauten, war das nur ein Klauen aus der Sicht des Bestohlenen“, führe ich aus. „So stimmt es also doch, was mein Kumpel aus Augsburg mal kürzlich gesagt hat“, meint Peter. „Was sagte der denn?“, erkundigt sich Rolf, worauf Peter genüss­lich von sich gibt: „Der sagt, an den Thais kannst du sehen, wie es ist, wenn die Evolution stehen geblieben ist.“ Schallendes Gelächter. „Wenn ein Thai deine Kohle haben will, schmeisse sie ihm hin, lache und sei froh, dass er dich abziehen lässt. Damit du am nächsten ATM frisches Geld ziehen kannst für die nächste Abzocke. Du hast dem Sammler den Tag massiv erleichtert“, gebe ich zum Besten.

Zivilisierte Bauerntölpel

„Gott sei Dank kommen nun die intelligenten Farangs her und zeigen den Eingeborenen, wie es geht“, amüsiert sich Jürgen. „Genau das ist es ja“, ereifere ich mich. „Da kommen wir, in Anführungszeichen „zivilisierte“, aber zu Hause eigentlich ausrangierte Farangs mit unserer Mentalität und unserem Sinn für Ordnung und Organisation daher, und wollen den Thais unsere Sichtweise vermitteln. Dabei hat vermutlich noch keiner dieser verhinderten Thailand-Verbesserer begriffen, dass es die Thais sind, die den dahergelaufenen zeigen, wie es läuft“, erkläre ich. „Der Thai denkt nämlich: Kommt nur her, ihr Bauerntölpel, wir jagen jedem Dahergekommenen hinterher und sammeln eure Kohle ein. Unsere Jagd-Spezialistinnen, unsere hübschen Mädels aus dem Isaan und anderswo aus Siam, erwarten euch. Dabei könnt ihr euer gescheites Intelligenz-Gelabber ruhig verbreiten. Unsere Ladies haben gelernt, dass alles, was von außen kommt, zu ignorieren. Außer eurem Geld, selbstverständlich.“

Als ob ich einen Stapel Teller fallen gelassen hätte, ist plötzlich ein Moment Ruhe. Ich setze noch einen drauf: „Und die 5.000 Dollar des Russen, sowie die bescheidenen Beiträge von Peter an seine Ladies, sind doch letztendlich verkraftbare Entwicklungshilfe. A fond perdu. Was soll’s.“ Nach einem Moment der Ruhe meldet sich Jürgen: „Ja, du kannst mit dem Geld der anderen sehr großzügig sein. Genau wie ein Thai.“ „Der tickt ja wirklich so verkehrt“, mahnt Rolf. Darauf wendet sich Rolfs Frau an meine: „Sag mal, wie hältst du das aus mit dem? Ist der dauernd so?“ Mit gespielter Verachtung deutet sie mit dem Daumen auf mich. Alle Augen sind auf meine Frau gerichtet. Da sagt sie: „Ach, wisst ihr, wenn man einmal weiß, dass er ja so ein Spinner ist, dann ist es schon erträglicher mit ihm.“ Und schon werde ich zum Gespött der Runde. Genüsslich fährt sie fort: „Deswegen habe ich auch keine Angst, dass er mit einer Thai abhaut. Wenn die gemerkt hat, was für einen Typen sie sich da geangelt hat, bringt sie ihn mir nach spätestens ein paar Tagen zurück.“ Höhnisches Gegröle allerseits. „Ich glaube, da hat sie Recht“, muss ich zugestehen. „Aber letztendlich inte­ressiert mich das Verständnis für die Thais nur nebenher. Viel mehr Mühe habe ich, mich selbst zu verstehen.“ „Darauf sollten wir einen trinken“, meint Rolf. „Er erklärt uns die Welt, aber kennt sich selber nicht. Ha!“ ruft er aus und alle heben ihre Gläser. „Ja, ich weiß. Zum Schluss bin ich immer der Trottel. Aber euer Ende kommt ja auch noch. Und wer weiß denn schon, ob ihr nicht doch auch noch den Kürzeren zieht?“, erhebe auch ich mein Glas.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Dracomir Pires 16.04.18 13:34
Die Thais betrachten ...
... die Farangs als ATM-Maschinen mit Beinen. Man muss sie nur kräftig ans Schienbein kicken oder etwas am Bart kraulen, dann spucken die bleichen ATMs die Kohle raus. Hoffentlich aber nur im erträglichen, kalkulierbaren Rahmen.