Nach Angriffen wieder Diplomatie gefragt

 Ein Foto der offiziellen syrisch-arabischen Nachrichtenagentur (SANA) zeigt den syrischen Präsidenten Bashar Assad (M-R) beim Treffen mit einer russischen Delegation. Foto: epa/Sana Handout
Ein Foto der offiziellen syrisch-arabischen Nachrichtenagentur (SANA) zeigt den syrischen Präsidenten Bashar Assad (M-R) beim Treffen mit einer russischen Delegation. Foto: epa/Sana Handout

WASHINGTON/DAMASKUS/BERLIN (dpa) - Die USA, Frankreich und Großbritannien haben der syrischen Führung ein klares Signal gesendet: Stoppt den Einsatz von Chemiewaffen oder rechnet mit Militärschlägen. Russland verurteilt den Angriff verbal, der syrische Machthaber Assad tut so, als sei nichts gewesen.

Nach den Luftangriffen westlicher Staaten auf Syrien wollen Deutschland und Frankreich eine diplomatische Offensive für ein Ende des Bürgerkriegs starten. Auch Russland, das die Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf mutmaßliche Giftgasanlagen und -depots scharf verurteilt, soll dabei eine wichtige Rolle spielen.

Die Alliierten feuerten als Vergeltung für einen Giftgasangriff des syrischen Machthabers Baschar al-Assad auf eine Rebellenhochburg bei Damaskus 105 Geschosse in der Nacht zum Samstag auf mindestens drei Ziele ab. Sie richteten sich nach US-Angaben gegen eine Forschungseinrichtung des Militärs in Barsah bei Damaskus, eine Lagerstätte für Chemiewaffen westlich der Stadt Homs sowie ein weiteres Depot nahe Homs.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Luftschläge von Schiffen und Flugzeugen aus mit Marschflugkörpern richtig: «Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen.»

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die Präsidenten der USA und Russlands, Donald Trump und Wladimir Putin, zu einer gemeinsamen Friedensinitiative auf. «Die großen Mächte tragen größere Verantwortung. Hier muss ein erster Schritt erfolgen. Das sind Putin und Trump der Welt schuldig», sagte er der «Bild am Sonntag».

Angesichts Hunderttausender Tote in dem seit 2011 tobenden Bürgerkrieg sagte Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian zu den Friedensplänen: «Wir werden bereits Montag Initiativen ergreifen - im Sicherheitsrat in New York, in Brüssel beim (EU-)Außenministertreffen - um mit allen, die das wollen, den Fahrplan festzulegen.» Deutschlands Außenminister Heiko Maas ergänzte, die Bundesregierung werde ihre Kanäle nach Russland nutzen, um dort auf eine konstruktive Haltung zu dringen.

US-Präsident Donald Trump wertete den offensichtlich mit Rücksicht auf russische Truppen in Syrien in seiner Wirkung begrenzten Militärschlag als vollen Erfolg. Es sei ein «perfekt ausgeführter Schlag» gewesen, schrieb Trump am Samstagmorgen (Ortszeit) im Kurznachrichtendienst Twitter. Das Ergebnis hätte nicht besser sein können: «Mission erfüllt!» Die britische Premierministerin Theresa May nannte die Aktion, die gegen 03.00 Uhr (MESZ) begonnen hatte, «begrenzt, gezielt und effektiv».

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ließ erklären, dass nun der UN-Sicherheitsrat vereint die Initiative ergreifen müsse, «um den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen und damit dieses Land endlich den Frieden wiederfindet».

Am Samstag hatten sich die USA und Russland auf einer von Moskau geforderten Sondersitzung in New York gegenseitig mit Beschuldigungen überzogen. Russland scheiterte mit einem Resolutionsentwurf, der den Angriff verurteilt hätte. Der Rat lehnte ihn mit acht zu drei Stimmen ab; es gab vier Enthaltungen.

Russland, neben dem Iran die Schutzmacht des syrischen Präsidenten, reagierte mit scharfer Ablehnung. «Sie (die USA) begünstigen tatsächlich die Terroristen, die das syrische Volk schon seit sieben Jahren quälen, und provozieren eine neue Flüchtlingswelle aus dem Land und der ganzen Region», sagte Präsident Wladimir Putin. «Die gegenwärtige Eskalation der Situation in Syrien hat eine verheerende Wirkung auf die gesamten internationalen Beziehungen.»

Dass der Gesprächsfaden zwischen dem Westen und Moskau nicht völlig abgerissen ist, zeigt, dass Frankreichs Präsident Macron und Putin am Rande eines Wirtschaftsforums in Russland am 24. und 25. Mai zusammentreffen wollen.

Assad zeigte sich nach außen unbeeindruckt von dem westlichen Waffengang. Am Samstagmorgen wurde über soziale Medien ein acht Sekunden langes Video verbreitet, das zeigt, wie der Staatschef den Präsidentenpalast betritt. In der Hand hält der mit Anzug und Krawatte bekleidete Machthaber eine Aktentasche. Zu dem Video schrieb das Präsidentenbüro: «(Guten) Morgen der Standhaftigkeit». Wann das Video gefilmt wurde, ist unklar.

«Die Aggression wird Syrien und die Syrer noch entschlossener machen, weiterzukämpfen und den Terror in jedem Teil des Landes zu zerschlagen», ließ Assad später über die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichten. Der oberste iranische Führer und Assad-Verbündete Ali Chamenei sagte: «Die Angriffe waren ein Verbrechen und die drei an den Angriffen beteiligten Regierungschefs sind dementsprechend Verbrecher.»

Die USA und Frankreich machten klar, erneut angreifen zu wollen, wenn Assad erneut Chemiewaffen einsetzen sollte. Der mutmaßliche Giftgasangriff am 7. April in Duma ist für Russland nur eine Inszenierung. Eine ranghohe US-Regierungsmitarbeiterin sagte hingegen, die USA seien zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem Angriff sowohl Chlorgas als auch Sarin verwendet worden seien.

Experten der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) wollten am Sonntag ihre Arbeit zur Untersuchung des mutmaßlichen Giftgasangriffes in der syrischen Hauptstadt Damaskus fortsetzen. Bei dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma in der Region Ost-Ghuta östlich von Damaskus waren nach Angaben von Zivilschützern Dutzende getötet worden.

Die USA gehen nach Aussage des Verteidigungsministeriums von einem Erfolg des Angriffes aus. Wohl alle Flugkörper hätten getroffen, sagte der Leiter des Generalstabs, Kenneth F. McKenzie. Drei Ziele seien attackiert worden: eine Forschungseinrichtung in Barsah nördlich von Damaskus, eine Lagerstätte westlich der Stadt Homs sowie ein weiteres Depot nahe Homs. Derzeit wisse man nichts von getöteten Zivilisten. Als Reaktion habe die syrische Armee 40 Raketen abgefeuert, ohne großen Schaden anzurichten.

Nach russischen Angaben wurde ein Großteil der alliierten Geschosse abgefangen. Die syrische Luftabwehr habe 71 der 103 Marschflugkörper abgeschossen, teilte Generaloberst Sergej Rudskoj. Es habe keine Todesopfer gegeben, einige Menschen seien leicht verletzt worden. Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly sagte, die russischen Truppen in Syrien hätten sich während des Angriffs auf «einfache Beobachtung (...) und Schutz ihrer Mittel» beschränkt.

Die Nato steht geschlossen hinter den Angriffen der Bündnispartner. Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Samstag nach einer Sondersitzung des Nordatlantikrats in Brüssel: «Die Attacken haben die Fähigkeiten des syrischen Regimes zu weiteren Chemiewaffenangriffen deutlich reduziert. Sie waren sehr gezielt und maßvoll.»

Nach dem Abzug der letzten islamistischen Aufständischen aus Ost-Ghuta hat die syrische Armee nach eigenen Angaben nun die volle Kontrolle über das Gebiet. Ost-Ghuta, das seit 2013 von Regierungstruppen belagert worden war, sei von «Terroristen» befreit, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana.

Der Israelische Minister für Innere Sicherheit Gilad Erdan erklärte am Sonntag, der Angriff der Westmächte werde die Lage in Syrien nicht grundlegend ändern. Israel sei entschlossen, gegen die Etablierung einer Dauerpräsenz des Irans in Syrien vorzugehen.

Im Norden Syriens erschütterte am späten Samstagabend eine schwere Explosion ein Gebiet, in dem iranische Truppen stationiert sind. Es blieb zunächst unklar, was die Detonation in der Provinz Aleppo ausgelöst hatte, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete. Die Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien.

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