Nach Implantat-Skandal: Ist die Lust auf Riesenbusen gedämpft?

Foto: epa/Daniel Reinhardt
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BERLIN (dpa) - Eine prallere Oberweite für die Dame, ein imposanteres Gemächt für den Herrn: Trotz handfester Skandale im Reich der Schönheitschirurgie verliert der Reiz des Aufhübschens augenscheinlich wenig von seiner Faszination. Nach der jährlichen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGPÄC), die Ärzte am Mittwoch in Berlin vorstellten, liebäugeln Frauen nach wie vor mit Brustvergrößerung und Fettabsaugen. Männer setzen auf Augenlidkorrekturen, sportlich-flache Brüste und Penisverlängerung. Doch ist das ein realistisches Bild?

Die Beauty-Branche mit Spritze und Skalpell umgibt nach wie vor ein Nebel. Denn wie viele Bundesbürger sich für schicke Nasen oder perfekt anliegende Ohren wirklich unters Messer legen, ob es mehr sind oder weniger als früher, weiß niemand so genau. Und wie oft das schief gehen kann, zeigen meist nur Gerichtsverfahren, in denen Ärzte wegen Körperverletzung verurteilt werden, oder handfeste Skandale wie 2010 mit Brustimplantaten aus Industriesilikon.

Die deutschen Krankenkassen finanzieren keine Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit. Deshalb haben sie keine Fallzahlen zu Schönheits-OPs. Es gibt auch kein anderes zentrales Register. Das Dilemma beginnt schon mit der Berufsbezeichnung. «Schönheitschirurg» sei kein geschützter Begriff, heißt es bei der Bundesärztekammer. Als hochqualifiziert für Schönheits-Ops gilt dort allein ein Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie.

Schätzungen über Zahlen zu Schönheits-OPs liegen weit auseinander. Nach Mitgliederbefragungen der beiden deutschen Fachgesellschaften gab es 2015 exakt 43 287 ästhetisch-plastische Eingriffe und damit rund 3500 mehr als im Vorjahr. Die internationale Fachvereinigung ISAPS rechnet für 2015 bundesweit mit rund 287 200 Behandlungen. Sie zählt dazu etwa auch OPs anderer Fachärzte mit Zusatzsausbildung, darunter solche aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.

Die DGÄPC-Umfrage vermittelt jedes Jahr einen kleinen Einblick in die wenig transparente Branche. Rund 2200 Patienten haben 2016 anonym Fragebögen in Facharztpraxen ausgefüllt. Daraus ergibt sich das Ranking der beliebtesten OPs mit zehn Spitzenplätzen bei Frauen und Männern - mit Brustvergrößerung und Penisverlängerung auf den vorderen Rängen.

Zwölf Prozent der Befragten für die Umfrage waren Männer. Das entspreche der Geschlechterverteilung, die zum Schönheitschirurgen geht, sagt DGÄPC-Sprecher Martin Spiering. Ein Zuwachs sei da in naher Zukunft auch nicht zu erwarten, eher ein Rückgang. Repräsentativ machen zwölf Prozent die Umfrage für die Herren der Schöpfung aber nicht. Allein schon deshalb könne die Sache mit der Penisverlängerung bei den großen Männervorlieben unscharf sein, schränkt Spiering ein.

Als realistischer gilt, dass Männer in den besten Jahren so manchen Tränensack verschwinden lassen. Ebenfalls sehr beliebt sind laut Umfrage seit Jahren Lifting und Fettabsaugen, seltener Kinnkorrekturen und vollere Lippen. Eines haben viele Männer gemeinsam: Sie schweigen über den Gang zum Chirurgen.

Trotz Unschärfen helfen die Umfragen der Fachgesellschaft im Jahresvergleich bei einer Einordnung. So steht die Brustvergrößerung bei Frauen unangefochten und mit Abstand auf Platz eins. Doch selbst, wenn man zu den Brustimplantaten die Eigenfett-Behandlungen hinzählt, reicht das Interesse am Dolly-Buster-Effekt insgesamt nur knapp über 20 Prozent hinaus. Vor sechs Jahren lag die Marge dafür noch bei einem knappen Drittel der in Facharztpraxen befragten Frauen.

Vielleicht sind der Implantat-Skandal oder der Tod von Big Brother-Kandidatin «Sexy Cora» nach einer Brustvergrößerung 2011 nicht spurlos an Frauen in Deutschland vorbeigegangen. Die Fachärzte sehen in diesem Jahr insgesamt einen Trend zu weniger belastenden Behandlungen - Botox-Spritzen statt Lifting-OP, zum Beispiel.

Risiken bleiben. Schon geringe Mengen von Nervengiften in Spritzen könnten bei falscher Anwendung zu allergischen Reaktionen und Gesichtslähmungen führen, heißt es bei der Verbraucherzentrale. Bei Schönheitsoperationen mit Skalpell könne es gar um Nervenschädigungen, Blutungen, Thrombosen oder Narbenwucherungen gehen. «Solche Komplikationen können selbst dann nicht ausgeschlossen werden, wenn kein Behandlungsfehler vorliegt», warnen die Verbraucherschützer.

Warum also das Risiko? «Patienten können sehr gut benennen, was sie sich von einer erfolgreichen Behandlung erhoffen», sagt DGÄPC-Präsident Sven von Saldern. Mehr als einem Drittel gehe es um körperliche Verbesserungen, aber mehr als die Hälfte hoffe auf seelische Besserung. Wiederholungstäter gebe es meist nur bei den Faltenbehandlungen. «Unsere Patienten wünschen sich keine Generalüberholung», betont er. Anders als in den USA oder Brasilien sind Schönheits-OPs in Deutschland nach Meinung der DGÄPC auch kein Statussymbol. Oft gehe es um etwas «ganz Persönliches» - nicht um das Ziel, anderen zu gefallen. Viele Patienten überlegten mehr als zwei Jahre lang, ob sie größere Eingriffe wirklich wollen.

Kriterien für Schönheits-OPs wirken hierzulande immer noch lax: «Es muss für den Arzt ein nachvollziehbarer Leidensdruck herrschen», sagt DGÄPC-Sprecher Martin Spiering dazu. Psychologen meinen dazu, dass Eingriffe allein das Selbstbewusstsein selten stärken - geschweige denn persönliche Probleme lösen. Manchmal mache eine gelungene Diät zufriedener als Fettabsaugen.

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