Miserable Tatortarbeit – und Zweifel am Mord bleiben

Nach ihrer vierstündigen Zeugenaussage auf Samui: Dr. Pornthip Rojanasunand erklärt gegenüber Medienvertretern, dass ihrer Einschaetzung nach ‚schwerwiegende forensische Fehler bei den Mordermittlungen unterlaufen sind‘.
Nach ihrer vierstündigen Zeugenaussage auf Samui: Dr. Pornthip Rojanasunand erklärt gegenüber Medienvertretern, dass ihrer Einschaetzung nach ‚schwerwiegende forensische Fehler bei den Mordermittlungen unterlaufen sind‘.

KOH SAMUI: Nach der Zeugenaussage von Thailands prominentester Gerichtsmedizinerin Dr. Pornthip Rojanasunand vor der Strafkammer des Provinzgerichtes Koh Samui hat der verwirrend widersprüchliche Doppelmordfall von Koh Tao weitere Zweifel an der Ermittlungsarbeit der Polizei nach sich gezogen.

Die Leiterin des ‚Central Forensic Institutes von Thailand‘ konnte keine Klärung herbeiführen, die Hinweise über die objektive Schuld oder Unschuld der zwei Angeklagten aus Myanmar liefern. Dr. Rojanasunand sorgte dennoch mit ihrer mehr als vierstündigen Aussage für Klarheit in einer Beziehung: Ihrer professionellen Einschätzung nach sind im Zuge der Ermittlungen nach dem Mord an den britischen Touristen Hannah Witheridge (23) und David Miller (24) am 15. September 2014 so viele Fehler gemacht worden, dass eine gerichtsmedizinische Aufarbeitung jenseits von Zweifeln heute unmöglich sei.

1. Bekleidung des Mordopfers Hannah Witheridge – ein T-Shirt und eine Short – sind nie auf DNA-Spuren untersucht worden, obwohl laut Dr. Pornthip Rojanasunand allein ein Körperkontakt von 15 Sekunden ausgereicht hätte, einen oder mehrere mögliche Angreifer durch DNA zu identifizieren.

2. Blutspuren und ausgetretene Gehirnmasse am Fundort der Leiche des weiblichen Mordopfers deuten darauf hin, dass dort auch der Mord passiert ist. Allerdings wurde es laut Dr. Pornthip versäumt, gerichtsmedizinisch zu ermitteln, ob der Angreifer Rechts- oder Linkshänder gewesen ist – das sei damals möglich gewesen, heute leider nicht mehr.

3. Die Zeugin bezweifelte, ob der Fundort der Leiche von David Miller tatsächlich der Tatort gewesen sei. Die Leiche sei nachweislich mehrfach bewegt worden, bevor Forensiker des Polizeilichen Gerichtsmedizinischen Institutes sie untersucht hätten. Blutspuren im Sand und in der Nähe des Fundortes seien nicht untersucht worden – damit sei auch der Nachweis unmöglich, wie viel Blut von Opfer David Miller stamme und wann seine Verletzungen wo zu seinem Tod geführt haben. Möglicherweise könnte auch Blut eines oder mehrerer Täter dort zurückgeblieben sein.

4. Eine viel zitierte Haarprobe – gefunden in der Hand von Mordopfer Hannah Witheridge – sei nicht nachweislich auf DNA getestet worden, oder es liege kein Bericht zu diesem Tatbestand vor. Dabei sei es, so Dr. Pornthip, forensische Routinearbeit, anhand eines solchen Haares alle gerichtsmedizinischen Rückschlüsse zu ziehen und eindeutig DNA zuordnen zu können.

5. Spuren einer angeblichen Vergewaltigung des Mordopfers Hannah Witheridge: Laut Dr. Pornthip ist es versäumt worden anhand vorhandener Spermaspuren festzustellen, wie lange die Gewalttat zurückgelegen habe – ein wichtiges Indiz zur Ermittlung der möglichen Tatzeit. Verwirrung gab es ihrer Aussage nach auch zur Penetration des Mordopfers Witheridge – vaginal oder anal oder beides? Die Überführung des Leichnams zum Gerichtsmedizinischen Institut der Polizei in Bangkok sei vermutlich unsachgemäß durchgeführt worden und ausgetretenes Sperma möglicher, zweier oder auch mehrerer Vergewaltiger so verronnen, dass dadurch auch Konfusion über die Art der Vergewaltigung entstanden ist.

6. DNA-Proben der beiden Verdächtigen Zaw Lin und Wai Phyo sind laut Dr. Pornthip mit Namen und Tatzuweisung beschriftet und untersucht worden. Dies sei nicht Standard gerichtsmedizinischer Praxis wie beispielsweise bei FBI-Untersuchungen praktiziert. Normalerweise seien solche Proben nur mit Codes beschriftet und damit in einem geregelten Laborablauf leicht identifizierbar, ohne die Objektivität der untersuchten DNA in Frage zu stellen.

7. Ein am Tatort gefundenes Kondom – laut Angaben der Polizeiermittler ohne DNA-Befund – sei unsachgemäß getestet worden; nicht wie üblich innen und außen getrennt untersucht, womit eine Zuordnung möglicher Partner beim Geschlechtsverkehr – freiwillig oder unfreiwillig – heute nicht mehr nachweisbar ist.

8. Dr. Pornthip wollte anhand der ihr vorgelegten Fotos und Beweismittel nicht ausschließen, dass eine Vergewaltigung des Opfers Hannah Witheridge möglicherweise gar nicht stattgefunden habe; Verletzungen am Körper der ermordeten jungen Frau deuteten nicht zwangsläufig auf eine gewaltsame Erzwingung von Geschlechtsverkehr hin – es fehlten übliche Merkmale wie Prellungen und Blutergüsse am Oberkörper und den Gliedmaßen.

Beobachter des Prozesses, die seit dem 8. Juli dem Verfahren beigewohnt hatten, sprachen nach der Einvernahme der unabhängigen Gutachterin und Gerichtsmedizinerin von einem ‚undurchschaubaren Wirrwarr forensischer Ermittlungsarbeit‘. Keiner, so eine Dolmetscherin im Gerichtssaal, könne nach fast 150 Stunden Verfahrensdauer noch zuordnen, was am 15. September 2014 in den frühen Morgenstunden am Sairee Beach von Koh Tao geschehen ist. Fest stehe nur, dass die Dokumentation von gesammelten Spuren und die Ermittlungsarbeit am Tatort so dilettantisch vonstatten gegangen seien, dass ein Jahr nach den grausamen Doppelmorden kaum mehr ein objektives Urteil erfolgen könne.

Dr. Pornthip Rojanasunand erklärte nach ihrer Zeugeneinvernahme vor Journalisten, dass sie selbst keine Schuldzuweisungen abgeben wolle. „Es war ein weit entfernter Tatort, es waren viele Menschen am Fundort, bevor die Ermittler ihre Arbeit aufnehmen konnten, es sind sicherlich schwerwiegende gerichtsmedizinische Unterlassungssünden begangen worden.“ Auf Anfrage des britischen Fernsehsenders BBC ließ sich die bekannteste Forensikerin Thailands immerhin die Aussage entlocken, dass die Kollegen der Gerichtsmedizin im nordenglischen Norfork ‚ordentliche Arbeit geleistet hätten‘. Auf deren Untersuchungsbericht haben jedoch bisher weder die Verteidigung noch das Gericht auf Koh Samui Zugriff erhalten.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 12.09.15 09:55
Danke Herr Gruber
für diesen ausführlichen Bericht. Nun darf man wohl gespannt sein, wie das Urteil dann aussieht. Es ist nur zu hoffen, dass alle Verantwortlichen aus diesem Verfahren ihre Lehren ziehen.