Löw will Geschichte schreiben

​«Wir haben kein Italien-Trauma»

Joachim Löw blickt dem EM-Kracher gegen Italien nicht mit Angst, sondern einem «guten Gefühl» entgegen. Am Plan für den Premierensieg in einem Turnierduell muss der Weltmeistercoach noch «tüfteln». Foto: epa/Arne Dedert
Joachim Löw blickt dem EM-Kracher gegen Italien nicht mit Angst, sondern einem «guten Gefühl» entgegen. Am Plan für den Premierensieg in einem Turnierduell muss der Weltmeistercoach noch «tüfteln». Foto: epa/Arne Dedert

ÉVIAN-LES-BAINS (dpa) - Joachim Löw nippte an seinem italienischen Espresso - und das Koffein zeigte umgehend stimulierende Wirkung. Am verdienten Faulenzer-Tag für seine 23 EM-Spieler präsentierte sich der Bundestrainer bereits in Wettkampflaune. Am Samstag, 21.00 Uhr, im Nouveau Stade de Bordeaux möchte der Weltmeistercoach mit seinen ebenfalls hochmotivierten Fußball-WM-Champions Turniergeschichte schreiben. Der Premierensieg gegen den Angstgegner bei einer EM- oder WM-Endrunde ist überfällig, wie ein zur Hochform auflaufender Löw beim verbalen Vorspiel am Dienstag in Évian-les-Bains verdeutlichte.

Die Kernbotschaft übermittelte Löw vom Pressepodium am Genfer See energisch, aber auch mit einem nötigen Schuss Lockerheit an die Fans daheim und besonders an die Azzurri. «Wir haben kein Italien-Trauma. Die Vergangenheit ist kalter Kaffee. Ein frischer Espresso ist uns lieber, da müssen wir schauen, dass er uns am Samstag sehr gut schmeckt.» Witzig und kämpferisch, selbstbewusst und demütig, aber vor allem entschlossen präsentierte sich der 56-Jährige vor einem Duell, das er auch ganz persönlich als offene Rechnung betrachtet.

«Für mich als Trainer ist es die Aufgabe, für besondere Herausforderungen Lösungen zu finden», sagte Löw. Er hat noch etwas aufzuarbeiten gegen die Italiener, die ihm 2012 im EM-Halbfinale von Warschau mit dem unvergesslichen Doppelschlag von Muskelprotz Mario Balotelli die wohl bitterste und im öffentlichen Nachhall heftigste Niederlage seiner Amtszeit zugefügt hatten. Dieses 1:2 habe ihm «unheimlich weh getan», aber zugleich auf dem Weg zum WM-Triumph in Brasilien geholfen. «Es war für mich eine gute Lehre», gestand Löw offen und souverän mit dem zeitlichen Abstand von vier Jahren.

Löw ist gereift - und seine Spieler sind es auch. «2012 war auch alles gut bis zum Halbfinale. Und dann sind wir ausgeschieden gegen die Italiener. Da waren wir die großen Verlierer des Turniers», erinnerte Torjäger Mario Gomez. Abwehrchef Jérôme Boateng, dessen verhärtete Wade weiter intensive Behandlung benötigt, benannte die Qualitäten des von Juventus Turin geprägten Gegners: «Die Italiener sind taktisch super geschult. Auf Zentimeter genau stimmen da die Abstände. Sie arbeiten als Team zusammen und setzen Nadelstiche.»

Die Einstimmung hatte für Deutschlands aufdrehende EM-Kicker vor dem trainingsfreien Dienstag begonnen. Und zwar beim TV-Studium des italienischen 2:0 gegen den entthronten Europameister Spanien. «Man sieht sich den Gegner schon konzentriert an und versucht, sich die aktuellen Stärken und auch Schwächen genau anzuschauen», verriet Bastian Schweinsteiger über den Fernsehabend im DFB-Quartier.

«Wer sich das Spiel von uns nicht anschaut, der hat seinen Job verfehlt», sagte Torwart Manuel Neuer. Jedes Detail, jeder taktische Kniff, jede Personalentscheidung muss diesmal sitzen. Ein «enges und unheimlich zähes Spiel» sagte Löw voraus. «Wir müssen ein bisschen tüfteln im Trainerteam», sagte er zur Suche nach dem Erfolgsrezept.

Löws Vertrauen in seine Mannschaft ist groß, auch wenn er nach dem überlegenen 3:0 gegen die Slowakei keinen Anlass dafür sieht, «in absolute Euphorie zu verfallen». Vielmehr mahnte er energisch: «Bescheidenheit und Demut ist das Gebot der Stunde.» Italien sei besser als bei den Turnieren 2008, 2010 und 2012, was auch ein Verdienst von Trainer Antonio Conte sei, der zur gefürchteten Abwehr- und Nervenstärke die Offensivkraft gefördert habe. «Er hat erkannt, dass man mit Catenaccio allein kein Turnier gewinnt», meinte Löw.

Trotzdem bleibt die Null hinten das zentrale Thema einer jeden italienischen Mannschaft. «Die Italiener freuen sich immer viel mehr als wir Deutschen, wenn sie 0:0 spielen. Wir ärgern uns, uns wäre ein 3:3 lieber», schilderte Löw. Mit einem 0:0 kann man bei einem Turnier in die Verlängerung und auch ins Elfmeterschießen gelangen. «Wir werden jetzt mehr gefordert», betonte Turnier-Kapitän Neuer.

Sami Khedira schickte nach Italiens Viertelfinaleinzug «tanti auguri» (herzliche Glückwünsche) an seine Juve-Kollegen. In Bordeaux aber sollen Buffon & Co. ihm gratulieren. Dem Italien-Insider Khedira kommt eine Schlüsselrolle zu. Auf dem Platz bescheinigt Löw der Führungskraft immer mehr Dynamik und ein gutes Zusammenwirken mit Toni Kroos. Dazu ist Khedira im Vorfeld als Ratgeber äußerst wertvoll: «Er wird mir Informationen geben, die ich nicht habe.»

Diese könnten auch in die Aufstellung einfließen. Dass erneut die Slowakei-Sieger auflaufen, ist kein Automatismus. «Die Wunschelf gibt es nicht», sagte Löw deutlich. Einige Stammkräfte wie Boateng, Khedira (Adduktoren) und Mats Hummels (Prellung) müssen behandelt werden. Auch der bärenstarke Linksaußen Julian Draxler hatte gegen die Slowaken einen Schlag abbekommen. Die medizinische Abteilung werde aber alle Akteure pünktlich fit bekommen, versicherte Löw.

Der nominelle Kapitän ist weiter kein Startelf-Kandidat. Bastian Schweinsteiger wird auch im fünften Turnierspiel ein Helfer von der Bank bleiben. «Er akzeptiert das im Moment auf jeden Fall, dass

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