Lobe den Herren…

Mit Zitaten aus der gleichnamigen Bach-Kantate BWV 137

Lobe den Herren…

Gottesdienst im Dom. Die Gemeinde singt, begleitet von der dröhnenden Orgel:

„LOBE DEN HERREN, DEN MÄCHTIGEN KÖNIG DER EHREN…“

Derweil ertrinken im Mittelmeer Tausende, die sich gewissenlosen Schleppern anvertraut hatten, um sich vor Krieg und Terror zu retten. Und sie glaubten an ihren Gott, der sie beschützen würde. Aber wo war er, als die Frauen vergewaltigt wurden, den Männern mit der Machete der Kopf vom Körper getrennt wurde?

„KOMMET ZU HAUF.“

An wen oder was erinnert mich dieser Satz? Richtig, das war die Einladung von Angela Merkel, der deutschen Bundeskanzlerin: „Wir schaffen das“! Viele haben sich auf den beschwerlichen Weg gemacht, und viele haben dabei ihr Leben verloren.

„PSALTER UND HARFE WACHT AUF…“

Ja, auch Sie, sehr geehrter Leser, sind jetzt aufgeschreckt und fühlen sich möglicherweise in Ihrem Glauben verletzt. Sorry, das war und ist nicht meine Absicht. Aber wenn Sie wüssten, wie oft ich wegen meiner Überzeugungen beleidigt und beschimpft wurde und werde, dann hätten Sie vielleicht etwas Verständnis dafür, dass ich mich wehre. Wäre Gott wirklich der mächtige König der Ehren, würde er dann diese Brutalitäten zulassen? Zuschauen, wie Unschuldige verhungern, verdursten, krepieren?

„DER DICH ERHÄLT, WIE ES DIR SELBER GEFÄLLT, HAST DU NICHT DIESES VERSPÜRET?“

Nein, das haben die Opfer nicht verspüret. Vielleicht haben sie sich in ihrer Not nur noch gefragt: Gibt es diesen Gott überhaupt? Menschen überall beten und beten. Trotzdem stirbt ihr kleines Kind an einer unheilbaren Krankheit, wird die Mutter überfahren und stirbt, trotzdem wird der Vater ermordet. Welcher allmächtige Gott lässt dieses Unrecht zu? Welche Religion kann darauf eine befriedigende Antwort geben? Ich kenne keine, außer vielleicht den Buddhismus, der Verfehlungen des Einzelnen in früheren Lebensphasen dafür verantwortlich macht. Aber auch das halte ich für ein psychologisches Ablenkungsmanöver, weil man sich damit abfinden und durch ein gutes, spendenreiches Leben ein besseres Karma erreichen könnte. Religion ist eines der großen Themen der Weltgeschichte. Sie hat Großes bewirkt, leider in verschiedene Richtungen. Menschen hauen sich dafür die Köpfe ein, andere verbinden und pflegen Kranke und Verwundete, bis sie wieder gesund sind. Alles im Namen Gottes. Ich denke, er hätte angesichts dessen, was hier auf der Welt geschieht, längst seinen Himmelsthron verlassen und würde irgendwo im Sauerland als einfacher Schuhmacher arbeiten.

„IN WIE VIEL NOT HAT NICHT DER GNÄDIGE GOTT ÜBER DIR SEINE FLÜGEL GEBREITET?“

Nein, der gnädige Gott hat gar nichts getan und keine Gräueltaten verhindert. Und die schlimmsten Kriege wurden von seinen irdischen Vertretern mit Segenssprüchen begleitet. Mir geht es mit der Religion wie mit den Parteien. Sie können mich nicht mehr überzeugen. Jahrelang ging ich auf Geheiß meiner Mutter in den Kindergottesdienst. Ich wurde konfirmiert und habe alles versucht den zehn Geboten zu folgen. Ich wollte glauben. Aber an was? An die geschlechtslose Geburt von Jesus? An die Jungfräulichkeit Marias? An die Auferstehung des Gekreuzigten in den Himmel? An ein Paradies, das den Gutmenschen verheißen wird? Nein, ich habe es bis heute nicht geschafft all diesen Geschichten zu vertrauen. Ich weiß dass viele Millionen, Milliarden gläubige Menschen nach den Gesetzen ihrer Religion leben, glauben und hoffen, und ich bin der Letzte, der ihnen ihren Glauben nehmen wollte. Aber es muss erlaubt sein, in einer aufgeklärten Welt eine andere Meinung zu haben und ein anderes Leben zu führen. So wie viele religiöse Menschen sich engagieren, um den in Not geratenen Mitmenschen zu helfen, so tun es auch andere, die mit der Religion nichts am Hut haben, in zahlreichen Hilfsorganisationen. Sie ersetzen in dieser Welt den Gott, der nicht einschreitet, wenn Unrecht passiert. Hier müsste es heißen:

„LASSET DEN LOBGESANG HÖREN.“

Aber das höre ich selten. Ich habe die Bibel und das Neue Testament gelesen. Mord und Totschlag sind dort an der Tagesordnung. Ich habe auch die Märchen der Gebrüder Grimm gelesen, und – um die Wahrheit zu sagen – Sie haben mich mehr interessiert, gebildet und sozialisiert. Ich höre die wunderbare Bach-Kantate mittels einer CD. Und während ich an all das Elend dieser Welt denke, endet der Schluss mit lauten Trompetenstößen:

„LOBENDE, SCHLIEßE MIT AMEN.“

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Jürgen Franke 20.10.16 12:10
Es ist immer ausreichend, dem Menschen
einzureden: "Gott ist mit uns." Unter diesem Motto wurden bisher alle Schandtaten dieser Welt angezettelt und vollbracht. Da helfen auch keine noch so tollen Erklärungsversuche der Bibelkundigen weiter. Übrigens dieser Satz stand auf der Gürtelschnalle meines Vaters im Krieg, um der Grausamkeit einen Namen zu geben und sie zu rechtfertigen..
Jack Norbert Kurt Leupi 19.10.16 16:00
Lobe welchen Herrn ?
Wie immer ein formidabler Gedankengang aus der spitzen Feder , die die "erstaunlichen" Lebensformen , die ja alle manipuliert sind , in Frage stellen ! Danke ,Herr C.F.Krüger !
Michael Ritsche 19.10.16 11:08
Lobe den Herren…
Vielen Dank für diese Kolumne.
Manchmal haben wir,meine Frau und ich gedacht wir sind Allein.
Nein,es gibt Menschen wie Uns.Das beruhigt meine Gedanken,gerade auch hier in Thailand,
fernab von unserem Geburtsort.
Vielen Dank.M.R.