Leitet die EZB die Zinswende ein?

EZB-Präsident Mario Draghi. Foto: epa/Stephanie Lecocq
EZB-Präsident Mario Draghi. Foto: epa/Stephanie Lecocq

FRANKFURT/MAIN (dpa) - Die Konjunktur im Euroraum erholt sich, die Inflation hat sich von der Nulllinie entfernt. Der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) wächst, ihre weitgeöffneten Geldschleusen zu schließen. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber erste Hinweise auf einen Einstieg in den Ausstieg könnten die Währungshüter an diesem Donnerstag bei ihrer auswärtigen Sitzung in der estnischen Hauptstadt Tallinn geben. Zuviel erwarten sollten Sparer allerdings nicht. «Wir bleiben fest davon überzeugt, dass ein außergewöhnliches Maß an geldpolitischer Unterstützung ... immer noch nötig ist», hatte EZB-Präsident Mario Draghi jüngst betont.

Was sind die Gründe für die Geldschwemme?

Das viele billige Geld soll im Idealfall die Konjunktur ankurbeln und die Teuerung anheizen. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Konjunkturrisiko. Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen aufschieben in der Erwartung, dass es bald noch billiger wird. Das könnte die Wirtschaftsentwicklung abwürgen. Die EZB strebt eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug entfernt von der Nullmarke. Im Mai hatte sich der Preisauftrieb im Euroraum allerdings abgeschwächt. Die Verbraucherpreise lagen 1,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die um Energie- und Lebensmittelpreise bereinigte Kerninflation fiel von 1,2 auf 0,9 Prozent. Die Wirtschaft im Euroraum wächst dagegen robust.

Warum kann die EZB ihre Geldschleusen nicht abrupt schließen?

Ein plötzliches Ende der milliardenschweren Anleihekäufe und eine unerwartete Zinserhöhung dürften an den Kapitalmärkten massive Turbulenzen auslösen. Die Aktienkurse würden in den Keller rauschen und die Renditen von Staatsanleihen in die Höhe schießen. Insbesondere für angeschlagene Eurostaaten würde es dadurch deutlich teurer werden, sich Geld am Markt zu leihen. Zugleich könnte eine plötzliche Kehrtwende Verbraucher und Unternehmen verunsichern und so die Konjunkturerholung im Euroraum gefährden. Die EZB muss also behutsam vorgehen. «Der Markt wird die Worte von Präsident Draghi auf die Goldwaage legen», erläutern Ökonomen der Landesbank BayernLB.

Wie kann die EZB die Öffentlichkeit auf einen Ausstieg vorbereiten?

Bisher wies Draghi stets darauf hin, dass Abwärtsrisiken für die Wirtschaft im Euroraum dominieren. «Ein Verzicht auf diese Formulierung wäre ein starkes Signal in Richtung einer künftig weniger expansiven Geldpolitik», erklärt die BayernLB. Bei der Ratssitzung am Donnerstag oder beim folgenden Treffen des höchsten EZB-Entscheidungsgremiums am 20. Juli in Frankfurt könnten die Währungshüter nach Einschätzung von Volkswirten erste Hinweise auf den weiteren Kurs geben. «Auf einen geldpolitischen Paukenschlag wird man am Donnerstag aber vergeblich warten», sagen Experten der Fondsgesellschaft Union Investment voraus.

Was könnte der erste Schritt zurück zur Normalität sein?

Beobachter erwarten, dass die Währungshüter zunächst ihr milliardenschweres Kaufprogramm schrittweise herunterfahren. Bis mindestens Ende 2017 will die Notenbank monatlich Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Umfang von 60 Milliarden Euro kaufen. «Die Frage ist nicht, ob die EZB ihr Anleihenkaufprogramm bereits vor Dezember 2017 beenden wird, sondern wie schnell sie diese Anleihenkäufe im kommenden Jahr zurückfahren kann», meint der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Ökonomen gehen davon aus, dass die Notenbank ihre Käufe im Herbst 2018 einstellen könnte. «Im September oder Oktober wird die EZB wahrscheinlich ankündigen, das Kaufvolumen ab Januar 2018 zu verringern, gefolgt von weiteren Anpassungen bis zum Ende des Programms im Herbst», sagt Holger Schmieding von der Berenberg Bank.

Wann erhöht die Notenbank zum ersten Mal wieder den Leitzins?

Draghi hatte zuletzt immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zinsen im Euroraum auch über das Ende des Kaufprogramms niedrig bleiben werden. «Insbesondere die anhaltend niedrige Kerninflation wird dem EZB-Rat genügend Argumente liefern, die Leitzinsen erst lange nach einem Einstellen der Anleihenkäufe zu erhöhen. Der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik verläuft quälend langsam», prognostiziert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. «Dass die Notenbanker am Nullzins rütteln, ist bis auf Weiteres äußerst unwahrscheinlich», meinen auch die Experten von Union Investment. Manche Ökonomen rechnen 2019 mit einer ersten Anhebung des Leitzinses, zu dem sich Banken bei der EZB frisches Geld besorgen können. Dann könnten Sparer auf höhere Zinsen hoffen, Kredite würden allerdings teurer.

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Jürgen Franke 09.06.17 10:50
Eigentlich haben wir uns doch schon
daran gewöhnt, dass wir, nicht nur keine Zinsen auf unser Gespartes bekommen, sondern jetzt noch Strafzinsen zu zahlen haben. Abgesehen weiß Draghi, dass er machen kann was er will, da er eingesetzt wurde und nicht durch ein Parlament legitimiert wurde. Aber vor den Wahlen wird sich sicherlich nichts Spektakuläres auf diesem Sektor ereignen.