Koalitionäre auf Kuschelkurs

Foto: epa/Christian Bruna
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WIEN (dpa) - Seit einem Monat zimmern Konservative und Rechtspopulisten an einem neuen Regierungsbündnis in Österreich. Die Erwartungshaltung ist bei Anhängern groß. Gegner formieren sich zu ersten Demonstrationen.

Das Drehbuch zur Regierungsbildung in Österreich empfiehlt bisher Harmonie statt Drama. Bei ihren gemeinsamen Auftritten präsentieren sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz und der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache als politisches Duo, das scheinbar nichts trennen kann. Der im Wahlkampf versprochene «neue Stil» - konstruktives Miteinander statt missgünstiges Gegeneinander - soll bereits in der Frühphase der Zusammenarbeit einziehen. Das «formidable Betriebsklima», so das Magazin «Profil», kommt nach einem Monat aber mehr und mehr auf den Prüfstand der konkreten inhaltlichen Arbeit. Bis Freitag sollen die 25 Fachgruppen ihre Zwischenergebnisse vorlegen - dann wird klarer werden, wohin die Reise der Alpenrepublik unter Schwarz-Blau gehen könnte.

Einzig ihr Lieblingsfeld «Bekämpfung der illegalen Migration» und «Zuwanderung ins Sozialsystem» haben Konservative und Rechtspopulisten öffentlich abgehandelt. So soll die bisher geltende, juristisch und politisch umstrittene Obergrenze von aktuell 35.000 Asylverfahren von einer noch schärferen Gangart abgelöst werden. «Wir sind da deutlich ambitionierter», umschrieb der 31-jährige ÖVP-Chef Kurz das Ziel, die illegale Migration möglichst ganz zu stoppen. Obendrein sollen Asylberechtigte erst nach zehn statt nach sechs Jahren einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen können. Die Mindestsicherung soll für Neuankömmlinge fünf Jahre lang auf rund 520 Euro gekürzt und für Familien bei 1.500 Euro gedeckelt werden.

Zwei Themen mit gewisser Sprengkraft machten in den ersten vier Wochen der Koalitionsverhandlungen Schlagzeilen. So will Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Vernehmen nach sein Vetorecht nutzen, wenn ihm einzelne FPÖ-Ministerkandidaten nicht behagen. Dazu soll auch der wegen seiner markigen, europakritischen Sprüche bekannte EU-Abgeordnete Harald Vilimsky zählen. Außerdem liebäugelt die FPÖ, offenkundig aus Rücksicht auf die Stammtische der Republik, mit einer Rücknahme des zum 1. Mai 2018 beschlossenen Rauchverbots in der Gastronomie. «Das ist so ziemlich das Blödeste, was man tun kann», schüttelte der Chef der Universitätenkonferenz, Oliver Vitouch, aus medizinischer Sicht den Kopf. Österreich ist europaweit das Schlusslicht im Nichtraucher-Schutz.

Als Knackpunkt zwischen ÖVP und FPÖ gilt das eindeutige Bekenntnis zu Europa, das Kurz von den Rechtspopulisten verlangen will. Angesichts der von der FPÖ über Jahrzehnte kultivierten EU-Schelte dürfte sich die Frage stellen, ob die erwartete politische Geste der FPÖ mehr ist als ein taktisches Lippenbekenntnis.

Die Sozialdemokraten, bei der Wahl am 15. Oktober von Kurz und der ÖVP von Platz eins verdrängt, müssen sich in der künftigen Oppositionsrolle erst noch grundsätzlich neu sortieren. Am 27. Januar steht in Wien als wichtigstem SPÖ-Landesverband eine Richtungsentscheidung an. Bei einer Kampfabstimmung müssen sich die 1.000 Delegierten zwischen der Öffnung zur FPÖ (Stadtbaurat Michael Ludwig) und einem Werben um Wähler der Grünen (SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder) entscheiden. Pikant: Laut Umfragen könnte ein Bündnis aus SPÖ und FPÖ die bisher absolute Macht der ÖVP in ihrem Stammland Niederösterreich bei der Landtagswahl am 28. Januar möglicherweise brechen.

Das strukturierte Vorgehen beim Schmieden der Koalition kommt laut Experten nicht von ungefähr. «Kurz und Strache sind zwei Typen, die auf Nummer sicher spielen», meint der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt. Auch der aufkommende Gegenwind auf der Straße dürfte beide Politiker kaum irritieren. Vor wenigen Tagen demonstrierten mehrere tausend Menschen mit einer Lichterkette in Wien gegen die aus ihrer Sicht rechtsextremen Ansichten der FPÖ. Viele Bürger befürchten obendrein einen Sozialabbau unter einer schwarz-blauen Regierung. Die soll nach ÖVP-Wunsch bis Weihnachten stehen.

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