Katalonien vor der «Scheidung»

Foto: epa/Robin Townsend
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MADRID/BARCELONA (dpa) - Die Regierung Kataloniens treibt den Loslösungsprozess von Spanien gegen den Widerstand der Zentralregierung weiter voran, zeigt sich aber auch gesprächsbereit.

Für Montag haben die Parteien der separatistischen Koalitionsregierung in Barcelona eine Plenarsitzung des Regionalparlaments einberufen, bei der wohl die Unabhängigkeit ausgerufen werden soll. Zugleich aber forderte der Chef der Regionalregierung in Barcelona, Carles Puigdemont, am Mittwochabend erneut Gespräche. «Die gegenwärtige Situation verlangt nach einer Vermittlung», sagte Puigdemont.

Er habe in den vergangen Tagen viele Vermittlungsangebote erhalten und «es wäre unverantwortlich», diese nicht anzunehmen, fügte er hinzu. Die Zentralregierung lehnt Gespräche bisher jedoch ab und verfolgt eine harte Linie. Auch die EU und die Bundesregierung in Berlin haben eine Vermittlerrolle bisher abgelehnt. Puigdemont betonte in seiner Fernsehansprache jedoch: «Ich stehe für einen Vermittlungsprozess zur Verfügung, weil der Frieden, der Dialog und die Verhandlung zu unserer politischen Natur gehören.»

Madrid blieb aber drei Tage nach dem Sieg des «Ja»-Lagers beim umstrittenen und chaotischen Referendum der Katalanen über die Loslösung zunächst beim rauen Ton. Die Regierung von Mariano Rajoy werde «alle zur Verfügung stehenden Mittel» einsetzen, um die Abspaltung zu verhindern und die Einhaltung der Gesetze zu garantieren, sagte Justizminister Rafael Catalá.

Nur einen Tag nach neuen Massendemonstrationen von Hunderttausenden gegen Polizeigewalt während des Referendums und für die Abspaltung ihrer Region bekräftigte Puigdemont, dass die Pläne zur Ausrufung der Unabhängigkeit von Spanien verwirklicht werden sollen. «Meine Regierung wird keinen Millimeter von ihrer Verpflichtung abrücken.» In einem Interview der BBC hatte der 54-Jährige zuvor erklärt, derzeit herrsche Funkstille zwischen Barcelona und Madrid.

Beim Referendum hatte eine deutliche Mehrheit am Sonntag für eine Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt. Die Abstimmung war trotz eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen Madrids abgehalten worden. Allerdings war die Beteiligung mit 42 Prozent niedrig und Gegner einer Abspaltung dürften der Abstimmung überwiegend fern geblieben sein. Beim harten Einsatz der von Madrid entsandten Polizeieinheiten zur Verhinderung der Abstimmung wurden nach Angaben der Regionalregierung fast 900 Menschen verletzt.

Dass König Felipe VI. in seiner Rede am Dienstagabend kein Wort des Mitgefühls für die Opfer der Polizeigewalt äußerte, keinen Aufruf zum Dialog machte und die Katalanen nicht direkt ansprach wurde von Puigdemont scharf kritisiert. «So nicht! Mit Ihrer Entscheidung haben Sie sehr viele Menschen in Katalonien enttäuscht», sagte er in Richtung des Monarchen - der in erster Linie hervorgehoben hatte, der Staat müsse die verfassungsmäßige Ordnung garantieren.

Der König schließe sich lediglich der Politik der Zentralregierung an und werde der vermittelnden und ausgleichenden Rolle eines Staatsoberhaupts nicht gerecht, betonte Puigdemont. Nicht nur er war unzufrieden.

Medienberichten zufolge hat die Zentralregierung alles vorbereitet, um gemäß Verfassungsartikel 155 die Regionalregierung abzusetzen und die Region vorübergehend von Madrid aus zu verwalten. Aber viele der 7,5 Millionen Katalanen pochen auf ihre «Andersartigkeit», auf ihre Sprache und Kultur. Der Wunsch nach Selbstbestimmung der Region im Nordosten Spaniens an der Grenze zu Frankreich hat tiefe Wurzeln und ist Jahrhunderte alt. Für Spanien wäre der Verlust der Region von der Größe Belgiens mit einer überdurchschnittlich hohen Wirtschaftskraft und einem große Steueraufkommen ein harter Schlag.

Sowohl die EU wie auch die Bundesregierung lehnten es erneut ab, sich einzumischen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch die EU-Kommission bezeichnen das Problem weiter als eine innerspanische Angelegenheit. «Die Bundeskanzlerin strebt keine Vermittlungsmission an», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. «Für die EU-Kommission ist das eine interne Angelegenheit Spaniens», bekräftigte auch der Vizepräsident der Brüsseler Behörde, Frans Timmermans.

Der SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer sieht die Schuld für die Eskalation vor allem bei Spaniens konservativem Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. «Er hat alles unterlassen, um einen modernen föderalen Staat aufzubauen», bemängelte Schäfer in Berlin. «Die Entwicklung in Katalonien war abzusehen: Anstatt den stolzen Menschen in dieser wichtigen Region weitreichende Autonomie zu gewähren, versucht es Rajoy mit autoritärem Zentralismus.»

Rajoy gerät auch in Madrid immer mehr in die Kritik. Die Sozialisten (PSOE), zweitstärkste Kraft im Madrider Parlament, warfen ihm erneut mangelnde Dialogbereitschaft vor. Die «Nummer drei» in Madrid, die linke Protestpartei Podemos, betonte der Sturz von Rajoys Minderheitsregierung sei nun der einzige Ausweg.

Die Sprecher der katalanischen Koalitionsparteien einigten sich am Mittwoch auf die Einberufung einer Plenarsitzung für den kommenden Montag. Ob es dann eine Abstimmung über die Unabhängigkeit geben wird, blieb offen. Die Separatisten haben im Parlament die Mehrheit.

Die Entwicklung zog auch den spanischen Aktienmarkt in Mitleidenschaft. Der Leitindex Ibex 35 knickte um 2,85 Prozent ein. Das war laut Medien der schärfste Kurseinbruch sei dem 24. Juni 2016, dem Tag nach dem Brexit-Votum der Briten.

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Jürgen Franke 06.10.17 09:04
Lieber Jack, vielen Dank für Deinen historischen
Exkurs. Meiner Meinung nach sollten man heute alle Möglichkeiten nutzen, um alte Gräben zu schließen und vernünftig miteinander sprechen, um in die Zukunft zu blicken. Nach den letzten Meldungen stehen wir in Spanien leider vor einem Bürgerkrieg.
Norbert Kurt Leupi 05.10.17 20:45
Wo der "Konflikt" seinen Ursprung hat...
Lieber Jürgen , da müsste man bis ins Mittelalter zurückblicken ! Im Zuge des span.ERB-Folge-Krieges im 18.Jhdt. verlor Katalonien seine gehabte Unabhängigkeit !Später unter der faschistischen Diktatur Franco`s wurden alle Ausdrücke einer eigenen Kultur, Sprache und eines politischen Anspruchs der Catalans unterdrückt! Erst als Spanien demokratisch wurde ,erhielt Catalunya teilweise seine Autonomie zurück ! Aber 2010 beschnitt Spaniens Oberstes Gericht Kataloniens Autonomie , darauf entstand die Unabhängigkeitsbewegung ! 2014 liess die Regional-Regierung ihre Bevölkerung symbolisch über die Unabhängigkeit abstimmen ,obwohl dass das span Verfassungsgericht eine bindende Abstimmung verbot ! Damals stimmten schon 80% für ein eigenständiges Katalonien was wiederum vom span.Obersten Gericht für ungültig erklärt wurde ! Und nun , wie geht`s weiter ?Endet es vielleicht in einem Bürgerkrieg ? Darum lieber Jürgen , es macht nicht jeder was er will , er will nur das zurückhaben, was ihm einmal gehörte ! Aehnlich der Krim ,die gehörte auch den Russen ! Der Kosovo aber , gehörte den Jugoslawen , die man im Balkankrieg bombardierte ! So sehen es jedenfalls einige Historiker !
Jürgen Franke 05.10.17 18:27
Lieber Jack, wir werden den Montag abwarten.
Wenn jeder machen kann, was er will und was ihm grade einfällt, brauchen wir im Grunde genommen gar keine Gesetze mehr. Die vorgenommenen Wahlen waren rechtswidrig. Diese Tatsache kannst Du nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Jeder der die Rede des Katalanischen Ministerpräsidenten gehört hat, wird erkannt haben, dass er ein sehr guter Redner ist, der seine Zuhörer sehr geschickt beeinflussen kann. Dass die spanische Regierung auf die Falle, die er gestellt hat, reingefallen ist, war ein Fehler der Regierung. Derartige Volksverführer hatten wir auch in Deutschland zahlreich. Bedauerlicherweise fehlt dem jetzigen König, die Autorität seines Vaters, der seinerzeit einen Putschversuch zum scheitern bringen konnte.
Norbert Kurt Leupi 05.10.17 16:49
Lässt "Catalunya" ganz Europa brökeln ?
Ohne Rücksicht auf Verluste kämpfen die Katalanen für ihre Unabhängigkeit ! Das könnte auch andere Regionen inspirieren ! Während vor Jahren das Baskenland sich mit dem ETA-Terror fast " freigebomt " und danach gewisse Freiheiten vom Zentralstaat Spanien erhalten hat , schickte die rechtskonservative Faschistentruppe des Ministerpräsidenten Rajoy (befreundet mit Merkel) die paramilitärische Guardia Civil, um die Wahlen vom vergangenen Wochenende zu stoppen ! Knapp 900 Menschen wurden verletzt , darunter auch "Bullen" ! Die katalanische Regierung ist natürlich seit Jahren auf Konfrontation aus , aber auf "friedlichen" ! Das könnte andere Separatisten natürlich inspirieren ! Ein besonderer Brandherd ist Nordirland ! Im Zuge der Brexit-Verhandlungen wird die Bewegung versuchen , sich vom "Kingdom" zu lösen ! Das Gleiche gilt für die Schotten,die als eigener Staat bei der EU bleiben wollen ! Auch im Süd-Tirol gibt`s schon eine starke separatistische Bewegung und auch ganz Norditalien ist im Separatistenfieber ! Und in Korsika kämpft man auch schon für eine Abspaltung ! Und gemäss Hardy wäre auch Bayern bereit , den Freistaat als eigener Staat zu sehen ! Die Vorarlberger wünschten sich auch schon zur Schweiz zu gehören ! Und in Spanien wäre dann der nächste Schritt, die Generalitat von Valencia , sich aus dem" Schraubstock" Madrids zu lösen ! Was, wenn sich alle diese Regionen tatsächlich lösen können/könnten ? Eine neue EU , die man von Grunde auf reformieren müsste ?
Jürgen Franke 05.10.17 15:05
Nicht nur Schade für Spanien, sondern eine
Schande für Spanien, dass dieser Konflikt nicht friedlich gelöst werden kann. Da die Politiker auf beiden Seiten offensichtlich unfähig sind, die Tragweite ihres Handels zu überblicken, wird am Ende die Bevölkerung wieder darunter leiden. Bezeichnenderweise will sich bisher noch kein Politiker außerhalb Spaniens, in die eigentlich inneren Angelegenheiten einmischen
Hardy Kromarek Thanathorn 05.10.17 12:24
Schade für Spanien!
Der Konflikt muss auf jeden Fall friedlich gelöst werden! Wenn das so weiter geht in dieser EU, dann wird es aber richtig heiß! Eigentlich sollte sich dann auch Bayern unabhängig erklären um somit den Mist von Mutti Merkel und Co.KG. nicht mehr mit zu tragen! Die liebe EU! Der Anfang vom Ende ist voll im Gange!