Katalonien: Trennungsgelüste einer aufmüpfigen Region

Carles Puigdemont, Chef der katalanischen Regionalregierung. Foto: epa/Toni Albir
Carles Puigdemont, Chef der katalanischen Regionalregierung. Foto: epa/Toni Albir

MADRID/BARCELONA (dpa) - Spanien steht vor einem heißen politischen Herbst. Die Medien des Landes werden mittlerweile nur noch von einem einzigen Thema beherrscht: dem für den 1. Oktober geplanten Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens, der wirtschaftsstärksten Region des Landes. Rund drei Wochen hat die Regierung in Madrid noch Zeit, die Abstimmung irgendwie zu verhindern. Eine echte Strategie scheint ihr dabei bislang zu fehlen. Denn die katalanischen Trennungsgelüste sind zwar nicht neu, aber so weit fortgeschritten und konkret waren sie noch nie.

Die turbulenten Szenen im Parlament Kataloniens vor wenigen Tagen sprachen Bände, die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Auf der einen Seite hagelte es lautstarke Proteste der Opposition, auf der anderen Jubel und Applaus der separatistischen Regionalregierung. Diese hatte gegen allen Widerstand das umstrittene «Referendumsgesetz» durchgeboxt, das die Volksbefragung erst möglich macht - und im Falle eines Sieges der Befürworter eine Abspaltung von Spanien innerhalb von zwei Tagen vorsieht.

Die Zeitung «El Mundo» sprach am Freitag bereits von einem «separatistischen Staatsstreich». Seit Wochen nimmt der Ton zwischen Madrid und Barcelona an Schärfe zu. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy wurde deshalb in den vergangenen Tagen so deutlich wie selten, um die Herrschenden in Barcelona in die Schranken zu weisen.

Dabei streute er Begriffe wie «antidemokratische Perversion», sprach von einem «illegalen Regime» und einem «erbärmlichen Spektakel». Rajoy ist seit jeher strikt gegen eine Volksbefragung in der aufmüpfigen Region. «Ich werde alles Nötige tun und nichts auslassen, um das Referendum zu verhindern», kündigte er an. Aber was genau hat er vor?

Zunächst einmal stehen ihm natürlich rechtliche Mittel zur Verfügung. Mehrmals hat er Verfahren gegen einzelne katalanische Politiker angestrengt. Sofort nach der Verabschiedung des Referendumsgesetzes legte er dann auch beim Verfassungsgericht Beschwerde ein. Dieses reagierte prompt: Schon einen Tag nach Inkrafttreten erklärten die Richter die Regelung wieder für ungültig. Das ist nicht neu: Das Gericht hatte die Abstimmung schon mehrfach unter dem Verweis verboten, dass sie gegen die in der Verfassung vorgesehenen Einheit des Landes verstößt.

Neu ist, dass sich die Regionalregierung auch von der Justiz nicht mehr beirren zu lassen scheint. Ihr Chef Carles Puigdemont ist sich sicher: «Es gibt nichts, was das Referendum noch aufhalten kann. Was auch immer die Regierung anstellt, ist nutzlos, weil das Volk wählen will.» Damit hat er nicht unrecht: Während sich die Zahl der Befürworter und Gegner der Abspaltung in etwa die Waage hält, wünscht sich die überwältigende Mehrheit der Katalanen ein Referendum über die Trennungsfrage.

Ein solches gab es bereits einmal, im November 2014. Der damalige Regionalpräsident Artur Mas hatte nach einem Verbot des Verfassungsgerichts aber noch halbwegs eingelenkt und ließ lediglich eine «symbolische Volksbefragung» durchführen. Das Resultat: Mehr als 80 Prozent stimmten für die Unabhängigkeit - aber es waren auch nur ein Drittel der etwa 5,4 Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen. Katalonien ist eine von 17 autonomen Regionen Spaniens. Mas wurde wegen seines Ungehorsams zu einem zweijährigen Ämterverbot verurteilt.

Apropos Urnen: Rund 6.000 sollen bereits in Katalonien gehortet worden sein, um am 1. Oktober einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, wie Puigdemont kürzlich offenlegte. Die Reaktion aus Madrid ließ nicht lange auf sich warten. Mit angriffslustiger Miene trat Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría vor die Presse: «Ich werde Puigdemont nicht sagen, was ich tue, um ihm die Urnen wegzunehmen», betonte sie. «Aber die zuständigen Behörden werden sich schon darum kümmern, ihre Aufstellung zu verhindern.»

Medien sprechen auch immer häufiger von einer möglichen Anwendung des Artikels 155, der die Aufhebung der Autonomie einer Region vorsieht, wenn diese verfassungswidrig handelt. In der jungen spanischen Demokratie ist aber bislang kein Regierungschef so weit gegangen, diesen komplizierten und langwierigen Weg zu gehen.

Auch ein militärisches Eingreifen wäre theoretisch möglich. So hatte Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal zuletzt forsch erklärt, die Streitkräfte und die Guardia Civil stünden bereit, um die demokratischen Werte Spaniens und die Einheit des Landes notfalls «auf dem Boden, zur See und in der Luft» zu schützen. Dass im Oktober Panzer durch Barcelona rollen werden, will derzeit aber niemand so recht glauben.

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