Katalonien nach Separatisten-Entmachtung

Foto: epa/Javier Etxezarreta
Foto: epa/Javier Etxezarreta

MADRID/BARCELONA (dpa) - Nach dem vorläufigen Höhepunkt der Katalonien-Krise mit der Entmachtung der Separatisten sind Hunderttausende Menschen für die Einheit Spaniens auf die Straße gegangen. Bei einem Protestzug durch das Zentrum Barcelonas skandierten die Menschen am Sonntag «Viva España», «Ich bin Spanier» oder «Barcelona gehört zu Spanien». Die Organisatoren sprachen von «mehr als einer Million Teilnehmer», die Polizei in Barcelona schätzte die Zahl auf rund 300.000, wie sie auf Twitter mitteilte.

Die allgemein befürchteten Proteste der Sympathisanten der von Madrid abgesetzten Regierung von Carles Puigdemont blieben am Wochenende sowohl in der katalanischen Hauptstadt als auch in anderen Gebieten Kataloniens zunächst aus. Offiziell hatte die Amtsgeschäfte des Regionalpräsidenten am Samstag Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy übernommen.

Viele Demonstranten forderten die Festnahme von Puigdemont. Man wolle dafür arbeiten, dass es zu einer Versöhnung zwischen Unionisten und Separatisten komme und in der Region im Nordosten Spaniens künftig Besonnenheit und ein friedliches Zusammenleben herrschten, teilte die pro-spanische Sociedad Civil Catalana (SCC) mit, die zu der Kundgebung unter dem Motto «Wir sind alle Katalonien!» aufgerufen hatte. Demonstranten schwenkten spanische und katalanische Flaggen. Der Protest blieb bis auf einzelne Rangeleien friedlich. Vor drei Wochen hatte ein Marsch gegen die Unabhängigkeit in Barcelona rund 350.000 Menschen mobilisiert.

«Unsere Zukunft ist besser innerhalb Spaniens und innerhalb Europas. Deswegen sind wir heute hier», sagte die Sprecherin der liberalen Ciudadanos, Inés Arrimadas. Die Partei war 2006 in Katalonien als Gegenbewegung zu separatistischen Gruppen der Region gegründet worden und ist inzwischen die viertstärkste Kraft im Madrider Parlament. Arrimadas betonte: «Ich möchte, dass sich alle Katalanen wieder die Hand geben können und wir wieder gemeinsam weitergehen.»

Kurz nachdem das katalanische Parlament am Freitag für einen Prozess zur Loslösung von Spanien und zur Gründung eines unabhängigen Staates gestimmt hatte, kam die entscheidende Wendung im Konflikt. Der spanische Senat machte mit der Billigung des nie zuvor angewandten Verfassungsartikels 155 den Weg für die Entmachtung der Regionalregierung in Barcelona und für Neuwahlen am 21. Dezember frei. Am Samstag wurde die Autonome Gemeinschaft unter Zwangsverwaltung gestellt. Die täglichen Amtsgeschäfte in Katalonien soll Medienberichten zufolge Rajoys Vize Soraya Sáenz de Santamaría übernehmen.

Puigdemont hatte am Samstag angedeutet, dass er seine Amtsenthebung durch die Zentralregierung in Madrid nicht anerkennt. Man wolle weiter dafür arbeiten, ein «freies Land» zu gründen, auch wenn man sich «der aktuellen Schwierigkeiten» bewusst sei, sagte er und rief zum friedlichen «demokratischen Widerstand» gegen die Zwangsmaßnahmen auf. Seine aufgezeichnete TV-Rede wurde von Medien und Beobachtern als weniger resolut bezeichnet als erwartet. Am Sonntag äußerte sich Puigdemont zunächst nicht.

Nach Medienberichten könnte der Generalstaatsanwalt am Montag die Festnahme des liberalen Politikers anordnen. Sollte er wegen Auflehnung gegen die Staatsgewalt oder gar Rebellion verurteilt werden, drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft.

Auch die übrigen Mitglieder der Regierung in Barcelona wurden mit der Veröffentlichung im Amtsblatt am Samstag für abgesetzt erklärt. Insgesamt mussten 150 Regierungsmitarbeiter gehen. Auch die beiden Chefs der katalanischen Polizeieinheit Mossos d'Esquadra, Pere Soler und Josep Lluís Trapero, wurden abgesetzt. Der spanische Innenminister Juan Ignacio Zoido appellierte an die nationalen und katalanischen Polizeieinheiten zu kooperieren, um einen reibungslosen Ablauf der Wahl im Dezember zu gewährleisten, wie die Nachrichtenagentur Europapress berichtete.

Für Empörung sorgte Belgiens Staatssekretär für Asyl und Migration, weil er sein Land als möglichen Zufluchtsort für die abgesetzten Politiker ins Spiel brachte. Katalanen, die sich politisch verfolgt fühlten, könnten in Belgien um Asyl ansuchen sagte Theo Francken am Sonntag dem flämischen Sender VTM News. «Es ist nicht unrealistisch.» Premierminister Charles Michel wies ihn laut Nachrichtenagentur Belga zurück: «Ich bitte Theo Francken, kein Öl ins Feuer zu gießen.» Als «inakzeptablen Angriff» hatten der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Esteban González Pons, und Politiker der Regierungspartei PP die Äußerung Franckens bezeichnet und eine Richtigstellung gefordert.

Eine Umfrage sieht indes die Unterstützung für die Separatisten in Katalonien schwinden. Bei der Neuwahl am 21. Dezember müssten sie mit einem Verlust der Mehrheit im Regionalparlament rechnen, geht aus einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des angesehenen Forschungsinstituts Sigma Dos im Auftrag der Zeitung «El Mundo» hervor. Die Umfrage sieht die drei nach Unabhängigkeit der spanischen Region strebenden Parteien zusammen bei höchstens 42,5 Prozent der Stimmen. Sie würden damit auf 65 Sitze im Parlament kommen. Für die absolute Mehrheit sind in Barcelona mindestens 68 Sitze nötig.

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