Katalonien: «Besatzungkräfte raus!»

Foto: epa/Mario Gascon
Foto: epa/Mario Gascon

BARCELONA/MADRID (dpa) - Wenige Tage vor der geplanten Abspaltung von Spanien haben in Katalonien mehrere Hunderttausend Menschen gegen Polizeigewalt und für eine Unabhängigkeit ihrer Region vom Zentralstaat demonstriert. Zugleich legte am Dienstag ein Generalstreik weite Teile des öffentlichen Lebens lahm. In Barcelona blieben die meisten Geschäfte und auch die die Metro-Stationen geschlossen. Zu den Kundgebungen und dem Ausstand hatten Gewerkschaften und andere Organisationen aufgerufen.

Nach den Protesten schaltete sich König Felipe VI. mit scharfer Kritik an der Regionalregierung erstmals in den Konflikt ein. Die Führung in Barcelona bewege sich «außerhalb des Gesetzes» und setze «die wirtschaftliche und soziale Stabilität Kataloniens und ganz Spaniens aufs Spiel», sagte der Monarch am späten Abend in einer Fernsehansparche an die Nation. Es liege «in der Verantwortung des Staates, die verfassungsmäßige Ordnung sicherzustellen.»

Am Sonntag hatte in Katalonien ein umstrittenes, gerichtlich verbotenes Referendum über eine Abspaltung von Spanien stattgefunden, bei dem eine Mehrheit von 90 Prozent mit Ja stimmte. Nach amtlichen Angaben nahmen knapp 2,3 Millionen der 5,3 Millionen Wahlberechtigten teil. Die von Madrid entsandte Staatspolizei griff teilweise hart durch, um die Abstimmung zu verhindern; dabei wurden nach Angaben der Regionalregierung rund 900 Menschen verletzt.

Gegen diesen harten Einsatz richtete sich der Massenprotest, bei dem überwiegend Partystimmung herrschte. Allein in Katalonien waren nach Schätzung der Behörden rund 300.000 Menschen bis zum späten Abend auf den Straßen. Tausende sangen die katalanische Nationalhymne und riefen Parolen wie: «Die Straßen gehören uns!» oder «Besatzungskräfte raus!», als ein Hubschrauber der Nationalpolizei über sie hinwegflog.

Die Zentralregierung prangerte zur selben Zeit in Madrid eine «Verfolgung» von Staatsbeamten durch die Katalanen an. Man werde «alles Nötige unternehmen», um die Verfolgung zu stoppen, warnte Innenminister Juan Ignacio Zoido. Die 10.000 von Madrid entsandten Polizisten blieben am Dienstag jedoch fast alle in den Unterkünften. Einige hundert wurden von katalanischen Hotels aus Protest vor die Tür gesetzt.

Auch in Girona fanden sich mehr als 30.000 Menschen ein. In Reus, Tarragona und anderen Städten gab es ebenfalls Großdemonstrationen. Feuerwehrmänner waren mit von der Partie, Bauern protestierten auf ihren Traktoren und sperrten Straßen ab. Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region Spaniens und steuert knapp ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt des Königreichs bei.

Währenddessen bereitete sich die Regionalregierung von Carles Puigdemont weiter auf die Ausrufung der Unabhängigkeit vor. Abgeordnete erklärten laut Medienberichten, das Regionalparlament in Barcelona komme am Mittwoch zusammen, um einen Termin für die Sitzung festzulegen, bei der die Unabhängigkeitserklärung lanciert werden soll.

Puigdemont hatte die Demonstranten aufgefordert, bei den Protesten gegen die Polizeigewalt friedlich zu bleiben. «Heute ist ein Tag des demokratischen, staatsbürgerlichen und würdigen Protests», schrieb der 54-Jährige auf Twitter. Und die Kundgebungen verliefen zunächst in der Tat ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Der Streik wurde von so verschiedenen Institutionen wie dem Fußball-Topclub FC Barcelona oder der weltberühmten Basilika Sagrada Familia unterstützt, die geschlossen blieb.

Es gibt aber nach wie vor auch Gegner einer Unabhängigkeit. Eine ältere Unabhängigkeitsgegnerin rief unter Tränen: «Wir sind allein hier. Die spanische Regierung tut Nichts und hat uns unserem Schicksal überlassen.» Sie könne nicht die Fahne ihres Landes auf den Balkon hängen, denn man bezeichne sie sofort als Faschistin.

Madrid blieb am Dienstag aber nicht untätig. Minister Zoido hielt eine Dringlichkeitssitzung mit den Chefs der staatlichen Polizeieinheiten Guardia Civil und Policía Nacional ab. Danach beriet er sich auch mit Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Auch die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Saénz de Santamaría kritisierte die Demonstrationen gegen die Polizei in Katalonien und gab den separatistischen Politikern der Region die Schuld. «Wir werden mafiöses Verhalten der Gemeinden in Katalonien nicht tolerieren», sagte sie in Madrid.

Gegner der Unabhängigkeit kündigten unterdessen für Sonntag eine Demonstration gegen die Abspaltung Kataloniens von Spanien an. Es gehe darum, wieder «die Vernunft zurückzugewinnen», erklärte Àlex Ramos, der Vizepräsident der zivilen Organisation Societat Civil Catalana (SCC).

Felipe räumte ein, Spanien mache «schwierige Zeiten» durch. Man werde diese aber «aüberwinden und vorwärtskommen», sagte das 49 Jahre alte Staatsoberhaupt. Allen Spaniern wolle er «eine Botschaft der Ruhe und der Hoffnung» übermitteln. Ohne demokratischen Respekt gebe es kein friedliches Zusammenleben.

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Jürgen Franke 04.10.17 19:35
Herr Raktin, ich darf Ihnen versichern, dass
ich durchaus Verständnis für den Wunsch der Menschen habe, ihre Lebensumstände zu verbessern. Das geht aber eben nur, wenn es die Gesetzeslage erlaubt. Eine andere Möglichkeit wäre, eine Mauer zu bauen. (war jetzt als Satire gemeint) Die Vorgehensweise der Polizei in diesem Gebiet war nun mehr als primitiv und sollte, analog zu Hamburg, ein gerichtliches Nachspiel haben.
Jürgen Franke 04.10.17 19:30
Es ist schlimm, dass man ein Volk so aufwiegel
kann, nur weil sie entweder die Gesetze der Verfassung nicht kennt oder von Populisten, bzw. separatistischen Politikern, eingeredet bekommen hat, das man sie aushebeln könne. Der Redaktionsbericht weist deutlich darauf hin, dass die Demonstrationen gegen die Polizei als ein "mafiöses Verhalten" der Gemeinden in Katalonien zu werten und nicht zu tolerieren sei. Übrigens hat die Gewerkschaft ihre Streikzusagen zurück gezogen.
Jürgen Franke 04.10.17 12:07
Ein Bericht der Redaktion zum Thema
Katalonien, der sehr zu empfehlen ist.