Kartellverdacht bei Autobauern - Sondersitzung im Bundestag?

Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Foto: epa/Clemens Bilan
Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Foto: epa/Clemens Bilan

HANNOVER/BERLIN (dpa) - Der Verdacht geheimer Absprachen deutscher Autobauer zum Schaden von Verbrauchern und Zulieferern droht zu einer weiteren Gefahr für die Branche zu werden. Knapp zwei Wochen vor einem Berliner Spitzentreffen zur Frage, wie überhöhte Werte von Stickoxid gesenkt werden sollen, berichtete das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» über ein angebliches Autokartell.

Demzufolge sollen Vertreter von Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sich schon seit den 90er Jahren gemeinsam über Technik, Kosten und Zulieferer verständigt haben. Die EU-Kommission prüft solche Hinweise, wie sie am Samstag mitteilte.

Treffen die Vorwürfe zu, steht illegales Kartellverhalten im Raum. Mit solchen Absprachen können etwa Preise gegenüber Kunden künstlich hoch gehalten oder gegenüber Zulieferern gedrückt werden. Daimler sprach von «Spekulationen», VW-Chef Matthias Müller in der «Rheinischen Post» von «Sachverhaltsvermutungen».

Der Betriebsrat von Volkswagen dringt auf eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung. Ein Sprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag: «Der Vorstand ist in der Pflicht, das Aufsichtsgremium umfassend zu informieren. Das ist bislang nicht geschehen.»

Die Grünen im Bundestag verlangen ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses des Parlaments. Beantragt werde angesichts der Kartellvorwürfe nun «eine kurzfristig einzuladende Sondersitzung für Ende Juli», kündigte Verkehrspolitiker Oliver Krischer an. Man wolle so Klarheit über die möglichen «Machenschaften des Autokartells» bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - «ungeheuerlich» seien.

Der «Spiegel» stützte seine Darstellung auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbshütern eingereicht haben soll. Daimler habe ebenfalls eine «Art Selbstanzeige» hinterlegt. Das Bundeskartellamt erklärte: «Details laufender Verfahren können wir nicht kommentieren.» Konkreter Hintergrund der neuen Vorwürfe sind dem Bericht zufolge Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen, im Sommer 2016 hatte es Durchsuchungen gegeben.

Auch für die Debatte um die Zukunft des Diesels allgemein drohen die Recherchen zu einer Belastung zu werden. Bei den Absprachen soll es unter anderem um Technik zur Reinigung von Diesel-Abgasen gegangen sein - und um die Festlegung auf kleinere, aber billigere Tanks für das Mittel AdBlue. Mit der Substanz werden gefährliche Stickoxide in Wasser und Stickstoff aufgespalten. BMW stellte mit Blick auf AdBlue klar: «Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück.»

Unabhängig von der noch fehlenden Bestätigung für den genauen Inhalt der Ermittlungen gab es bereits heftige Kritik an den Autobauern. Der Linken-Politiker und Ex-Leiter des Abgas-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Herbert Behrens, sagte: «Sollten sich die Meldungen zu Absprachen bestätigen, hätten die betreffenden Konzerne damit nicht nur die Zulieferer geschädigt, sondern auch ihre Kunden und vor allem die Gesundheit der in Innenstädten lebenden Menschen.» Er bekräftigte seine Kritik an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), dem auch die Grünen einen zu laschen Umgang mit der Industrie vorwerfen.

Dobrindt meinte zu dem Verdacht: «Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen.» Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) forderte schnellstmögliche Aufklärung. «Was schiefgelaufen ist, muss aufgeklärt werden», sagte er am Samstag. Das Thema erschwere die Gespräche mit der Autoindustrie zur Reduzierung von Dieselabgasen.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält den Kartellverdacht für eine bedrohliche Entwicklung. Falls etwa vereinbart werde, das Verhalten bei Grenzwerten zu Umweltauflagen abzustimmen, wäre das für die deutsche Autoindustrie, «aber auch für die Politik in Berlin und in Brüssel der Super-GAU, ein Erdrutsch», sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen der dpa. Sein Kollege Stefan Bratzel sagte: «Insgesamt darf die deutsche Politik künftig keine falsch verstandene Rücksicht mehr auf die Automobilindustrie nehmen.»

Bei der Aufarbeitung der Dieselkrise im VW-Konzern verschärft sich der Konflikt zwischen Porsche und Audi. Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück sieht sein Unternehmen hintergangen und fordert die Entlassung von Vorständen bei der Konzernschwester Audi. «Ich werde es nicht zulassen, dass Porsche durch Tricksereien von Audi in Gefahr gerät», sagte der oberste Belegschaftsvertreter der «Bild am Sonntag». «Eigentlich muss der Audi-Aufsichtsrat die Vorstände freistellen.» Bei der Ingolstädter Oberklasse-Marke sollen Teile des Skandals ihren Ursprung haben. Audi war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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