Japan, ein Wintermärchen - Hawaiianer bauen Schneeskulptur in Sapporo

Foto: epa/Kimimasa Mayama
Foto: epa/Kimimasa Mayama

SAPPORO (dpa) - Dale Radomski könnte jetzt entspannt am Strand von Hawaii unter Sonne und Palmen liegen. Stattdessen fräst der Amerikaner aus dem tropischen Honolulu an einer Schneeskulptur im eisigen Norden Japans. Dale ist von Beruf «Ice Carver», Eisschnitzer. «Wir fertigen bei uns im Hotel auf Hawaii Eisskulpturen für Hochzeiten und Partys», erzählt der in einer dicken Winterjacke eingepackte Amerikaner lächelnd, während seine Kollegen Charlie und Norimitsu einen drei Kubikmeter großen Klotz aus mehreren Tonnen Schnee bearbeiten. Zusammen bilden sie das «Team Hawaii» beim diesjährigen berühmten Schneefestival von Sapporo auf Japans nördlichster Hauptinsel, einem der größten Schneefestivals der Welt.

Dale ist hier Dauergast, zum 15. Mal schon tauscht der Amerikaner für ein paar Tage sein heimisches Urlaubsparadies gegen das an diesem Tag minus 5 Grad kalte Sapporo, um sich mit Mannschaften aus anderen Ländern - darunter Thailand, Singapur, Finnland und Australien - in der Kunst der Schneeskulpturen zu messen. Sie alle haben die unterschiedlichsten Berufe und Hobbys, aber eines gemeinsam: die heiße Leidenschaft für das eiskalte Element. «Mit Schnee zu arbeiten ist schwieriger als mit Eis. Eis kannst du immer wieder zusammenfrieren. Machst du aber einen Fehler mit Schnee, dann wars das», erklärt Dale und schaut den gewaltigen Schneeklotz vor sich an.

Da sie auf Hawaii nicht mit Schnee üben konnten, haben sie sich zu Hause ein Modell aus Styropor gebastelt. Es soll Wolken in Gestalt von zwei Hula-Tänzerinnen zeigen, die das neue Zeitalter darstellen und eine andere Tänzerin als Symbol des Vergangenen fortschieben. «Die Juroren des Wettkampfes hier wollen etwas Einzigartiges sehen, zeitgenössische Kunst», erklärt Dale. Zwölf Stunden am Tag arbeiten er und seine beiden Kollegen an ihrer Skulptur. «Es ist eine große Ehre, dabei sein zu dürfen», erzählt Dales Freund und Kollege Charlie Matsuda aus Kauai auf Hawaii. «Es ist eine tolle Gemeinschaft hier».

Das Festival hatte 1950 mit sechs Skulpturen begonnen, die Schüler am Odori-Park gebaut hatten. In den folgenden Jahren wurde daraus immer mehr eine Institution, die inzwischen jedes Jahr mehr als zwei Millionen Besucher anzieht. Abgesehen von vielen Bürgergruppen, die sich zur Festivalzeit als Eis-Architekten betätigen, haben die auf Hokkaido stationierten Soldaten der Selbstverteidigungsstreitkräfte Japans maßgeblichen Anteil an der Errichtung der Skulpturen - ohne sie wäre das Festival wohl kaum möglich. Bereits im Januar beginnen die Soldaten damit, immense Mengen von Schnee in das Zentrum von Sapporo zu transportieren: 6.000 Lastwagenladungen waren es dieses Jahr.

«Wir haben unsere eigenen Werkzeuge mitgebracht», erzählt Dale und zeigt ein mit Schrauben besetztes Stahlband, das er als Säge benutzt. Auch ein großer Käsehobel aus ihrer Hotelküche kommt bei den Hawaiianern zum Einsatz. Während sie auf dem Schneeklotz herumklettern und sägen und feilen, kommen die Männer trotz der Eiseskälte richtig ins Schwitzen.

Im Hintergrund steht ein deutscher Maibaum. Der stammt aus München anlässlich der 1976 geschlossenen Städtepartnerschaft mit Sapporo. «München-Platz» nennen die Japaner die Stelle seither. Dahinter ragen die imposanten Meisterwerke des Festivals auf. Dazu zählt in diesem Jahr eine gewaltige «Star Wars»-Skulptur. In Vorfreude auf die im Dezember erwartete achte Episode der Star Wars-Filmreihe, «Star Wars: The Last Jedi», frästen die Eis-Architekten eine Art «weißes Star Wars» aus zig Tonnen von Schnee.

Unweit davon stehen eine 17,5 Meter hohe Nachbildung des Arc de Triomphe in Paris sowie die eines Tempels der alten japanischen Kaiserstadt Nara. Das Schneefestival in Sapporo konkurriert inzwischen mit anderen wie dem berühmten Eis- und Schneefestival im chinesischen Harbin. Das «Sapporo Yukimatsuri» gehört zu den moderneren Volksfesten (Matsuri) in Japan. Die gibt es in so gut wie jedem Ort in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, manche der fast 8.000 Volksfeste sind uralt und gelten als wichtiges Kulturerbe.

Doch im Zuge der rasanten Überalterung der japanischen Gesellschaft droht manchen Matsuri das Aus: Japanischen Medienberichten zufolge konnten in den vergangenen Jahren schon mehr als 60 Volksfeste in mehreren Provinzen wegen Nachwuchsmangel nicht mehr stattfinden. Vor diesem Hintergrund nahm die UNESCO im vergangenen Jahr 33 japanische Matsuri mit prächtigen Umzugsparaden in ihre Liste zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes auf. Dies soll helfen, dass die kulturelle Bedeutung der traditionellen Volksfeste auch Japans eigener Bevölkerung im Bewusstsein bleibt. Dale und seine Freunde aus Hawaii sind jedenfalls entschlossen: «Wir kommen wieder».

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