Iss was gar ist, trink was klar ist, sprich was wahr ist!

Dieser Spruch hat sicher seine Gültigkeit in der ganzen Welt, bei der letzten Empfehlung gibt es aber doch einige Unterschiede in den einzelnen Ländern, auf die man sich besser einstellen sollte, wenn man mit Menschen eines anderen Kulturkreises klarkommen will.

Jeder Farang, der sich entschließt, seinen Aufenthalt in Thailand zu nehmen, muss sich an einige Besonderheiten des Thai-Charakters gewöhnen. Dazu gehört vor allem der – einmal vorsichtig ausgedrückt – legere Umgang mit der Wahrheit. Nun sind Lügen auch bei uns nicht unbekannt, und vor allem unsere Politiker haben es darin zur Meisterschaft gebracht. Auch in der Thai-Politik gehört die Wahrheit nicht gerade zu den allgemein akzeptierten und angewendeten Tugenden. Aber sich über das Thema Wahrheit und Lüge in der Politik auszulassen, ist jetzt nicht mein Thema.

Mir geht es hier um Wahrheit und Lüge im Thai-Alltag, oder beim Umgang von Farang mit Thais. Bei uns unterscheidet man allgemein zwischen Lüge und Notlüge (die Statistiken will ich als zur Politik gehörend hier mal weglassen). Niemand wird bestreiten, dass er sich schon hin und wieder einer Notlüge bedient hat, wenn es darum ging, etwas Unangenehmem auszuweichen. Thais neigen aber auch dann dazu die Unwahrheit zu sagen, wenn es ihnen keinen Vorteil bringt. Wenn man einem Thai eine Frage so stellt, dass es darauf entweder ja oder nein als Antwort gibt, wird er in der Regel "ja” sagen, auch wenn das die Unwahrheit ist. Ganz einfach deswegen, weil er der Meinung ist, der Farang würde lieber ein "ja” als Antwort hören.

Ein Grund dafür, dass man hierzulande wesentlich häufiger nicht die Wahrheit oder gar die Unwahrheit sagt, ist die Angst vor Gesichtsverlust. Wer eine Lüge, also eine ausgesprochene Unwahrheit, wie wir Farang sie verstehen, mit der asiatisch gedachten "Schutzlüge” gegen Gesichtsverlust gleichstellt, wird zu einem falschen Urteil gelangen und manchmal an diesem Lügenkonstrukt fast verzweifeln. In der westlichen Gesellschaft kann ein eingestandener Fehler und die daraus folgernde neue Erkenntnis durchaus als etwas Positives bewertet werden. Oder um es asiatisch auszudrücken, "mehr Gesicht” geben. Bei Asiaten hingegen kann aber schon die Andeutung, dass ein Fehler begangen wurde, einen Gesichtsverlust bedeuten, egal, ob es sich im beruflichen, gesellschaftlichen oder familiären Umfeld abspielt.

Die Tatsache, dass auch dann unbedenklich die Unwahrheit gesagt wird, wenn die Wahrheit keinerlei unangenehme Folgen für den gefragten Thai hätte, ist etwas, womit der Farang in Thailand schwer zurechtkommt. Das gilt auch für irgendwelche Zusagen. Dem Farang wird bedenkenlos alles Mögliche versprochen, auch wenn man sich selbst darüber klar ist, dass es gar nicht möglich ist, das Versprechen einzuhalten. Als sich ein Nachbar mal 3.000 Baht von mir geliehen hatte mit dem Versprechen, es mir am Monatsende bestimmt zurückzuzahlen, und ich auch nach 3 Monaten trotz häufiger Mahnungen noch keinen Baht Rückzahlung gesehen hatte, warf ich ihm vor, dass er mich belogen hätte. Worauf er sich dann entrüstet damit verteidigte, dass er sicherlich ernsthaft beabsichtigte, das Geld zurückzuzahlen und deshalb alle 14 Tage in der Lotterie spielte. Dass das Lotterieglück bisher immer an ihm vorbeigegangen sei, wäre schließlich nicht seine Schuld. Er jedenfalls habe es an Räucherstäbchen und Gaben für die Geister nicht fehlen lassen.

Wen wundert es dann, dass die in solcher Einschätzung der Wahrheit groß gewordenen Mädchen überhaupt keine Probleme damit haben, den vor den Bars hockenden Farang die Hucke voll zu lügen? Wer sich hier einen Schatz auftut, der kann davon ausgehen, dass jedes, aber auch jedes Wort, das sie ihm sagt, gelogen ist. Von dem ersten Kontakt "Hallo, handsome man”, über das stereotype "I love you too much” bis zu dem Notfall in der Familie, der seine sofortige finanzielle Hilfe erfordert. Wenn dann in dem einen oder anderen Falle doch eine ernsthaftere Beziehung entsteht, so mag der Farang wohl auch mal angenehm enttäuscht werden, vor allem dann, wenn er selbst mal in eine Notlage gerät. An Beispielen dafür fehlt es nicht, dass z. B. die Freundin auch dem Farang, der hinter Gitter gewandert ist oder nach einem Unfall mit einer schweren Verletzung im Krankenhaus liegt, die Stange hält. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit für den Farang, der in Thailand oder mit einer Thai leben will, den Wahrheitsgehalt all dessen, was ihm gesagt wird, mit entsprechender Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen.

Günther Ruffert

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