In Caracas kreist der Hammer

Foto: epa/Nathalie Sayago
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CARACAS (dpa) - Nicolás Maduro hat sich zur Feier des Tages das rote Hemd angezogen. Es ist noch dunkel, als er im Morgengrauen sein Auto zum Wahllokal steuert. Venezuelas Präsident will als einer der ersten die Stimme abgeben. «Die Welt wartet auf das Verfassungswunder, möge Gott uns schützen», sagt er. Mit einem Wunder rechnen seine Gegner nicht, sondern mit dem Schlimmsten: Möge Gott Venezuela schützen.

Von der «Stunde Null» ist im Land mit den größten Ölreserven die Rede, sogar von einem drohenden Bürgerkrieg. Freddy Guevara (31), Hobbymusiker und seit 120 Tagen einer der Wortführer der Proteste, spricht von «harten Momenten», die anstehen. Er will den Sturz des Sozialisten. «In diesen Momenten der Unsicherheit, des Zweifels und der Angst, müssen wir klarmachen, dass wir in der Endphase dieser Diktatur sind», sagt der Vizepräsident des Parlaments.

Dieser 30. Juli ist mehr als die Wahl von 545 Mitgliedern einer Verfassungsgebenden Versammlung. Die Wahl ist keine im eigentlichen Sinne. Das Ergebnis schien von vornherein klar: Da die Opposition die Wahl boykottiert und Maduro eine Versammlung des Volkes und der Arbeiterklasse verfügt hat, wird es ein Übergewicht der Sozialisten geben. Was die Blaupause ist, hat einer der Hardliner und Vizechef der Sozialisten, Diosdado Cabello, unverhohlen deutlich gemacht. Das von der Opposition dominierte Parlament «taugt nichts», sagt er.

Die Verfassungsversammlung soll in den nächsten Tagen starten und im Parlament tagen - und womöglich dauerhaft an dessen Stelle rücken. So hätten die Sozialisten wieder alle Macht. Cabello will dort auch sofort wieder die abgehängten Bilder des Sozialismus-Begründers Hugo Chávez aufhängen lassen - Cabello war Präsident des Parlaments, bis die Opposition die Wahl Ende 2015 mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewann.

Die Schmach hat der Politiker, den die USA der Verwicklung in den Kokainhandel verdächtigen, nie verziehen. Droht der institutionelle Gegenputsch? Cabello kandidierte auch für die Versammlung und könnte ihr Präsident werden. Er hat eine TV-Sendung mit dem Titel: «Mit dem Hammer schlagen.» Er will die Immunität der bisherigen Abgeordneten aufheben, dann könnten Leute wie Guevara im Gefängnis landen. Es kreist der Hammer über der bisherigen Verfassung mit Gewaltenteilung - sie stammt immerhin von Maduros Vorgänger und Mentor Hugo Chávez.

Von der EU über die USA bis zu Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos ist Maduro vermittelt worden, dass die Wahl nicht anerkannt wird. Das aus 20 Parteien bestehende Oppositionsbündnis «Mesa de la Unidad Democrática» (MUD/«Tisch der demokratischen Einheit») fürchtet die Transformation zur Diktatur. Das Bündnis hat seine militanten Anhänger kaum noch unter Kontrolle. Am Rande der Wahl häuften sich die Berichte über verbrannte Wahlzettel und zerstörte Wahlcomputer. Über 110 Menschen haben seit Ausbruch der Unruhen ihr Leben gelassen.

Die von Guevara ausgerufene Endphase der Herrschaft Maduros könnte ein Trugschluss sein - das Militär und Verteidigungsminister Vladimir Padrino schwören Maduro noch die Treue. Und vielleicht wird die Verfassungsreform das Vehikel, um einer Abwahl 2018 zu entgehen.

Viele Menschen haben einfach nur noch Angst, Panzer auf den Straßen verfehlen ihre Wirkung nicht. Sogar der Violinist Wuilly Arteaga, der mit seiner Musik inmitten der Tränengassalven bekannt wurde, wurde festgenommen. Der Flughafen von Caracas ist ein Geisterflughafen, Iberia und Air France haben wegen der hoch gefährlichen Lage die Flüge ausgesetzt, zehn Airlines den Betrieb dauerhaft eingestellt.

Betrachten lässt sich eine ruinierte Revolution, deren Opfer die Menschen und ein wunderschönes Land sind: Die Kindersterblichkeit ist um 30 Prozent gestiegen. Hunger, Lebensmittel, die überall knapp sind. Suchaktionen über das Internet nach lebensnotwendigen Medikamenten. Verzweifelte Ärzte, die nicht mehr operieren können.

Jeden Tag überqueren rund 25.000 Menschen die Grenzbrücke Simón Bolivar zu Kolumbien, kaufen dort Lebensmittel ein - bis zu 140.000 Menschen leben bereits illegal im Nachbarland. Venezuelas Problem: 95 Prozent der Exporteinnahmen kommen aus dem Ölgeschäft, doch der niedrige Ölpreis ist nur ein Grund für das Drama. Hinweise auf massive Korruption, staatliche Misswirtschaft - aber auch weil zum Beispiel das Benzin mit bis zu zehn US-Milliarden Dollar im Jahr subventioniert wird, fehlt Geld für das Allernotwendigste im Land.

Da die Raffineriekapazitäten zu gering sind, muss im Ölstaat ein Teil des Benzins importiert werden. In Zeiten einer Inflation von über 800 Prozent, ein immer teureres Unterfangen - hinzu kommen Zahlungen zur Begleichung von Auslandsschulden, um den Bankrott zu vermeiden.

Ein Liter Benzin kostet 6 Bolivares, der Schwarzmarktkurs für einen Euro liegt bei 12.000 Bolivares, so dass für einen Euro bis zu 2.000 Liter getankt werden können. Und jeden Tag wandern Millionen Liter dieses billigsten Benzins der Welt auf die andere Seite der Grenze. Eine Bereicherung per Schmuggel auf Kosten der Bürger in Venezuela.

In der kolumbianischen Stadt Maicao gibt es reihenweise aufgegebene Tankstellen. Autos halten an - aus Kanistern wird an der Straße aus Venezuela über die grüne Grenze geschmuggeltes Benzin per Trichter in die Autotanks eingefüllt. «In Venezuela ist Benzin billiger als Wasser», lacht ein Verkäufer. Diese absurde Geschichte ist noch so ein Grund für das Elend der Menschen auf der anderen Grenzseite.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Norbert Kurt Leupi 31.07.17 23:53
Der Hammer kreist-die Sichel fällt
Schade , dass der Marxismus in diesem Fall zum Maduroismus geworden ist ! Aber es wird auch nicht besser ,wenn die Opposition durch die Hilfe des CIA wieder an die Macht kommt ! "Das Schicksal nimmt nichts , was es nicht gegeben hat " !