Im Sturm der Entrüstung: IOC-Chef Bach und die Spiele in Rio

Foto: epa/Laurent Gillieron
Foto: epa/Laurent Gillieron

RIO DE JANEIRO (dpa) - Kritik und Misstrauen begleiten den IOC-Chef Thomas Bach, seit er seine steile Karriere in der Sportpolitik begonnen hat. Doch so stark wie vor dem Beginn der Rio-Spiele war diese Kritik noch nie.

Am Mittwochmorgen ist Thomas Bach in Rio de Janeiro gelandet. Zur Begrüßung am Flughafen warteten ein paar Fernsehkameras und einige strahlende olympische Helfer. Wie das so ist, wenn der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu Olympischen Spielen reist.

Doch diesmal konnte dieser Präsident noch so viele Interviews geben oder freundlich lächelnd für Fotos der Volunteers posieren. Es lässt sich einfach nicht mehr davon ablenken, dass diese Spiele und vor allem das Image des deutschen IOC-Chefs schon schwer beschädigt sind, bevor das Olympische Feuer in gut einer Woche in Rio überhaupt entzündet wird.

«Er lügt die Welt an.» Dieser Satz der Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein ist nur die vorerst letzte Kritik, die Bach am Mittwoch in Brasilien erreichte. Seit das IOC verkündet hat, dass russische Sportler trotz eines gigantischen und staatlich gelenkten Dopingsystems in ihrer Heimat unter Auflagen doch in Rio starten dürfen, kommt solche Kritik von allen Ebenen der Sportwelt.

Der langjährige Spitzenfunktionär Hans Wilhelm Gäb gab aus Protest sogar seinen olympischen Orden zurück. «Ich möchte nicht die Auszeichnung einer Organisation tragen, welche die Ideale des Sports verrät», schrieb der frühere Chef des deutschen und europäischen Tischtennis-Verbandes. Selbst die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sprach von einer großen «Enttäuschung».

Zu Bachs Verteidigungsstrategie gehört der Hinweis, «dass wir bei dieser Entscheidung unterstützt wurden von den Nationalen Olympischen Komitees dieser Welt, von der Vereinigung der Sommersportarten und auch von Athletenkommissionen», wie er in einem dpa-Interview betonte. Doch im Zentrum der Entrüstung steht allein er. «Er ist für mich Teil des Dopings-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn», sagte der oberste Bach-Kritiker Robert Harting.

Kritik und Misstrauen begleiten Bach, seit sein zielstrebiger Aufstieg vom Fecht-Olympiasieger 1976 bis zum IOC-Präsidenten begonnen hat. Doch so harsch wie jetzt war diese Kritik noch nie.

Seit der Starterlaubnis für russische Sportler holen den 62-Jährigen all die Vorwürfe ein, die es schon seit Jahren gibt. Seine Nähe zu Russland und den dortigen Machthabern in Sport und Politik. Sein Hang zum Taktieren und zur undurchsichtigen Hinterzimmer-Politik. Und die Meidung klarer Positionen, die so viele von ihm in der Russland- und Doping-Frage gefordert hatten. Schon 2014 wurden während der Winterspiele in Sotschi Olympia-Gegner festgenommen oder sogar verurteilt. Von Bach gab es für die russischen Gastgeber nur Lob.

Auch der Umgang mit der aktuellen Krise folgt dem bewährten Muster des Lavierens. Die hoch umstrittene Entscheidung, in Julia Stepanowa ausgerechnet die Kronzeugin des russischen Dopingskandals nicht in Rio starten zu lassen? Dazu «haben wir unsere Ethikkommission befragt», sagte Bach der dpa. Welche russischen Sportler dabei sein dürfen? Das sei Sache der «internationalen Fachverbände».

Bach persönlich bleibt bei all diesen Entscheidungen in der Deckung. Er fordert von der WADA, «das Anti-Doping-System noch einmal grundlegend zu überdenken». Aber solange er noch Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes war, hat er ein Anti-Doping-Gesetz immer zu verhindern versucht. Das Scheichtum Kuwait etwa darf bei den Olympischen Spielen nicht dabei sein, weil die Politik in diesem Land einen zu großen Einfluss auf das Nationale Olympische Komitee nimmt. Aber Russland und sein staatlich gelenktes Dopingsystem sollen dagegen nicht im Widerspruch zur Olympischen Charta stehen?

Es sind Ungereimtheiten wie diese, die Bach zu einer so umstrittenen Figur machen. Wobei umstritten in seinem Fall noch lange nicht heißt, dass er auch um seinen Platz an der Spitze der olympischen Bewegung fürchten muss. «Wir haben eine große Mehrheit für unsere Entscheidung im internationalen Sport. Es gibt insgesamt 206 Nationale Olympische Komitees. Dort gibt es weit mehr Befürworter als solche Stimmen, die gerne in der Öffentlichkeit zitiert werden», sagte er der dpa.

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